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Selenskis DeutschlandbesuchWofür Ukraine-Solidarität steht

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Die Zeitenwende muss zunächst eine Niederlage Russlands in der Ukraine bedeuten. Tatsächlich aber besteht sie in einer solidarischeren Außenpolitik.

Selenski und Scholz bei der Verleihung des Aachener Karlspreises Foto: Ina Fassbender/afp

E ndlich gibt es Anlass zur Hoffnung in der Ukraine. Russlands Kampfkraft schwächelt deutlich. Die Ukraine hat Mut gefasst und bereitet sich offensichtlich darauf vor, ihr besetztes Staatsgebiet zu befreien und dem Krieg damit ein Ende zu setzen.

Vor diesem Hintergrund ist der Deutschlandbesuch des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski ein wichtigeres Zeichen, als die relativ banalen öffentlichen Worte in Berlin es suggerieren. Der Zeitpunkt der Verleihung des Karlspreises stand natürlich unabhängig vom Kriegsgeschehen fest. Aber es war keineswegs klar, ob Selenski dafür anreisen würde und vor allem nicht, dass dieser Besuch den Anlass für einen demonstrativen Schulterschluss zwischen Berlin und Kyjiw darstellen könnte.

Bei der internationalen Solidarität mit der Ukraine als einem von Vernichtung bedrohten Land gehörte Deutschland viel zu lange zu den Zauderern. Aber dies bestimmt immer weniger die Politik. Das neue militärische Hilfspaket Deutschlands für die Ukraine wäre noch vor wenigen Monaten in seinem Umfang unvorstellbar gewesen. Heute ist es nicht einmal mehr kontrovers. Auch Scholz’ klare Bekenntnisse zum ukrainischen Volk stellen in der deutschen Außenpolitik einen Fortschritt dar.

Dem ukrainischen Präsidenten als Opfer von Putins Wahn ist in den vergangenen Monaten die Rolle zugefallen, bei Auftritten in Washington, London, Paris, Brüssel, Den Haag, Rom und nun eben auch in Berlin seinen Gastgebern die nötigen öffentlichen Bekenntnisse für eine gerechte Weltordnung abzuringen. Das war mehr als nur Symbolpolitik. Es besteht nun augenscheinlich kein Zweifel mehr, dass erst das Ende jeder Besatzung ukrainischen Staatsgebiets Frieden bringen kann und dass die jeweiligen Staaten dabei eindeutig an der Seite der Ukraine stehen.

Ein solidarischeres Verständnis von Außenpolitik muss her

Es gehört nun zur deutschen Glaubwürdigkeit, dass Scholz’ Worte „Wir stehen zusammen“ nicht nur ein Lippenbekenntnis sein dürfen. „Zeitenwende“ darf nicht nur 100 Milliarden Euro mehr für die Bundeswehr bedeuten. Sie muss an erster Stelle ein anderes, solidarischeres Verständnis von Außenpolitik sein. Die Ukraine ist dafür jetzt der Test-, aber sicher langfristig kein Einzelfall.

Die Zeitenwende muss ihren unmittelbaren Ausdruck in einer klaren militärischen Niederlage Russlands in der Ukraine finden, und die Welt braucht darüber hinaus eine neue Form von Solidarität gegenüber Aggression und Unterdrückung jeder Art. Das wird zu Recht von vielen gefordert, denen die Ukraine weit weg erscheint. Hierin besteht die große Herausforderung, weit über den Ukrainekrieg hinaus.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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1 Kommentar

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  • "... die nötigen öffentlichen Bekenntnisse für eine gerechte Weltordnung."

    So sehr ich ansonsten Dominic Johnsons Auffassungen teile, darum geht es nicht, und das wäre mir persönlich auch zuviel Pathos.

    Es geht darum, dass die Verschiebung bestehender Grenzen mittels militärischer Gewalt und der systematische Bruch bestehender Verträge schlicht inakzeptabel ist.