Ukrainischer Präsident in Den Haag: Selenski will Putin vor Gericht

Der ukrainische Präsident fordert in den Niederlanden ein Tribunal für Moskaus Kriegsverbrechen. Das Vorbild: die Nürnberger Prozesse.

Selenski im grünen Shirt vor einer blauen Wand mit goldener Schrift "no Peace without Justice for Ukraine"

In der „Hauptstadt des internationalen Rechts“: Selenski am Donnerstag in den Niederlanden Foto: Yves Herman/reuters

AMSTERDAM taz | Russlands Präsident Wladimir Putin soll sich nach Worten des ukrainischen Präsidenten vor einem Sondertribunal wegen Kriegsverbrechen verantworten. Das forderte Wolodimir Selenski am Donnerstagmorgen bei einem spontanen Besuch in Den Haag. Den Angriff auf die Ukraine zu verurteilen, sei eine historische Verantwortung, und der Aggressor müsse die volle Macht der Gerechtigkeit zu spüren bekommen, so der ukrainische Präsident. Selenski bedankte sich bei den Niederlanden für die Unterstützung und „jede Waffe, die die Ukraine bekommen hat“.

Die Ansprache trug den Titel „Kein Frieden ohne Gerechtigkeit für die Ukraine“. Selenski plädierte darin für ein Sondertribunal für in der Ukraine begangene Kriegsverbrechen nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse. „Wenn wir wirkliche Gerechtigkeit wollen, dürfen wir nicht nach Entschuldigungen suchen und auf die Mängel des heutigen internationalen Rechts verweisen. Wir müssen tapfere Entscheidungen treffen.“ Sollte sein Land den Krieg gewinnen, werde Putin sich mit Sicherheit in Den Haag verantworten müssen. „Alle Angriffskriege der Geschichte haben etwas gemeinsam: die Täter dachten, sie könnten damit wegkommen.“

Die Symbolik von Inhalt und Schauplatz war deutlich. Er rühmte Den Haag als „Hauptstadt des internationalen Rechts“. Am Sitz der niederländischen Regierung befinden sich unter anderem der Internationale Strafgerichtshof (ICC) und der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen.

In unmittelbarer Nähe des Veranstaltungszentrums World Forum, wo Selenski auftrat, befand sich bis 2017 das Jugoslawien-Tribunal der Vereinten Nationen, wo sich unter anderem der serbische Ex-Präsident Slobodan Milošević, der 2006 in Haft verstarb, verantworten musste. Vor den Kosovo-Sonderkammern begann erst im April ein Prozess gegen den kosovarischen Ex-Präsidenten Hashim Thaçi, dem Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden.

Ein Prozess gegen Putin ist bislang eher wenig realistisch

Selenski besuchte auch den Internationalen Strafgerichtshof. Dieser hatte Mitte März wegen der Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland Haftbefehle gegen Putin und die Kinderrechts-Beauftragte der russischen Regierung erlassen.

Weil Russland kein Mitglied des ICC ist und dort keine Verfahren in Abwesenheit geführt werden, gilt ein Prozess gegen Putin dort bislang aber nicht als realistisch – zumindest nicht bis zu einem Regime-Wechsel in Russland. Die Signalwirkung der Haftbefehle ist dennoch hoch, unterstreichen sie doch die Ambitionen der internationalen Rechtsprechung. Wopke Hoekstra, der niederländische Außenminister, nannte eine Verurteilung Putins eine „ultimative Konsequenz“ des Haftbefehls.

Selenski erinnerte in seiner Ansprache nicht nur an die Opfer von mehr als 6.000 vermeintlichen Kriegsverbrechen seitens der russischen Besatzer allein im April, sondern auch an die Insassen des Passagierflugzeugs MH17. Dieses wurde, von Amsterdam kommend, im Juli 2014 über dem ostukrainischen Kriegsgebiet von einer Rakete abgeschossen. Ein niederländisches Gericht sieht die Verantwortung prorussischer Milizen als erwiesen an und Verurteilte im November drei Angeklagte in Abwesenheit zu lebenslangen Haftstrafen. Der vierte wurde freigesprochen.

Am Mittag traf der ukrainische Präsident mit dem niederländischen Premierminister Mark Rutte an dessen Amtssitz in Den Haag zusammen, der Selenski in einer Pressekonferenz weitere Unterstützung zusicherte: „Wie lange es auch dauert, und wie schwer es vielleicht auch ist.“ Auch der belgische Premierminister Alexander De Croo nahm an dem Treffen teil. Sowohl Den Haag als auch Brüssel befürworteten Waffenlieferungen an die Ukraine schon, als in Berlin darüber noch heftig gestritten wurde. Wie die Tageszeitung Volkskrant mutmaßte, könnte Ruttes Aussage darauf hinweisen, dass die Niederlande auch der Lieferung der von Kiew geforderten Kampfflugzeuge positiv gegenüberstehe.

Der Besuch Selenskis sorgte in den Niederlanden zudem für Spekulationen. Weil am Abend des 4. Mai in einer nationalen Gedenkfeier in Amsterdam der Opfer des Zweiten Weltkriegs gedacht wird, kamen Gerüchte auf, Selenski könne dort als Redner auftreten.

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