Selenski auf dem G7-Gipfel: Die Zaungäste des Krieges treffen
Beim G7-Gipfel in Hiroshima versucht Ukraines Präsident Selenski, Russlands Unterstützer im Globalen Süden auf die Seite seines Landes zu ziehen.
Vielleicht spürte er dort seine eigene Sehnsucht nach Frieden, vielleicht dachte er an die Drohungen von Russlands Präsident Wladimir Putin, Atomwaffen einzusetzen und die Ukraine womöglich so zu verwüsten, wie die USA es 1945 mit Hiroshima taten. Vor der Presse erklärte Selenski danach, bei seinem Besuch im Friedensmuseum hätten ihn die Fotos der Ruinen von Hiroshima, auch wenn der Vergleich historisch unangemessen sei, an die Zerstörungen in der ukrainischen Stadt Bachmut erinnert.
Kommentatoren im japanischen Fernsehen sprachen offen den Widerspruch an, dass ausgerechnet in der „Stadt des Friedens“ so viel über Waffenlieferungen an ein Land im Krieg diskutiert wurde. Bei aller Sympathie für die Ukraine, würden sich einige Japaner dabei unwohl fühlen.
Als Überraschungsgast dominierte Selenski den Gipfel, der einen „vollständigen Rückzug“ Russlands aus der Ukraine forderte und neue Sanktionen gegen die „Kriegsmaschine“ von Moskau beschloss. Bisher führten ihn seine Reisen zu westlichen Verbündeten, um neue Finanz- und Waffenpakete abzuholen. Auch in Hiroshima versicherten die G7-Staaten der Ukraine Hilfe so lange, „wie dies nötig ist“. Sie erfüllten auch einen lange gehegten Wunsch Selenskis: Ukrainische Piloten werden an F16-Kampfjets geschult. Damit ist der Weg frei für die Lieferung der modernen Flugzeuge an Kyjiw.
Lula will nicht reden
Doch Selenski sah den Gipfel mit seinen vielen Gästen aus dem Globalen Süden vor allem als Chance, auf Länder einzuwirken, die dem Krieg bisher als Zaungäste zuschauen. So dankte er Indiens Präsident Narendra Modi für seine Unterstützung der territorialen Integrität und Souveränität seines Landes und lud ihn ein, sich an der Umsetzung der ukrainischen „Friedensformel“ zu beteiligen. Indien ist ein wichtiger Abnehmer von Öl und Waffen aus Russland und erlaubt Moskau die Umgehung westlicher Sanktionen. Modi versicherte Selenski, Indien und er „werden alles tun, was wir können, um den Krieg zu beenden“.
Brasiliens Präsident Lula da Silva, der die Gründung eines „Friedensklubs“ mit China vorgeschlagen hatte, ignorierte die ukrainische Anfrage nach einem Treffen. Aber Selenski konnte seinen Appell bei einer G7-Gesprächsrunde vortragen, in der da Silva zusammen mit Modi und Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol saß. Der Ukrainer konferierte auch direkt mit dem indonesischen Präsidenten Joko Widodo. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron sprach von einer „einzigartigen Gelegenheit“ für Selenski, den Ländern des Südens „eine Botschaft zu vermitteln“. Kanzler Scholz bezeichnete die Anwesenheit des Ukrainers als „ganz wichtig“, auch wegen der „ganz neuen Intensität der Gesprächsführung auf Augenhöhe“ mit den Südländern.
Vor Hiroshima hatte Selenski überraschend auf dem Gipfel der Arabischen Liga gesprochen. Der saudische König Salman hatte ihn eingeladen, obwohl viele Golfstaaten gute Beziehungen zu Russland unterhalten. „Leider drücken einige auf der Welt und hier in Ihrem Kreis ein Auge zu“, sagte Selenski in Dschidda. Aber er sei hier, damit sich jeder einen eigenen Eindruck verschaffen könne. Auf dem Flug nach Tokio kam es noch zu einer positiven Geste des wichtigsten Bündnispartners von Russland: China erlaubte es dem von Macron organisierten französischen Flugzeug mit Selenski, seinen Luftraum zu durchqueren.
Allerdings drückte die Regierung in Peking später ihre „starke Unzufriedenheit“ mit den G7-Erklärungen aus. Die Gruppe hatte China „wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen“ vorgeworfen, ohne das Land namentlich zu benennen, und angekündigt, ihre ökonomischen Abhängigkeiten von der zweitgrößten Volkswirtschaft zu verringern. Die G7 „unterdrückt die Entwicklung anderer Länder“, kritisierte ein Außenamtssprecher. Der russische Außenminister Sergei Lawrow warf den G7 vor, sie wollten Russland auch als geopolitischen Mitbewerber eliminieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag