Selektoren der NSA in Deutschland: Und noch eine „Ungeheuerlichkeit“
Hat die US-Regierung Deutschland verboten, die NSA-Spähliste des BND zu veröffentlichen? Das Weiße Haus sagt: Nein.
BERLIN taz | Seit Ende Juli hat Kurt Graulich ein Zimmer beim BND bezogen, brütet dort über die Liste mit 40.000 Selektoren. Telefonnummern, E-Mail- und IP-Adressen – allesamt Zielbegriffe der NSA, die der BND für den US-Dienst ausspähen sollte.
Die Arbeit des Sachverständigen Graulich ist ein Kompromiss: Die Bundesregierung hatte dem Bundestag eine direkte Einsicht in die heiß diskutierte Liste verweigert – ohne Zustimmung der USA wäre sie ein „Verstoß gegen das Völkerrecht“.
Nur: Haben die USA die Einsichtnahme tatsächlich verweigert? Die Zeit zitiert nun Mitarbeiter des Weißen Hauses, die zwar „Bedenken“ äußerten, ob in Berlin wirklich „geheim bleibt, was geheim bleiben soll“. Die Entscheidung über die Liste habe man aber der Bundesregierung überlassen. Auch sei es eine „absolute Mär“, dass die USA gedroht hätten, die Geheimdienstkooperation einzuschränken, sollte die Liste öffentlich werden.
Die Opposition ist empört. Stimme dies, so der Grünen-Obmann im NSA-Ausschuss, Konstantin von Notz, wäre das „ein weiterer handfester Skandal in einer ganzen Reihe von Ungeheuerlichkeiten“. Die Regierung hätte das Parlament „bewusst belogen“. Linken-Obfrau Martina Renner warf der Regierung „Vertuschungsstrategie“ vor. Diese müsse ihre Kommunikation mit der US-Regierung dem Ausschuss nun offenlegen.
Verfassungsklage kommt
Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Mittwoch, er könne sich zu vertraulichen Gesprächen nicht äußern, dementierte aber nicht. Im Gegenteil: Seibert sagte, es sei „immer klar“ gewesen, „dass nach dem Konsultationsverfahren die Bundesregierung ihre eigene Entscheidung zu treffen hat, und das hat sie getan“.
Die Opposition bereitet bereits eine Klage beim Bundesverfassungsgericht vor, um die Spähliste einzusehen. „Der jetzige Vorgang bestätigt uns in diesem Vorhaben“, so von Notz.
Hellhörig wurde auch die G-10-Kommission des Bundestags. Das Gremium genehmigt die Überwachungsmaßnahmen der deutschen Geheimdienste – und prüft ebenso eine Klage auf Einsicht in die Liste. „Wenn die Sachlage so zutrifft“, hieß es dort, „gibt es keine Gründe mehr, uns die Liste vorzuenthalten“. Zumindest wolle man die „ungefilterten“ Ergebnisse Graulichs erfahren.
Derweil belastet Ex-BND-Chef Ernst Uhrlau Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Dieser sei 2003, damals als Kanzleramtschef, über eine deutsch-amerikanische Großabhöraktion „inhaltlich unterrichtet“ gewesen, so Uhrlau zur Zeit. Der BND hatte von 2004 bis 2008 für die NSA den Internetknoten in Frankfurt am Main angezapft. Von Notz forderte die schnelle Vernehmung von Steinmeier im NSA-Ausschuss.
Leser*innenkommentare
joha
Abhilfe, die wirklich hilft: LINKE wählen. Das ganze Rumgeeiere und Gejammer von den Pseudostrategen ist lächerlich, die LINKE muß die nächste Regierung dominieren. Dazu kommen die echte Sozis und die wirklich Grünen aus der Basis. Die abgehalfterten Karrierehampelmänner mit grünem und roten Parteibuch gehören verjagt.
Index
Abhilfe für diese ganzen elenden Missstände, wenn auch spät:
Herbst 2017 Merkel zum Tempel rausjagen.
Endgültig.
Christian Langer
Dann kommt eine neue US-hörige Figur und wird genau das machen, was Frau Merkel tut.
Interessant das zu den brisanten Fragen von Merkel direkt immer nichts zu hören ist und wenn, dann sehr spät.
76530 (Profil gelöscht)
Gast
Marionettenparlament: NEIN. Der obige Artikel zeigt gerade das Gegenteil auf: die deutsche Regierung hat demnach nicht auf Weisung aus Washington, sondern aus ganz eigenen machtpolitischen Erwägungen gehandelt.
Peter Pahn
@76530 (Profil gelöscht) Das ist doch Quatsch! Es werden immer nur die Menschen an den Hebeln benutzt. In diesem Fall hat Steinmeier den Hering geschluckt. Dass ausgerechnet Uhrlau auf ihn schiesst zeigt nur, dass man sich aus der Schusslinie bewegt und das Feuer auf den dedicated fall guy lenkt. Die nächsten nützlichen Idioten warten schon. Im Falle der Ukraine waren sie z.B. grün. Wer einem Geheimdienst glaubt, dem ist nicht zu helfen. Das einzige was hilft, ist eine Spende an wikileaks...
76530 (Profil gelöscht)
Gast
Wie beeindruckend schlüssig argumentiert. So differenziert und nuancenreich.
Wenn jemand Worte wie 'immer', 'niemals', 'alle' benutzt, läuten bei mir die Glocken: da ist einer in Sachen Ausschliesslichkeit unterwegs.
robby
Haben wir nun statthafte Volksvertreter oder nur noch ein Marionettenparlament a la Kauder? Es ist schwer zu begreifen, wie all die Abgeordneten daheim im Wahlkreis den großen Macker machen und in Berlin zu Kreuze kriechen um ihr Pöstchen nicht zu gefährden......