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Selbstauflösung des Landtags abgeblasenThüringen vor der Unregierbarkeit

Michael Bartsch
Kommentar von Michael Bartsch

Doch keine Neuwahl. Damit endet eine Phase pragmatischer Zusammenarbeit zwischen der rot-rot-grünen Minderheitsregierung und der CDU.

Doch keine Sondersitzung: Sommerpause für Thüringer Abgeordnete gerettet Foto: Martin Schutt/dpa

I m vorigen Jahr sprang die CDU Thüringen noch über ihren Schatten – und über den der Bundespartei erst recht. Nach der Landtagswahl vom Oktober 2019 ohne Mehrheiten jenseits von AfD und Linkspartei und der Vorführung des Parlaments mit einem Scheinkandidaten durch eine gewissenlose AfD am 5.Februar 2020 schien sie ein „Thüringen first“ ausgerufen zu haben. Scheinbar altruistisch tolerierte sie mit dem „Stabilitätsmechanismus“ faktisch die rot-rot-grüne Minderheitsregierung Bodo Ramelows. In der Praxis sogar eine komfortable Mitregierungsoption, weil ohne Projektzustimmungen der Union nichts lief.

Das letzte dieser Projekte sollte ein gemeinsamer Beschluss zur Selbstauflösung des Landtags am kommenden Montag sein. Wechselnde Mehrheiten im Dienst pragmatischer Lösungen erscheinen nach wie vor zu revolutionär, auch wenn sie die linke Sozialministerin Heike Werner gerade noch einmal ins Gespräch brachte. Von einer Neuwahl parallel zur Bundestagswahl wurden klassische Mehrheiten erhofft.

Dass es nicht dazu kommen wird, hat nichts mit den Umfragen dieses Jahres zu tun, die gegenüber 2019 kaum veränderte Mehrheitsverhältnisse, also auch kein besseres CDU-Ergebnis erwarten lassen. Die Rücknahme des aussichtslos gewordenen Auflösungsantrages durch Linke und Grüne am Freitag bot der CDU Gelegenheit, den Schwarzen Peter loszuwerden. Als ob vergessen wäre, dass schon Ende Mai vier Verweigerer der CDU die erforderliche Zweidrittelmehrheit kippten.

Feige erklären sie bis heute nicht, warum sie keine Neuwahl wollen. Ein ziemlich bedeppert wirkender CDU-Fraktionschef Mario Voigt sprach am Freitag nur von deren „Gewissensentscheidung“, wohl wissend, dass es einen fürchterlichen Fraktionskrach gab. Auch ein Professor wie Voigt hat die gleich in mehrere Lager gespaltene CDU-Fraktion nicht im Griff. Nur vermutet werden kann, dass es sich bei den vier Verweigerern um regelrechte Kommunistenhasser handelt, die um keinen Preis ein Arrangement mit der Linken wollen. Bei Michael Heym, der in Südthüringen die Kandidatur von Ex-VS-Präsident Hans-Georg Maaßen einfädelte, spricht einiges dafür.

Aber auch zumindest zwei Abgeordnete der Linken sollten demütig ihr Haupt senken. Sie „dickschten“ ebenfalls, wie man nebenan in Sachsen sagen würde, weil ihnen das Angebot der Noch-FDP-Abgeordneten Ute Bergner zur Mehrheitsbeschaffung suspekt erschien. Deren angestrebte neue Partei „Bürger für Thüringen“ riecht verschwörerisch und verquerdenkend.

Immerhin bestand noch Konsens, bei der Selbstauflösung nicht auf die AfD angewiesen sein zu wollen. Der Schock ihres Votums für den Quickie-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich von der FDP 2020 wirkt nach. Aber erneut kann sich die hartnäckig bei 23 Prozent gehandelte AfD am Dilemma der anderen fünf Parteien weiden, wozu die vier CDU-Abweichler erheblich beigetragen haben.

Mit „Verantwortung für Thüringen“ hat dieser schwarze Freitag nichts zu tun. Nach der nun auch noch von Mario Voigt ausgesprochenen Absage an jegliche Zusammenarbeit mit der RRG-Minderheitskoalition droht Unregierbarkeit – bis 2024!

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Michael Bartsch
Inlandskorrespondent
Seit 2001 Korrespondent in Dresden für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Geboren 1953 in Meiningen, Schulzeit in Erfurt, Studium Informationstechnik in Dresden. 1990 über die DDR-Bürgerbewegung Wechsel in den Journalismus, ab 1993 Freiberufler. Tätig für zahlreiche Printmedien und den Hörfunk, Moderationen, Broschüren, Bücher (Belletristik, Lyrik, politisches Buch „System Biedenkopf“). Im Nebenberuf Musiker.
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6 Kommentare

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  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    Ich sehe das nicht so tragisch, denn offenbar hat Ramelow die Situation seit Februar 2020 auch einigermaßen geschaukelt...

    Im Parlamentsalltag sind halt auch die Hürden nicht so hoch und wenn ein paar Kommunistenfresser bei der CDU nicht mitmachen wollen und ein paar Kommunisten die Kompromisse für die Duldung nicht mittragen wollen, dann kostet das nicht gleich die Mehrheit. Die Thüringer sind gut im durschwurschteln... ;)

    Ich glaube sogar, dass viele CDU-Wähler mit ihm als Minipräs gut leben können. Sie wählen ihn nicht, aber sind auch nicht unglücklich mit ihm.

  • Die CDU hat eine Tolerierung der Minderheitsregierung zugesagt. Also muss sie sie auch sauber beenden oder fortführen. Sie kann nicht zu ihrem Privatvergnügen eine handlungsunfähige Regierung erzwingen. Sie kann diese auch nicht zwingen, auf AfD-Stimmen zurückzugreifen und sich so selbst zu diskreditieren.

    Dem "demokratischen Konsens", nicht mit der AfD zu kooperieren, hat sie sich schließlich angeschlossen. Nun taktiert sie (einige in der Fraktion) erneut unter Ausnutzung der AfD. Sie will nun offenbar mit dem billigen Mittel der Totalverweigerung die Regierung vorführen und disqualifiziert sich somit selbst als verantwortungsbewusste demokratische Partei.

  • Jetzt sind Neuwahlen fällig - alles andere wäre eine Desavourierung des Souveräns

  • Kann Bodo Ramelow jetzt nicht noch die Vertrauensfrage stellen? Wenn die CDU nicht mehr mitmachen will, dann dürfte es da doch eigentlich keine Mehrheit für geben. Und wenn sich dann keine neue Landesregierung findet, wäre eine Auflösung des Parlaments auch nur eine Frage der Zeit.

  • fragt sich, ob die Selbstauflösung des Landtags mit AFD-Stimmen nicht das kleinere Übel gewesen wäre.

    • @nutzer:

      In einer Demokratie gewiss.