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Seenotrettung im MittelmeerHandeln ohne Profit

Warum werden die Seenotretter kriminalisiert? Sie rufen Europa ein humanistisches Denken in Erinnerung, das die Festung Europa für überflüssig erklärt.

Die „Sea-Watch 3“ vor der libyschen Küste Foto: Chris Grodotzki/Jib Collective/Sea Watch.org

D ie Bilder, die auftauchen, wenn es heute um Seenotrettung geht, sind jene von Booten voller Menschen, die auf dem Meer herumirren. Sie sind wie das ferne Echo einer anderen Irrfahrt – jener des Odysseus.

Dessen Odyssee steht exemplarisch am Beginn der abendländischen Kultur. Jahrelang irrte der Grieche auf dem Heimweg von Troja nach Ithaka auf dem Meer herum. Es ist dies eine Geschichte von Grenzverletzungen und Strafe. Von Schiffbruch und Identitätsverlust.

Vor allem aber erzählt sie von jenen Verhaltensweisen, die für die damals aufkommende Kolonisierung lebensnotwendig sind: Gefahren auf sich nehmen, Strapazen aushalten, ins Ungewisse aufbrechen, das Ausgesetztsein ertragen. Aber das, was in der Antike eine Heldengeschichte war: der Held, der sich aufs Meer begibt, um sich zu finden; das, was eine abendländische Ermächtigungserzählung war, aus der das europäische Subjekt hervorging – das kehrt nun in umgekehrter Form zurück.

Carola Rackete hat die Falschen gerettet

Die Bedrängten, die Flüchtenden begeben sich nun in anderer Richtung aufs Meer. Aber trotz der Gefahren, der Strapazen und des Ausgesetztseins macht sie das heute nicht zu Helden, sondern zu jenen, die keiner will. Sie sind „Überflüssige“. Carola Rackete hat die Falschen gerettet. Hätte sie Europäer gerettet, wäre sie nicht verhaftet, sondern gefeiert worden. Menschsein reicht nicht fürs Leben. Das ist die erste Lektion.

Greifen die Retter dort ein, wo die europäische Flüchtlingspolitik versagt, wie man immer wieder hört? Das wäre die freundliche Variante. Tatsächlich besteht diese Politik nicht nur in der Uneinigkeit bei der Flüchtlingsverteilung, sondern vor allem auch in einer stillen Einigkeit: Einig ist man beim Ausbau der Festung Europa. Dies bedeutet Frontex – ein militarisiertes Grenzsystem. Dies bedeutet Verträge mit Akteuren vor Ort und seien es dubio­seste Warlords. Wie etwa das Abkommen mit Libyen, das jene verheerenden Horrorlager ermöglicht, vor denen das UNHCR warnt.

Und dies bedeutet eine Gesetzgebung wie jene Salvinis, die die Seenotretter kriminalisiert. Die tatsächliche Anordnung lautet also nicht: Retter intervenieren dort, wo Europas Politik abwesend ist. Sie lautet vielmehr: Retter gegen die Festung Europa. Das sind die zwei Gesichter dieses janusköpfigen Kontinents.

Salvini ist nicht Kreon

Vielerorts wird Carola Rackete ob ihres entschlossenen Handelns gegen die Vorgaben der italienischen Autoritäten mit Antigone verglichen. Mit jener antiken Heldin, die den im Kampf gefallenen Bruder gegen den Erlass des amtierenden Herrschers Kreon dennoch bestattet. Wie Antigone folgte auch Rackete einem anderen Recht und stellte sich gegen den Befehl. Wie Antigone war auch sie bereit, sich der weltlichen Rechtsprechung zu unterwerfen.

Das ist ein Akt zivilen Ungehorsams: Man verstößt aus Gewissensgründen gegen rechtliche Normen und nimmt die Folgen seiner Handlung bewusst in Kauf. „Ich weiß, was ich riskiere“, meinte sie. Das ist ein Pflichthandeln. Ohne Profit. Es entzieht sich der Tauschlogik.

Wie bei Antigone ist es auch hier eine Gegenüberstellung von jung gegen alt (oder älter). Mann gegen Frau. Alte Seegesetze gegen neue Gesetze der italienischen Regierung. Aber an diesem Punkt bricht die Analogie wieder. Bei Sophokles’ „Antigone“ geht es um den Konflikt zweier unversöhnlicher sittlicher Ansprüche: jener der Familie auf Bestattung und jener des Staates auf Feindschaft. Salvini hingegen ist nicht Kreon.

Er hat die Rechtslage nach eigenem Gutdünken verändert mit seinem Dekret, welches die Einfahrt von NGO-Schiffen in italienische Gewässer untersagt. Ein Dekret, das sowohl gegen die italienische Verfassung als auch gegen das geltende Seerecht verstößt. Keine neue Sittlichkeit, sondern ein widerrechtliches Gesetz.

Warum aber werden die Retter kriminalisiert? Nicht wegen der paar Geretteten. Sondern wegen der Moral, die sie in Erinnerung rufen und die sie nähren (und die auch sie nährt, wie die Spenden belegen). Dieser humanistischen Moral bedarf die Festung Europa nicht. Sie ist überflüssig. Das ist die zweite Lektion.

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6 Kommentare

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  • Ich weiß nicht, ob die Odyssee hier ein guter Vergleich ist. Damals wurde viel draufgehauen und abgeschlachtet - das waren zuerst mal die Taten der Helden.

    Für heute weiß ich für mich nur: wenn man die Anklagen dieses Artikels und unzähliger ähnlicher Artikel ernst nimmt, reicht es nicht sich hinter ein paar Grünen zu verstecken und gegen die AFD zu sein. Es reicht auch nicht ein wenig beizutragen, um Menschen vor Libyen aus dem Meer zu fischen. Gestorben und gelitten wird an vielen anderen Orten. Auch in weit höherem Maße. Und hinter den Seenot-Flüchtlingen steht für viele zuerst nicht der Tod, sondern die Hoffnung auf Chancen. Davon gibt es sehr viele Menschen.

    Wenn man das wirklich wie in diesem Artikel ernst nimmt, bitte ich um Meldung, was man tun will.

    Wenn man eigentlich nichts tut, außer, dass man stramm gegen Seehofer oder Salvini ist, aber faktisch vielleicht 10% mehr tut (echte Hilfe, die bei den Massen ankommt), oder bei genauem Hinsehen oft sogar weniger (nachhaltige Hilfe für die großen Massen kam z.B. bisher oft vom Großkapital und "Big-Invest"), dann finde ich Anklagen wie in diesem Artikel menschlich sehr mies und gesellschaftlich zerstörerisch. Was soll das beitragen? Nur die paar Hundert oder Tausend aufnehmen - das soll es dann sein? Oder offene Grenzen - wirklich? Mit welchem Ziel und um was dadurch für wen und wieviele zu verbessern?

    Aber ok, wenn die Mehrheit wirklich offene Grenzen will, dann würde ich nicht im Weg stehen. Mir wäre es nur wichtig, dass gerade die, die dafür waren, dann nicht auf Posten ausweichen, auf denen sie meinen, dass sie dann noch vorgeben können, wie hier was zu laufen hat. Offene Grenzen heißt offen, für neue gleichberechtigte Mitbürger, mit dann selbstverständlich neuen Regeln, die alleine durch die Zahl die Neuen festlegen. Schlecht wird das nicht - aber wahrscheinlich anders. Afrika wird es trotzdem wenig helfen.

    • @Markus Michaelis:

      Es geht nicht um offene Grenzen, es geht nicht um "Afrika helfen" (Braunrote Ausrede), es geht um menschliche Leben. Es geht auch um Recht und um völkerrechtliche Pflichten (Genfer Abkommen usw). Wer angekommen ist ist gerettet. Dann hat er oder sie die Möglichkeit zu versuchen sein/ihr Recht auf Asyl oder auf Familienzusammenleben gelten zu machen. Wenn er dabei abgelehnt ist darf er oder sie nicht unbedingt bleiben, das ist aber eine andere Frage.



      Zur Zeit haben wir die Politik vom Ertrinken als Abschreckung, der Kriminaliesierung der Hilfe und der Outsourcing zugünsten Henker, Sklavenhändler und Folterer. Was in ihrem Kommentar wie oft verschwiegen ist (aus Angst vor den "vielen Menschen", also vor der angeblichen grossen Welle, die unseren Wohlstand und unsere "Kultur" in Gefahr brächte?). Unsere Staaten werden dafür eine geschichtliche Verantwortlichkeit tragen und diese Reden sind sehr alt. Sieh Jürgen Osterhammel (Die Verwandlung der Welt) über die Migrationen im XIX jhdt..

      • @Eulenspiegel:

        @Eulenspiegel: Ich nehme Ihren Standpunkt zur Kenntnis (soweit ich ihn verstehe), respektiere, dass man so eine Meinung haben kann und habe keine Ahnung was am Ende zu welchem Ergebnis führen wird.

        Was ich für mich weiß, dass ich ihren Standpunkt ohne massive Bauchschmerzen für mich selber nicht vertreten kann. Für mich selber hört sich dieser Standpunkt wie folgt an: ICH definiere, welche Gesetze gelten (welche aus dem Zoo von Gesetzen ich mir rauspicke), wer nach MEINEN Gesetzen (natürlich haben viele Ihre Definition, aber viel mehr eben eine andere) zufällig asylberechtigt ist (meine Definition von Asyl etc.), der kann bleiben usw. usw. Das kann man so machen. Die meisten lehnen Sie dann auch ab. Nach Ihren Gesetzen. Die meisten, die gerne kommen würden, leiden weiter oder hoffen weiter auf Chancen. Für alle, die sich nicht an IHR Regelwerk halten, müssen Sie genauso abschrecken, Riegel vorschieben etc.

        Was an Ihrem Standpunkt ist jetzt grundsätzlich besser oder anders? Für mich hört sich das nur so an, dass Sie ein paar Begriffe in den Raum stellen, die für Sie irgendeine absolute Bedeutung haben (Ihr Asyl etc.), weswegen Ihr vorgehen jetzt anders sein soll. In der Praxis sehe ich keinen Unterschied.

        Italien und Deutschland haben über Jahrzehnte immerhin mehr oder weniger alle Leute genommen, die irgendwie ankamen, egal auf welchem Weg und nach welchen Gesetzen. Das ist dann doch eigentlich schon viel mehr, als Sie zugestehen würden?

  • herzlichen Dank für Ihre Zeilen.



    Da bin ich zu mehr als 100% Ihrer Meinung.



    Durch Ihren Beitrag mit korrekter Einordnung der Wahrheit unserer humanistischen Moral, können wir diese auch vor deren Feinden ( wie Salvini, Seehofer, Müller, Söder, Orban, Höcke, Trump, Merz, Putin, etc.) schützen.



    Nochmals herzlichen Dank.

  • Beim Lesen dieses Artikels entsteht der Eindruck, dass sich die Autorin zwar mit griechischer Mythologie beschäftigt hat, es aber entweder unterlassen hat dabei gründlich vorzugehen, oder sich einzelne Aspekte der Mythen herausgesucht hat, um sie einem anachronistischen Narrativ anzupassen.



    Wenn wir aber den philologisch hoch problematischen anachronistischen Ansatz verfolgen, so wäre Odysseus nach heutigem Maßstab kein Flüchtling, den man guten Gewissens aufnehmen sollte: er war der Zerstörer Troias, derjenige der die Griechen zur Tötung des Sohnes Hektors, der noch ein Kind war, ermunterte und der Grund für seine Irrfahrt war, dass Poseidon ihm wegen der Zerstörung Troias zürnte.



    Dass sie so lange andauerte, lag daran, dass Odysseus während der Irrfahrt gegen Poseidon lästerte und einem seiner Söhne das Auge ausstach. Zuletzt tötet er mit Hilfe seines Sohnes über hundert Leute, die in seinem Haus lagern und seine 'Witwe' heiraten wollten.



    Zuletzt sei gesagt, dass sich Odysseus auf der Rückkehr in seine ursprüngliche Heimat von einem Krieg befand an dem er massiven Anteil hatte.



    Wenn man schon antike Erzählungen für eine Agenda instrumentalisieren möchte, dann sollte man dies auch bitte konsequent tun.

    Zu den Ausführungen über Antigone wäre ebenfalls einiges zu sagen, aber ich möchte hier keinen Aufsatz verfassen.

  • "Handeln ohne Profit"



    Profit besteht nicht nur aus monetären Zuwendungen.