Seenotrettung – Kladde von Anett Selle: Auf dem Meer gibt es keine Pause
Für die #Yachtfleet-Demo trainieren die Crews, zusammenzuarbeiten und auch Menschen zu retten. Wann sie aufbrechen, ist noch unklar.
Ein klassischer Segelausflug beginnt morgens bei gutem Wetter und endet abends im Hafen mit einem Glas Wein. Oder zweien. Doch Breu und Blawert trainieren nicht für einen Segelausflug, sondern für eine Demo für Seenotrettung auf dem Mittelmeer: vier Boote, zwei Wochen. Kein Hafen, nur Wasser, und wer weiß, was für Wetter. Kein Wein. Alkohol ist unerwünscht.
Bevor die „#Yachtfleet“ von Mission Lifeline diese Woche ablegt, trainieren die Crews jeden Tag, seit vergangenem Donnerstag. Einige der 30 Crewmitglieder, ob Breu oder Blawert, der Arzt Gerhard Meyer oder die humanitäre Nothelferin Andrea Quaden, haben wenig bis keine Segelerfahrung. Auf dem Meer gibt es keine Pause und die Crews sind nicht groß.
„Das wird kein klassischer Segelturn: ‚Heute ist schönes Wetter und wenn wir keinen Bock mehr haben, fahren wir rein‘“, sagt Martin Ernst. Er ist einer der erfahrenen Seefahrer*innen und hilft beim Training. Am Ende soll jedes Crewmitglied in der Lage sein, das jeweilige Boot allein zu steuern. Auch nachts. „Einer muss immer draußen sein. Deswegen gibt es dann Vier-Stunden-Schichten.“
Dieser und viele weitere Artikel wurden durch finanzielle Unterstützung des Auslandsrecherchefonds ermöglicht.
Beim Training haben die Crews bislang Glück: Sonne, sanfter Wind, kaum Wellengang. Bei starkem Wind allerdings kann ein Segelboot auch so weit zur Seite kippen, dass der Mast bei voller Fahrt beinahe parallel zum Wasser liegt. „Gerade wenn die Gischt auf das Boot rüberkommt und einen die ganze Zeit nass spritzt, wird man durchgeweicht und klamm“, sagt Ernst. „Das wird anstrengend, physisch oder mental.“
Was das Training außerdem bringen soll, ist Gruppengefühl. Die Teams stehen fest, die Boote sind zugeteilt: Jede Crew soll lernen, zusammenzuarbeiten, auf und mit ihrem Boot. Die Besatzung segelt zusammen, kocht zusammen, isst zusammen, wohnt zusammen – wird seekrank zusammen.
Die Belastungsstörung verhindern
Für zwei Wochen auf See wird jede Crew eine Wohngemeinschaft sein, die so ziemlich alles zusammen macht. Sogar schlafen: Auf zwei der Boote teilt man sich Doppelbetten. „Man wird sich gut kennen und muss miteinander können“, sagt Ernst. Ausnahmen gibt es nur auf dem größten Boot, das abseits liegt, auf der anderen Hafenseite: Da sind Journalist*innen untergebracht, die über Beiboote hin und her wechseln.
#Yachtfleet ist ein Protest von Mission Lifeline auf dem Mittelmeer. Vom 6. bis etwa 23. Juni kommen zivile Seenotretter*innen auf privaten Yachten zusammen, trainieren und retten Menschen in Seenot. Auch an Bord ist taz-Reporterin Anett Selle und streamt live auf Periscope. Hier notiert sie dreimal pro Woche, was um sie herum passiert. Bisher erschienen diese Teile:
Das Segeln lernen die Crews von ihren Skippern, den Kapitänen der Boote. Martin Ernst hingegen, trainiert die Crews im Beiboot-Fahren: Die sogenannten Rhibs sehen aus wie eine Kreuzung aus motorisiertem Schlauch- und Ruderboot. Sie sind schnell, wendig und kommen zum Einsatz, falls Menschen in Seenot sind. Auch für diesen Fall trainieren die Crews.
Um sie auch psychisch möglichst gut auf die bevorstehende Demo vorzubereiten, ist Sabine Schönfeld angereist. Die Psychologin erklärt, dass ein gutes Teamklima helfen kann, posttraumatische Belastungsstörungen zu vermeiden. Außerdem sollten die Crews potenziell traumatisierende Situationen trainieren. „Zum Beispiel, dass man möglicherweise Menschen begegnet, die man nicht retten kann. Es ist wichtig, dass alle wissen, wie sie in dem Moment reagieren, auch als Team. Dass man sie nicht trainiert, macht solche Situationen nicht weniger wahrscheinlich.“
An welchem Tag die Segelboote der „#Yachtfleet“-Demonstration diese Woche aufbrechen, steht noch nicht fest. Ein paar Probleme sind aufgetaucht: Ein Segelboot hatte zwischenzeitlich einen Motorschaden, wegen „Dieselpest“. Bakterien, die Schleim produzieren und die Filter verstopfen. Ein Rhib sprang nicht mehr an. Ein Segelboot wird noch gewartet.
Aufbruch Richtung Rettungszone
Auch nach der EU-Wahl ist unklar, wie sich Europas Asylpolitik entwickelt. Auf dem Mittelmeer spielen sich derweil täglich neue Dramen ab. Zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni berichtet die taz ab dem 3. bis zum 24. Juni schwerpunktmäßig in Berichten, Reportagen, Interviews und Livestreams zu den globalen Flüchtlingszahlen, Protesten und Rettungen auf dem Mittelmeer, der Lage an den EU-Außengrenzen sowie zu den Asyl-Plänen von Innenminister Horst Seehofer. Die gesamte Berichterstattung finden Sie auf taz.de/flucht
Am Sonntagnachmittag verlässt trotzdem ein Rettungsschiff die sizilianischen Gewässer – die „Sea Watch 3“. Anders als die Segelboote der Demo von Mission Lifeline ist sie für Rettungen ausgelegt. Sie ist drei- bis viermal so lang: rund 50 Meter. Auf verschiedenen Etagen – den Decks – verfügt sie unter anderem über einen Ankunftsbereich, wo die geretteten Menschen an Bord kommen, eine Reisküche, eine Krankenstation. Und Notduschen: Viele Menschen aus den Schlauchbooten haben Verbrennungen, weil Treibstoffmixe mit Fäkalien und Salzwasser auf der Haut reagieren.
Als die „Sea Watch 3“ den Hafen verlässt, geben ihr zwei Boote der „#Yachtfleet“ Geleit und wünschen per Funk viel Glück. Andere Mitglieder der Yachtfleet-Crews stehen oben auf der Hafenumrandung, winken dem Schiff hinterher und rufen. Die „Sea Watch“ erwidert die Wünsche per Funk – und oben aus der Brücke strömen ein paar Menschen, winken und brüllen zurück. Wenig später ist die „Sea Watch 3“ nicht mehr zu sehen. Verschwunden Richtung Such- und Rettungszone.
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