Seenotretter über seine politische Agenda: „Sichere Fluchtwege bieten“
Der Seenotretter Julian Pahlke will für die Grünen in den Bundestag. Ein Gespräch über Flucht, Schwarz-Grün und seine roten Linien in der Politik.
taz: Herr Pahlke, Sie waren als Studierender im Vorstand des Vereins Jugend Rettet und sind bis heute im Bereich der Seenotrettung im Mittelmeer aktiv. Jetzt wollen Sie für die Grünen in den Bundestag. Warum?
Julian Pahlke: Ich war selber mehrfach auf dem Mittelmeer und habe dort gesehen, was Politik anrichten kann. Mit der zivilen Seenotrettung versuchen wir die Lücke zu schließen, die Regierungen dort hinterlassen. Wir bergen Leichen, retten – und stehen am Ende doch vor den geschlossen Häfen. In Europa landen gleichzeitig Tausende in Lagern wie Moria. Dabei haben sich allein in Deutschland über 200 deutsche Städte zu einem ‚Sicheren Hafen‘ erklärt. Doch der Innenminister Horst Seehofer verbietet ihnen, Geflüchtete direkt aufzunehmen. Wir haben als AktivistInnen viel erreicht, aber die Gesetze werden im Bundestag gemacht. Von dort aus will ich die Situation von Menschen auf der Flucht verbessern.
Und wie?
Wir brauchen im Bundestag mehr Verteidiger*innen der Menschenrechte, die im Parlament die Perspektive von Bewegungen einbringen. Wir haben als Seenotretter*innen mit hunderttausenden Menschen demonstriert und mit der „Seebrücke“ dafür gesorgt, dass 200 Städte sich als „Sichere Häfen“ positionieren. Das ist ein immenser Erfolg für unsere Arbeit. Weitere tausende Freiwillige haben immer wieder dafür gesorgt, dass unsere Schiffe auf dem Mittelmeer unterwegs sind, weil sie sich mit der Situation dort nicht abfinden wollen. Mit meiner Kandidatur will ich eine Brücke von der Straße ins Parlament bauen.
Die Grünen haben im Bundestag und im EU-Parlament doch schon eine Reihe von Leuten, die Themen wie Flucht und Seenotrettung sehr engagiert bearbeiten.
Es stimmt, dass es in der grünen Fraktion viele wahnsinnig engagierte Menschen gibt. Aber meine Perspektive als Seenotretter ist im Bundestag neu. Ich habe bei meiner Arbeit für Sea Eye und Jugend Rettet immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es entscheidend für die politische Arbeit ist, die Situation der Menschen an den Außengrenzen zu kennen. Ich will diese Perspektive jetzt ins Parlament einbringen. Durch die Klimakrise sind Flucht und Migration zentrale Themen meiner Generation.
Bei den Grünen klafft oft eine teils enorme Lücke zwischen ihren Positionen in der Opposition und dem Handeln als Regierung. Wenn nächstes Jahr eine Schwarz-Grüne Regierung an der Kollaboration mit der libyschen Küstenwache festhalten würde – was würden Sie tun?
Seit 15 Jahren haben die Grünen nicht mehr im Bund regiert. Da ist die Lücke zwischen Regierungshandeln und Opposition vor allem eine zeitliche. Jetzt zum zweiten Teil der Frage: Ich trete für die kommunale Aufnahme flüchtender Menschen in Deutschland an. Aber natürlich wird es auch in der Regierungsarbeit Situationen geben, mit denen ich nicht einverstanden bin...
Zum Beispiel?
Abschiebungen, oder das Zurückbringen von Geretteten nach Libyen. Das ist natürlich immer auch eine Sache von Zuständigkeit in der EU. Man kann da nicht über jeden Politikbereich bestimmen.
In Österreich kann man sehen wohin das führt: In der schwarz-grünen Regierungskoalition bestimmt die hart konservative ÖVP die Innenpolitik praktisch allein.
Die Koalition in Österreich ist nicht mit der Situation hier zu vergleichen. Da ging es auch darum, mit der FPÖ bekennende Faschisten aus der Regierung zu werfen und zu ersetzen. Das Modell ist allerdings gescheitert. Für mich steht fest: Man darf das eine nicht für das andere verkaufen.
29, war Vorstand des Vereins Jugend Rettet, der ab 2015 mit dem Schiff Iuventa über 10.000 Menschen im Mittelmeer rettete.
Was heißt das für Deutschland?
Wir dürfen zum Beispiel die Innenpolitik und das Klima nicht gegeneinander ausspielen. Ich würde mir etwas anderes wünschen als Schwarz-Grün. Aber sollte es dazu kommen und würden dann bestimmte Bereiche in einer schwarz-grünen Koalition ausgeklammert werden, das wäre fatal.
In Baden-Württemberg sind die Grünen die stärkste Partei und da wird abgeschoben, dass es kracht.
Die Parteien sind in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich. Die CDU etwa vertritt in Schleswig-Holstein eine ganz andere Linie als in Sachsen. Das ist bei den Grünen nicht anders. Und ich kandidiere schließlich nicht für den baden-württembergischen Landtag, sondern für den Bundestag.
Gäbe es für Sie rote Linien?
Ich bin gegen weitere Asylrechtsverschärfungen, wir brauchen gerade das Gegenteil. Ein starres und unmenschliches Grenzregime ist nicht der richtige Weg. Wir müssen Menschen sichere Fluchtwege bieten und sie nicht auf lebensgefährliche Fluchtrouten zwingen.
Sie sind nicht der einzige aus einer Generation junger Aktivist_innen, die in den Bundestag wollen. Auch aus der Klimabewegung wird es Kandidaturen geben – teils bei den Grünen, teils wohl mit eigenen Parteien. Warum sind sie da nicht dabei?
Ich fühle mich bei den Grünen gut aufgehoben. Mitzugestalten ist da gewollt. Wenn neu gegründete Parteien an einer 5-Prozent-Hürde scheitern, sind das Stimmen, die wir eigentlich für linke Mehrheiten im Bundestag gut gebrauchen könnten. Viele „Sichere Häfen“ sind auf Initiative Grüner Fraktionen in den Kommunen entstanden.
Die Seenotretter_innen sind Ziel von Hass und Hetze der Rechten. 2018 schrieb die AfD-Bundestagsfraktion „Schlepper sind Verbrecher – die AfD stellt sie alle vor Gericht“ und zeigte unter anderem Sie persönlich an. Wie können sich solche Angriffe auf die Arbeit als Abgeordneter auswirken?
Ja, ich habe in der Vergangenheit einiges abgekriegt. 2018 hat die komplette AfD-Bundestagsfraktion mich angezeigt. Das Verfahren ist eingestellt worden. Und die AfD hat damit den direkten Beweis erbracht, dass Seenotrettung eben legal und kein Fall für Gerichte ist. Der Hass ist aber immens und wird vom politischen Arm des Rechtsterrorismus nahezu täglich gefördert. Das zeigt, wie wichtig ein demokratisches Gegengewicht im Parlament ist. Damals haben mich Grüne wie Hans-Christian Ströbele unterstützt und durch diese Zeit begleitet.
Sie engagieren sich heute für die Seenotrettungs-NGO Sea Eye. Kann man da parallel Wahlkampf machen?
Ich habe mich in den letzten Monaten immer weiter zurück genommen und trete nicht mehr so oft für Sea Eye auf wie in der Vergangenheit. Sea Eye ist keine Partei, der Verein soll weiter agieren und durch meine Entscheidung nicht beeinflusst werden.
Hat man es als Quereinsteiger aus der Bewegung in der Partei leichter?
Die Partei ist basisdemokratisch. Ich habe da keine Vorteile gegenüber anderen, die antreten. Ich wurde in der Partei sehr offen aufgenommen. Meine Erwartung von verkrusteten Strukturen und Hierarchien hat sich überhaupt nicht bewahrheitet. Mir hat das von Anfang an großen Spaß gemacht. Es gibt eine große Offenheit in der Partei, Menschen aus den Bewegungen aufzunehmen. Ich weiß das sehr zu schätzen.
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