Sechsteiliger Podcast zu Ken Jebsen: Der Weg zum Verschwörer
„Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?“ behandelt nicht nur die Figur Jebsen, sondern auch Desinformation im digitalen Zeitalter allgemein.
Zurückgegelte Haare, dunkle Sonnenbrille, grau geschminktes Gesicht, schwarze Lederjacke, blaue Jeans, nackte Füße. Im Schneidersitz harrt Ken Jebsen auf dem Dach eines Fahrzeugs aus, mit Kopfhörer im Ohr bei einer Demonstration im April vergangenen Jahres gegen die staatlichen Infektionsschutzmaßnahmen. In sich ruhend, fast meditierend. Ein stiller Protest von einem der lautesten Protestierenden.
Die Inszenierung gelingt mit der Visualisierung. Eine visuelle Ikone der anhaltenden Demonstrationen entsteht, eine der radikalsten Stimmen ist der reichweitenstarke Verschwörungsmystiker mit seinem Portal KenFM schon längst.
In dem sechsteiligen Podcast „Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?“ geht Autor und Redakteur Khesrau Behroz für das Studio Bummens, K2H und die öffentlich-rechtlichen Sender NDR und rbb dem Werdegang von Kayvan Soufi Siavash, so der Geburtsname von Ken Jebsen, nach. „Don’t feed the troll“ in den sozialen Medien, darf gedacht werden. Der Troll ist allerdings ein Star. Doch sollte das Ego eines Egomanen medial weitergefüttert werden?
„Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?“, ab Sonntag, 13. Juni, zwei Episoden bei njoy, Radioeins und rbbKultur, sowie bei den bekannten Podcatchern. Danach wöchentlich eine neue Episode am Sonntag.
Das ist die Crux jeder Reflexion zu „falschen Propheten“, wie Leo Löwenthal schon vor über 70 Jahren in den Studien zum Autoritarismus rechter Agitatoren skizzierte. „Baut der Podcast einem Verschwörungstheoretiker wie Jebsen eine Bühne?“, fragen sich auch die Macher:innen. Nein, antworten sie, denn es gehe nicht allein um Jebsen. Ja, darf nach dem Hören zugestimmt werden. Denn über die Person und Vita eines rechten Populisten werden exemplarisch Strategien und Argumentationen eines solchen Populismus aufgezeigt – und das ist äußert spannend.
Diese Spannung beruht nicht alleine auf dem investigativen Anspruch, sie entsteht auch durch eine aufwendige Montagetechnik. Behroz führt durch die Geschichte des ehemaligen Radio- und Fernsehmoderators, der einmal ganz groß rauskommen wollte; der anstrebte, der neue Thomas Gottschalk der Fernsehunterhaltung zu werden. Auch O-Töne von früheren Kolleg:innen beim rbb und einem ehemaligen Mitstreiter des Teams von KenFM sind eingebaut. Expert:innen ordnen Aussagen von Jebsen ein. Kurze, aber klare Definitionen wie jene von Verschwörungsnarrativen oder Antisemitismus werden eingestreut. Das ist nicht belehrend, sondern hinweisend.
Von 9/11 bis Corona: Die Radikalisierung Ken Jebsens
Die vier Folgen, die der Autor hören konnte, versuchen nicht die tiefsten psychologischen Motive zu erfassen. Sie markieren die Umbrüche des „revolutionären Radiomoderators“ beim Jugendsender Fritz des rbb. Die Aussagen von Jebsen werden in ihren jeweiligen konkreten Zeitkontexten verhandelt, wie auch andere O-Töne. Das Erkennen der vermeintlichen Matrix, der angeblichen Verschwörungen, sehen die Macher:innen bei Jebsen schon bei der Annahme des Terroranschlags vom 11. September 2001 als „Insidejob“.
Der Rauswurf beim rbb führt ihn zum Aufbau von KenFM. Eine Marke, die mehr und mehr ein Publikum erschafft und bedient. Die Umstellung bei Youtube, die Algorithmen nach „Watchtime“ auszurichten, spielt KenFM massiv zu. Jebsen erscheint kurzweilig als Querfrontler bei den sogenannten Friedensdemonstrationen 2014. Das Wort „Querfront“ suggeriert Affinitäten zwischen Linken und Rechten. Die Macher:innen hinterfragen auch diese Annahme mit dem Hinweis, dass Begriffe wie Frieden hier nicht mehr klar definiert seien, ihren linken Inhalt verloren hätten.
Die Krise der Flüchtlingspolitik 2015, und später die Maßnahmen gegen die Pandemie ab 2020 führen zur weiteren Radikalisierung von Jebsen. Mit dem Video „Gates kapert Deutschland“ verbreitet er 2020 das Verschwörungsnarrativ, dass Bill und Melinda Gates die WHO und die Bundesregierung letztlich gekauft hätten. Drei Millionen Aufrufe in kurzer Zeit. Jebsen ist der Verschwörunsmystiker. Und die Macher:innen des Podcasts werden deutlich: Mit seiner „alternativen Meinung“ hat er den Hass in die gesellschaftliche Mitte gebracht. Mit ihnen reden wollte Jebsen nicht.
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