Science Fiction im Theater: Früher war nicht alles schlecht

In Bremen, Hamburg und Hannover kommen mittelalte Science-Fiction-Stoffe auf die Bühne – mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen.

schauspieler hinter einem kaputter Vorhang im Wasser

Das Ende der Menschheit: Die „Replikantenoper“ am Theater Bremen. Foto: Philip Frowein/Theater Bremen

BREMEN taz | Wir werden alle am Klima sterben, oder weil die Maschinen die Macht übernehmen – je nachdem, was schneller kommt. Und das bald, wenn die drei norddeutschen Theater richtig liegen, um die es hier gehen soll: Wie abgesprochen werden in Bremen, Hamburg und Hannover eigentlich eher bühnenferne Science-Fiction-Stoffe bearbeitet. Und das muss doch irgendwas bedeuten, oder?

Die drei Stücke – vielmehr: die Vorlagen – sind klassisch insofern, als sie nicht die eben erst von der Realität überholten Cyberpunk-Erzählungen der späten 1980er- und folgenden Jahre durchnudeln, sondern die Phase davor: als die Welt noch offline unterging.

Losgelegt hatte das Schauspielhaus in Hamburg mit „Picknick am Wegesrand“: ein wunderschönes Buch von Arkadi und Boris Strugazki aus den frühen 1970ern, das seine Verehrer*innen hat, auch wenn ihm 1979 „Stalker“, die Verfilmung von Andrei Tarkowski, den Rang abgelaufen haben wird. Texte von Philip K. Dick (1928–1982) stehen in Bremen und Hannover im Spielplan, einerseits die Kurzgeschichte „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“, ebenfalls als „Blade Runner“ sehr frei fürs Kino aufbereitet und das enorm erfolgreich; andererseits „Zeit aus den Fugen“. Der jeweilige Umgang mit der Zukunft von gestern fällt in den drei Fällen, an den drei Häusern sehr unterschiedlich aus.

Demontierter Nerd-Stoff

Was Bremen angeht, muss man vorweg einräumen: Ganz so unerwartet kam „The End. Eine Replikantenoper“ auch wieder nicht auf die Bühne. Regisseur Felix Rothenhäusler und Autor Jan Eichberg arbeiten am Goetheplatz schon lange an der Demontage kultivierter Nerd-Stoffe, ein Verwandter ihrer aktuellen „Blade Runner“-Adap­tion dürfte Rothenhäuslers aufsehenerregende Theaterfassung der TV-Serie „Mr. Robot“ gewesen sein.

Stalker: 9. + 11. 10., 20 Uhr; 10. 10., 19.30 Uhr, Hamburg, Schauspielhaus/Malersaal

The End: 10. + 25. 10., 20 Uhr; 13. 10., 18.30 Uhr, Theater Bremen/Kleines Haus

Zeit aus den Fugen: 13. 10.,17 Uhr; 19. 10., 19.30 Uhr, Schauspielhaus Hannover

Radikaler reduziert fällt nun „The End“ aus: Nahezu unbewegt stehen fünf Schauspieler*innen vor einem sonderbar organisch wirkenden Vorhang im Sprühregen und moderieren sich selbst immer wieder formelhaft an: „Und der Replikantenjäger Rick Deckert sprach“, heißt es dann, worauf zum Beispiel folgt: „Danke.“

Zu erkennen ist besagter Replikantenjäger bereits vor seinem ersten Satz, weil die Kostümierung bis hart an die Grenze der Parodie dem Film mit Harrison Ford nachempfunden ist – mit klitschnassem Schmuddeltrenchcoat und Blinkepistole. Während der Text sich wie eine vielstimmige, aber stofflose Maschine immer wieder in die menschliche Misere schraubt, löst sich im Hintergrund der Vorhang auf: Immer größere Brocken klatschen zwischen den Schauspieler*innen ins Wasser. Das erweist sich als hochgradig treffsicher, sowohl was die melancholische Stimmungslage angeht als auch den philosophischen Gehalt des Textes: Was unterscheidet noch mal den Menschen von seinem Abbild? Und ist es am Ende mehr Mensch als er selbst?

Ganz anders gerät in Hamburg „Stalker – Picknick am Wegesrand“ unter der Regie von David Czesienski. Zwar stehen auch hier große Fragen im Programmheft, auf der Bühne wird dann allerdings erst mal ganz viel Luft raus gelassen. Das Stück handelt von sogenannten Stalkern, Menschen, die eine vom Alien-Besuch zerklüftete Landschaft nach fremdartiger Technologie durchsuchen und dabei ihr Leben riskieren, weil die Realität dort in der „Zone“ nicht mehr intakt ist.

Vermeintlichen Genrequatsch ernst genommen

Das Bühnenbild zeigt eine arg windschiefe Stalker-Kneipe, die sich durch geschickte Lichtwechsel immer wieder in diese „Zone“ verwandelt. Eine Zeitschleife hält die Figuren gefangen: Da werden noch gar nicht verlorene Dinge gefunden, der Kater kommt vor dem Suff – und wenn man sich gerade daran gewöhnt hat, funktioniert es doch wieder ganz anders. Das ist sehr schön gerade darin, vermeintlichen Genrequatsch ernst zu nehmen. Man könnte sagen: Wo Rothenhäusler in Bremen aufs Skelett seiner Vorlage blickt, bringt Czesienski in Hamburg die Oberfläche zum Tanzen.

In Hannover wiederum reanimiert Laura Linnenbaum mit „Zeit aus den Fugen“ in sehr konkreter Bildsprache das Kommunisten-paranoide Amerika der 1950er. Hier beginnt der Rätselexperte Mister Gumm an der Realität zu verzweifeln und hinter Nachbarn, Freunden und Geliebten die Agenten finsterer Mächte zu vermuten.

Der Alltag als Scheinwelt, das ist eines der stärksten Dick’schen Motive, zigfach aufgegriffen, von „Star Trek“ bis zur „Truman Show“. Dass solche Geschichten bis heute oft in die 1950er verlegt werden, dürfte mehr sein als Traditionspflege: Die Gemengelage aus erwachendem Pop-Lifestyle, frischen Kriegserinnerungen und atomarer Bedrohung: dass solches Fundament heute wieder funktioniert – bemerkenswert.

Zeit und Außenseiter

In ihrem ganzheitlichen Nachbau-Versuch ist „Zeit aus den Fugen“ die am wenigsten entschlossene der drei Inszenierungen. Sehenswert ist sie trotzdem, weil die Mixtur aus Zeitstudie und Außenseiter-Psychogramm immer noch zündet.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass keines der drei Häuser in unmittelbarem Untergangstaumel feststeckt, sie alle die bis weit ins Feuilleton vorgedrungene Angst vor Klima und KI spielerisch nehmen. Wenn das Theater nun Ernst macht bei der Reflexion solcher Stoffe, ist das doch erfreulich.

Kein Zufall ist wohl, dass die drei Regisseur*innen ihre Jugend in den 90ern zubrachten, als von SF keiner etwas wissen wollte, solange es nicht irgendwie Mash-up war, Ironie oder gleich Dekonstruktion. Also ja: Es ist Rückbesinnung und Wiederentdeckung im Spiel – weil ja früher nicht alles schlecht war.

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