Theater von Künstlicher Intelligenz: Sonntags im Cyberspace

Felix Rothenhäusler neues Stück hat eine Maschine geschrieben. Eine gute Idee, über die „Verfall. Ein Picknick im Grünen“ aber nicht weit hinauskommt.

Auf einer gelb beleuchteten Bühne sitzen und stehen Schauspielerinnen und Schauspieler an einem Picknickort

Langweilig oder intensiv? Auf der Bühne sind nur minimale Bewegungen zu sehen Foto: Jörg Landsberg/Theater Bremen

BREMEN taz | Felix Rothenhäuslers Theater hat in seiner streng konstruierten Form ein bisschen was von bildender Kunst: wie ein Foto vielleicht, eine Plastik oder so was. Böse Zungen würden vielleicht noch nachlegen, dass im Rahmenprogramm der meisten Vernissagen sogar noch etwas mehr passiert als in Rothen­häuslers Inszenierungen auf der Bühne. Sein neuer Wurf, „Verfall. Ein Picknick im Grünen“, am Bremer Theater, markiert in dieser Hinsicht ein Extrem, mit einer Handlung, die sich auf wenige Sekunden – einen Augenblick – beschränkt. Menschen sitzen, stehen, liegen oder joggen im Park. Manche tauschen zwei oder drei Worte aus. Und das wars.

Zumindest scheint es lange so, bis sich im starren Bild zu maschinell-pulsierendem Bassgedröhne erste Unschärfen einstellen. Auf der in Sepiatönen ausgeleuchteten Bühne sind zwar tatsächlich nur Minimalbewegungen zu sehen: Sonnenbrille runter, Sonnenbrille rauf – ein Obsttörtchen zum Mund geführt und doch wieder zurück damit auf die Picknickdecke. Nur gibt es noch diesen Erzähler, der emotionslos aus dem Off beschreibt und manchmal auszudeuten versucht, was da gerade passiert. Und da schleichen sich mit der Zeit kleine Abweichungen ein, Fehler oder Verwacklungen, um im Bild vom Bild zu bleiben.

Man kann diesen Abend meditativ erleben oder als extrem nervtötend. Man kann auch zum Schauspiel allerlei finden: dass es extrem verdichtet sei, zum Beispiel, oder meinetwegen auch, dass es gar nicht erst stattfindet. Die Qualität des Rollenspiels scheint so recht keine Rolle zu spielen, wird vielmehr zum Element dieser von Rothenhäusler und Vera Tussing choreografierten Installation.

Na gut, Siegfried W. Maschek zum Beispiel holt mit seinem lakonischen Lächeln schon eine unerwartete Erhabenheit aus dem Rentner und Gassigänger, dem sein Hund Gesellschaft und eine Aufgabe verleiht, wie die Off-Stimme weiß. Und auch Pizzabotin Shirin Eissa arbeitet mit außergewöhnlichem Fingerspitzengefühl am Erzähler­auftrag ab: eine Kurierfahrerin zu sein, die ihren Job liebt, weil sie gerne in der Natur sei und Menschen möge. Natürlich ist das auf der Oberfläche ein Witz über die hässliche Arbeitswelt, nur dass die Pointe bleibt, dass man sich eben doch die ganze Zeit fragt, wie es dieser Lieferando-Frau wohl tatsächlich geht.

Gerade weil hier alles nicht nur falsch ist, wächst das Misstrauen gegenüber dem Autoren dieses Stücks, um den es hier laut Programmzettel ja eigentlich auch gehen sollte. GPT-3 heißt der und ist ein Computerprogramm von der Sorte, die gemeinhin etwas unscharf als „Künstliche Intelligenz“ bezeichnet wird. Diese Maschine haben Regisseur Rothenhäusler und Dramaturgin Theresa Schlesinger mit der Parkszenerie gefüttert, um sie weiterspinnen zu lassen: zu erzählen, was aus Picknickerinnen, Joggerin, Seeschwimmer, Security, Mutter und Pizzabotin wird.

Verfall. Ein Picknick im Grünen: wieder Fr. 8. 4., 20 Uhr, sowie So. 8. 5., 18.30 Uhr, Theater Bremen, Kleines Haus

Spoiler: Die meisten sterben, wobei sich GPT-3s Hauptsätze à la „Sie läuft durch den Park und sieht stolz aus“ in geradezu lustvolle Sprachkompositionen aus Schimmel, Verwesung und Bienen verwandeln, die durch menschliches Lungengewebe kriechen. Eine Überraschung ist das nicht, schon weil das Stück „Verfall“ heißt. Wie in einem barocken Vanitas-Stillleben war hier im Anfang bereits angelegt, dass alles und alle als Biomatsche enden.

Spannend wäre nun gewesen, wie die Maschine darauf kommt, woraus genau das bisschen Code seine Haltung entwickelt zu Leben, Tod, Lohnarbeit und Sonntagspicknick: allesamt Dinge, mit denen es von Haus aus nicht so wahnsinnig viel zu tun haben dürfte. Es ist nämlich schon bemerkenswert, mit welchen Klischees der Maschinentext so selbstverständlich jongliert. Sich ausbreitenden Schimmel beschreibt GPT-3 etwa im Zeitraffer: ein Kniff so alt wie das Kino, der sich über die Sehgewohnheit längst in menschliche Psyche eingeschlichen hat. Manche träumen heute ja sogar so. Und natürlich hat das Relevanz, wenn etwa Netflix’ Algorithmen längst automatisiert beliebte Plotelemente und Motive zu neuen Drehbüchern verdichten.

Weil die Inszenierung sich aber ausschweigt über die Entstehung des Stücks – weil dieses „Füttern“ so vage bleibt – kommt am Ende leider doch eher wenig dabei herum. Abgesehen vielleicht vom vagen Unwohlsein über einen Maschinenautoren, der ohne Not menschliche Figuren brennen, ersticken­ und verrotten lässt. Oder sollte es auch diesmal­ doch wieder nur um Theater gehen: um Wechselwirkungen und Reibungsflächen zwischen Stoff, Text, Autor, Regie, Schauspiel und Choreografie?

Es sieht jedenfalls so aus, auch wenn die Frage schon ein bisschen lustig ist, warum man GPT-3s Originalität eigentlich so viel kritischer beäugt als die von meinetwegen Schiller.

Am Ende bleibt es jedenfalls beim Schulterzucken – und bei der vielleicht naiven Hoffnung, dass sich der große Bruder doch erst in Film- und Musikindustrie die Hörner abstößt, bevor er dann wirklich rüber macht ins Theater.

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