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Schweizer VolksabstimmungKlares Ja für Zuwanderung

Die rechtskonservative SVP wollte in der Schweiz eine Begrenzung der Zuwanderung durchsetzen. Die Bürger*innen verhinderten das.

Jubel bei den Gegner*innen: Der SVP-Vorstoß wurde abgelehnt Foto: Anthony Anex/dpa

Berlin taz | Die Schweizer Stimmbürger*innen haben mit deutlicher Mehrheit eine Begrenzung der Zuwanderung zu ihrem Land abgelehnt. Die von der rechtskonservativen Schweizer Volkspartei (SVP) vorgelegte „Begrenzungsinitiative“ wurde von über 61 Prozent der Stimmbürger*innen abgelehnt.

Für einen Erfolg der Initiative hätte es nicht nur der absoluten Mehrheit aller Stimmbürger*innen bedurft, sondern zugleich auch einer Mehrheit in über der Hälfte aller 26 Kantone und Halbkantone. Sie wurde nur in vier Kantonen erreicht.

Alle anderen Parteien sowie die Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und Kirchen des Landes hatten die Initiatve der SVP abgelehnt. Ihre Annahme hätte höchstwahrscheinlich das Ende der sieben bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU bedeutet. Diese sieben Abkommen hatte das Volk bei einer Abstimmung im Jahr 2000 mit 67,2 Prozent abgesegnet.

Die Abkommen ermöglichen der Schweizer Wirtschaft den Zugang zum europäischen Markt. Eines dieser Abkommen ist das Personenfreizügigkeitsabkommen (FZA). Es erlaubt SchweizerBürgerinnen und Bürgern unter bestimmten Bedingungen, in der EU zuleben, zu arbeiten und zu studieren. Für EU-Bürgerinnen und -Bürger gilt das Gleiche umgekehrt.

SVP warnte vor „Massenzuwanderung“

Ein von der SVP gegründetes und finanziertes Komitee, das gegen die Personenfreizügigkeit ist, hatte die Begrenzungsinitiative mit der Forderung nach einer „,maßvollen Zuwanderung“ eingereicht. Laut Komitee herrsche in der Schweiz eine Massenzuwanderung. Diese führe zu steigender Arbeitslosigkeit und gefährde Wohlstand, Freiheit und Sicherheit der Schweizer Bürgerinnen und Bürger.

Nach Auffassung der Berner Bundesregierung (Bundesrat) ist hingegender bilaterale Weg, den die Schweiz gewählt hat, der richtige. Er habe es erlaubt, auf die Bedürfnisse der Schweiz und seiner Bürger*innen zugeschnittene Lösungen zu finden. Die bilateralen Abkommen garantierten ausgewogene Beziehungen zu der EU, dem wichtigsten Handelspartner der Schweiz. Ohne diese Abkommen wären Wohlstand und Arbeitsplätze in der Schweiz in Gefahr.

Bei einer Annahme der Begrenzungsinitiative hätte der Bundesrat mit der EU innerhalb von 12 Monaten das Ende der Freizügigkeit aushandeln müssen, was die EU bislang strikt abgelehnt hat. Bei einem Scheitern der Verhandlungen hätte der Bundestag so das Abkommen zur Personenfreizügigkeit innerhalb von weiteren 30 Tagen einseitig kündigen müssen. In diesem Fall käme die Guillotine-Klausel zur Anwendung und alle sieben bilateralen Abkommen würden außer Kraft treten.

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10 Kommentare

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  • Kleine Korrektur:



    >Für einen Erfolg der Initiative hätte es nicht nur der absoluten Mehrheit aller Stimmbürger*innen bedurft, sondern zugleich auch einer Mehrheit in über der Hälfte aller 26 Kantone und Halbkantone.<



    Das stimmt so nicht. Es muss für die Annahme einer Initiative die Mehrheit der Stimmenden wie auch das so genannte Ständemehr (korrekt beschrieben im zweiten Satzteil) erreicht werden.

  • bei 61 Prozent sind ja auch die 39 Prozent der Befürworter_innen einer Zuwanderungsbegrenzung nicht zu unterschätzen. Ausländer_innenfeindlich gruselig ists selbstverständlich auch in der Schweiz.

    • @Nafets Etnep:

      ich weiss das. ich hab da 33 jahre gelebt

    • @Nafets Etnep:

      Es gibt mehr Gründe gegen die Personenfreizügigkeit vorzugehen als billige Ausländerfeindlichkeit. Wenn nicht klar wäre, dass die EU die Schweiz bei Umsetzung der Initiative plattmacht, hätte sie vermutlich eine Mehrheit bekommen. Die Schweiz ist nun einmal sehr attraktiv für viele Menschen, was zu vielen ausländischen Einwohnern (Deutschschweizer) und vielen Grenzpendlern führt. Das bringt eben Verwerfungen in der verschiedensten Bereichen mit sich, weit ausgeprägter, als das in EU-Ländern der Fall ist.

    • @Nafets Etnep:

      Im Gegensatz zu manch Anderen sind die Schweizer ein sehr demokratisch gesinntes Volk. Da akzeptiert die überwältigende Mehrheit das Ergebnis der Wahl, egal, ob sie dafür oder dagegen gestimmt haben. Endlose Proteste und Gänge durch die Institutionen, um ein demokratisch beschlossenes Projekt doch noch zu kippen, gibt es da sehr selten. Das wird als undemokratisch angesehen und zieht den gesellschaftlichen Zorn auf sich.

  • Kein "Klares Ja für Zuwanderung", sondern ein "wenn's nicht anders geht, lassen wir die Grenzen für Arbeitnehmer aus der EU offen". So wie es auch Herr Seehofer weiterhin möchte.

  • Also aus der Ablehnung der Initiative ein Ja zur Zuwanderung zu stricken halte ich dann doch für Fehlschluss. Es stimmt natürlich, die Zuwanderung in die Schweiz wird damit weitergehen, sie spiegelt aber nicht der Grund für die deutliche Ablehnung wieder. Der Rest des Artikels beschreibt es ganz gut: Ein Ja hätte unabsehbare und höchstwahrscheinlich negative Folgen für den Wohlstand der Schweizer mit sich gebracht. Die Lage mit den Verhandlungen über das EU-Rahmenabkommen ist den Schweizer schon unsicher genug. Da ist man dann auch bereit Teile der eigenen Souveränität zu opfern. EU-Bürger verkennen gerne die große Macht ihres Zusammenschlusses.

  • Die Helveten sind trotz aller Eigenheiten (oder wegen?) proeuropäischer als ihr Rechtsaussen Christoph Blocher.



    Er wurde mal wieder zu Recht in seine extrem populistische Ecke verwiesen.

  • Wie hoch wohl die Wahlbeteiligung war? Ich finde 39% pro Rechtspopulismus nicht wenig...zum Glück zu wenig aber keine kleine Minderheit.

    • @Homunkulus:

      DIe Stimmbeteiligung lag bei rund 58%, einem für CH-Verhältnisse der letzten Jahre sehr hohen Wert.