Schweiz erlaubt Waffenexporte: Profit geht über Menschenleben
Der Nationalrat beschließt, Rüstungsexporte auch in „Schweinestaaten“ zu erlauben. Grund dafür ist die darbende Rüstungsindustrie.
GENF taz | Schweizer Waffen dürfen künftig auch in Länder geliefert werden, in denen „Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzt werden“. Das bislang gültige Verbot derartiger Exporte hob der Nationalrat in Bern, das Schweizer Parlament, am Donnerstag mit der denkbar knappen Mehrheit von 94 zu 93 Stimmen auf. Entscheidend war dabei die Stimmabgabe des Parlamentspräsidenten.
Künftig sollen damit Waffenexporte nur noch unterbleiben „wenn ein hohes Risisko besteht, daß diese Waffen für Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden“. Begründet wird die Lockerung der Bestimmung von ihren Befürworten - den vier bürgerlichen Mitte-und Rechtsparteien - mit der „momentan schwierigen wirtschaftlichen Situation der Schweizer Rüstungsindustrie“.
Die bisherige restriktivere Regelung habe die Schweizer Exporteure gegenüber der europäischen Konkurrenz benachteiligt. „Zehntausend Arbeitsplätze sind direkt oder indirekt betroffen,“ beklagte ein Abgeordneter der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP) in der Nationalratsdebatte die „prekäre Lage“ in der einheimischen Rüstungsindustrie.
Wirtschaftsminister Johann Schneider-Amman betonte zudem, die Rüstungsindustrie sei auch für die eigene Landesverteidigung wichtig. Sozialdemokraten und Grüne stimmten im Parlament geschlossen gegen die Lockerung der Exportbestimmungen und warnten, die Schweiz werde mit einem solchen Entscheid „friedenspolitisch unglaubwürdig“, Bei einer Lockerung der Exportregeln bestehe überdies die Möglichkeit, dass Schweizer Rüstungsgüter auch in Ländern wie Pakistan oder Ägypten zum Einsatz kämen, die derzeit einem Pulverfass glichen, sagte Pierre-Alain Fridez von der Opposition. Gerade jetzt zeige der Einsatz von Schweizer Waffen auf dem Maidan-Platz in der Ukraine die Brisanz solcher Lieferungen.
„Skandalöse Entscheidung“
Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) und Amnesty International sprachen von einer „skandalösen Entscheidung“, mit der das Parlament „Profit über Menschenleben gestellt“ habe. Alliance Sud, die Arbeitsgemeinschaft der sechs grossen Hilfswerke, kritisierte, dass mit dem Entscheid „Arbeitsplätze in einem völlig unbedeutenden Industriezweig, der gerademal 0,33 Prozent der gesamten Schweizer Exporte ausmacht“, geschützt werden, statt einen nachhaltigen Beitrag zur Lösung weltweiter Krisen zu leisten.
Die Kritiker erheben zudem demokratiepolitische Bedenken . Im Abstimmungskampf zu der von der GSOA lancierten Volksinitiative für ein vollständiges Verbot von Kriegsmaterial vor fünf Jahren hatte die Regierung noch versprochen, an der bislang gültigen restriktiven Praxis festhalten zu wollen.
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