Schwarzer in Gewahrsam schwer verletzt: Ermittlungen gegen Polizist beendet
Einem Schwarzen wird in der Polizeiwache Potsdam ein Fingerglied abgeklemmt und später amputiert. Die Ermittlungen wurden eingestellt.
Anderthalb Jahre wurde deshalb gegen einen Polizisten wegen des Verdachts der Körperverletzung ermittelt. Yuma hatte den Fall über die taz öffentlich gemacht. Nun bestätigte die Staatsanwaltschaft Potsdam der taz, dass das Verfahren gegen eine Geldauflage eingestellt wurde. Der Beamte habe einen niedrigen vierstelligen Betrag an eine gemeinnützige Organisation gezahlt. Genauer wollte sie sich nicht äußern.
Eine vorsätzliche Tat habe sich in den Ermittlungen nicht bestätigt, teilte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft mit. Nach allen Zeugenaussagen und einem rechtsmedizinischen Gutachten sei das festgestellte Verletzungsbild „nicht in jeder Hinsicht mit den Angaben des Tatopfers zum Tathergang zu vereinbaren“.
Auch sei der Betroffene damals „sehr aufgebracht“ gewesen, habe „den polizeilichen Anweisungen nicht vollumfänglich Folge geleistet“ und eine „atypische Bewegung“ ausgeführt, die mit zur Verletzung geführt habe. Deshalb bleibe gegen den Polizisten nur ein „Fahrlässigkeitsvorwurf“, für den eine Geldauflage angemessen sei. Das Amtsgericht Potsdam habe dem „vollumfänglich“ zugestimmt.
Nicht mehr als Schmerzensgeld
Patrick Yuma reagierte empört auf die Einstellung. „Er ist absolut fassungslos und verzweifelt“, sagte sein Opferberater Julian Muckel vom Verein Opferperspektive. „Er hatte sehr gehofft, dass dieser Fall vor Gericht landet und keiner anderen Person so etwas passiert wie ihm.“ Angesichts der Verletzung, die Yuma ein Leben lang verfolgen werde, sei die Einstellung nicht nachvollziehbar. „Ob die Staatsanwaltschaft hier objektiv gehandelt hat, bezweifele ich stark.“
Yuma hatte geschildert, dass er in der damaligen Nacht von einer Gruppe Jugendlicher beleidigt worden sei. Nach einem Wortwechsel sei die Polizei gekommen und habe ihn als Einzigen mit auf die Wache genommen, weil er einen Joint und Pfefferspray und keine Papiere dabei hatte. Dort hieß es, er müsse über Nacht bleiben, um Straftaten von ihm zu verhindern – wogegen er protestiert habe, nachdem er bis dahin allem Folge geleistet habe.
Die „atypische Bewegung“ war nach seiner Auskunft ein Festhalten am Rahmen der Zellentür, nachdem er beim Hineinstoßen gestolpert war. Nach der Verletzung habe er laut um Hilfe gerufen, sei aber erst am nächsten Morgen ins Krankenhaus gefahren worden – wo die Fingerkuppe nicht mehr gerettet werden konnte. Yuma glaubt, dass die Beamten ihn auch wegen seiner Hautfarbe so behandelt haben.
Auch sein Anwalt Falko Drescher hält die Darstellung der Staatsanwaltschaft zur Tatnacht für „sehr gewagt“. „Es werden ausgerechnet die Schutzbehauptungen der beschuldigten Polizeibeamten übernommen.“ Drescher und Muckel halten mindestens die unterlassene Hilfe nach der Verletzung für vorsätzlich. „Warum es keine Hilfe gab, ist völlig ungeklärt“, kritisiert Muckel. Die Staatsanwaltschaft erklärte hierzu nur pauschal, dass sich in diesem Punkt „ein hinreichender Tatverdacht“ gegen die PolizistInnen „nicht begründen“ ließ.
Das Land Brandenburg stimmt aber zumindest einem Schmerzensgeld für Yuma zu. Der 19-Jährige hatte 10.000 Euro für seine Verletzung gefordert. „Die Polizei hat den Anspruch auf Schmerzensgeld dem Grunde nach bestätigt“, erklärte das Brandenburger Polizeipräsidium. Die Höhe werde aber noch geprüft. Der Ausgang des Disziplinarverfahrens gegen den Beamten sei noch offen.
Yumas Anwalt Drescher spricht beim Schmerzensgeld von „einem kleinen Erfolg“, auch was die Geldauflage für den Beamten betrifft. Zumeist werde Polizeigewalt ja „komplett abgetan“. Dennoch: „Man stelle sich vor, es wäre anders herum gelaufen und dem Beamten würde jetzt ein Stück des Fingers fehlen. Dafür hätte es ziemlich sicher eine Freiheitsstrafe gegeben.“
Für Patrick Yuma bleibe Enttäuschung, sagt dessen Opferberater Muckel. „Bis heute zuckt er zusammen, wenn er Sirenen hört. Die Verfahrenseinstellung macht die Verarbeitung der Nacht jetzt nochmal um einiges schwerer. Er ist in seinem Glauben an den Rechtsstaat durchaus desillusioniert.“
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