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Schwangerschaftsabbruch an UniklinikImmer weniger Ärzt:innen bereit

Grünen-Politikerin Bärbl Mielich möchte die Bereitschaft zu Abbrüchen als Einstellungskriterium einführen – und muss zurückrudern.

Abtreibungsgegner? Mittelfinger hoch Foto: RubyImages/F. Boillot

Die Aufregung war groß. „Grüne wollen Ärzte entrechten“, empörte sich das katholische Magazin für Kirche und Kultur diese Woche, „Gegen Abtreibungspflicht“ titelte die Süddeutsche Zeitung. Und der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Hermann Gröhe, twitterte schlicht: „Skandalös!“

Was war passiert? Die baden-württembergische Sozialstaatssekretärin Bärbl Mielich hatte in der taz gesagt, ihr Land prüfe, inwiefern die Bereitschaft, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, eine Einstellungsvoraussetzung für Ärzt:innen an Unikliniken sein könne. Gerade eine Woche dauerte es, bis die Landesregierung den Vorstoß kassierte – und Mielich sich in einer Pressemitteilung selbst widersprechen musste. Diese Einstellungsvoraussetzung werde es nicht geben. Stattdessen versuche man nun, mit den Universitätskliniken über das „komplexe und ethisch anspruchsvolle Thema“ ins Gespräch zu kommen.

Die eigenen Reihen waren Mielich in den Rücken gefallen: Die grüne baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer distanzierte sich „in aller Form“ von dem Vorschlag, der „grundlegend falsch“ sei. Und Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Grüner und bekennender Katholik, beendete die Debatte, zumindest im Ländle: „Man kann Ärztinnen und Ärzte selbstverständlich nicht dazu verpflichten, Abtreibungen vorzunehmen – und das sollte auch kein Einstellungskriterium sein.“

Nur einzelne Grünen-Politiker:innen widersprechen Kretschmann. „Aus meiner Sicht ist es ein milder Eingriff, darauf zu achten, dass Menschen eingestellt werden, die bereit sind, Abbrüche zu machen“, sagt die Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther, die selbst Ärztin ist. „Das heißt nicht, dass hundert Prozent der Ärzt:innen an einer Klinik dazu bereit sein müssen – aber so viele, dass die Versorgung gesichert ist.“ Und wenn es an einer Klinik zu wenige gebe, müsse man eben Menschen einstellen, „die dazu bereit sind und es können“.

Laut Gutachten ein Muss

Genau diese Vorgabe an die Kliniken wäre sowohl möglich als auch rechtens. Angesichts dessen, dass in ganzen Regionen wie etwa der Oberpfalz, Niederbayern oder dem Emsland kaum noch oder sogar gar keine Ärzt:innen mehr Abbrüche machen, gab die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Cornelia Möhring, 2019 ein Gutachten in Auftrag. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags sollte klären: Können Krankenhäuser dazu verpflichtet werden, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen?

Heute führen rund 40 Prozent weniger Ärzt:innen Schwangerschaftsabbrüche durch als noch im Jahr 2003

Einerseits müssen die Länder nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz ausdrücklich die Versorgung ungewollt Schwangerer sicherstellen und in zumutbarer Entfernung Einrichtungen vorhalten, die Abbrüche durchführen. Andererseits muss niemand an einem Abbruch mitwirken – es sei denn, der Frau drohen schwere gesundheitliche Schäden oder der Tod.

Möhrings Gutachten kommt zu einem fast überraschend eindeutigen Schluss: „Die Bereitschaft, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, darf zur Einstellungsvoraussetzung gemacht werden“, schreibt der Wissenschaftliche Dienst. Um trotz des Weigerungsrechts der Ärzt:innen die Versorgung sicherzustellen, seien gesetzliche Regelungen der Länder denkbar, „mit denen sie (zumindest den öffentlichen) Krankenhäusern die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen verbindlich auferlegen.“ Unikliniken gehören zu den öffentlichen Krankenhäusern.

Warum also die ganze Aufregung? „Die Grünen schielen auf Schwarz-Grün im Bund – und die kirchlichen Kreise sind einfach zu stark“, vermutet Möhring. Und die Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung Pro Familia, Regine Wlassitschau, sagt: „Wie die Debatte läuft, zeigt, wie tabuisiert das Thema Schwangerschaftsabbruch hierzulande ist.“ Das eigentliche Problem sei die Tatsache, dass viel zu wenige Gynäkolog:innen überhaupt noch Abbrüche machen.

Nur rund 1.200 Ärzt:innen gibt es hierzulande, die diese Gesundheitsleistung anbieten – ein Rückgang um 40 Prozent seit 2003. Grund dafür ist unter anderem die öffentliche Stigmatisierung und Tabuisierung des Eingriffs. „In Deutschland scheint es normaler und akzeptierter zu sein, als Gynäkologin keine Abbrüche zu machen, als es zu tun“, sagt Alicia Baier vom Ärzt:innen-Netzwerk Doctors for Choice. „Wir würden es begrüßen, wenn die Bereitschaft, Abbrüche vorzunehmen, ein Einstellungskriterium sein könnte.“

Das Problem in der Ausbildung

Aus ihrer Sicht müsse „von Anfang an klar sein, dass Abbrüche zum Aufgabenfeld von Gynäkolog:innen dazugehören.“ Für diejenigen, die Abbrüche lernen wollen, sei es ohnehin schwer, eine Klinik zu finden, an der das möglich ist, sagt Baier.

Bei der Ausbildung anzusetzen, darauf pocht auch Brandenburgs Gesundheitsministerium, unter der ebenfalls grünen Ministerin Ursula Nonnemacher. Der Vorschlag aus Baden-Württemberg sei „zu kurz gegriffen“, er stelle eine „schnelle“, aber nicht nachhaltige Lösung des Problems dar: „Es ist dringend notwendig und auch nachhaltiger, den Abbruch verstärkt in die ärztliche Ausbildung einzubinden und somit eine Awareness zu erzeugen“, sagt ein Ministeriumssprecher auf Anfrage der taz.

Wolle man die Bereitschaft, Abbrüche durchzuführen, zum Einstellungskriterium machen, komme es sehr auf die Ausgestaltung an, sagt Matthias Bloechle, Vorstandsmitglied der Berliner Ärztekammer. „Wenn jede Einstellung an einer Uniklinik davon abhängig gemacht werden soll, dass ein Arzt bereit ist, Schwangerschaftsabbrüche zu machen, wäre das höchst problematisch.“ Ganz anders sehe es aus, wenn eine Uniklinik die entsprechenden Ärzt:innen gezielt einstellen würde. „Einige Spezialistenstellen auszuschreiben, um die Versorgung sicherzustellen, wäre gar kein Problem. So etwas gibt es an Kliniken ja in vielfältigster Art und Weise, da werden zum Beispiel Spezialisten für Brustkrebs oder Eierstockkrebs eingestellt“, sagt Bloechle.

Ähnlich sieht es auch Ulf Meißner, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Berlin. Denn tatsächlich darf in Deutschland keine Ärztin und kein Arzt gezwungen werden, gegen das eigene Gewissen Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. „Darum geht es aber gar nicht, wenn die Uniklinik die Stelle von vornherein entsprechend ausschreibt“, sagt Meißner. „Die Anforderungen für eine Stelle legt der Arbeitgeber fest. Wenn also die Bereitschaft, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, in der Ausschreibung ganz klar als Grundvoraussetzung für die Stelle benannt wird, dann sollte das möglich sein.“

Der stille Spahn

Was aber, wenn eine Ärztin bereit ist, Abbrüche durchzuführen, an der Uniklinik eingestellt wird – und ein Jahr später ihre Meinung ändert? „Damit würde sie der Klinik gegebenenfalls einen personenbedingten Kündigungsgrund geben, falls keine andere Einsatzmöglichkeit besteht“, sagt Meißner. In diesem Fall würde ja niemand gezwungen, Abbrüche durchzuführen. „Stattdessen wird festgestellt, dass dieser Person durch ihre Entscheidung fortan die Eignung fehlt, die entsprechende Stelle zu besetzen.“

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Und Gesundheitsminister Jens Spahn? Der hält sich raus. Ein Konzept aus seinem Haus, wie die Qualifizierung von Ärzt:innen zu Methoden des Schwangerschaftsabbruchs „fortentwickelt und ausgeweitet“ werden kann, um die Versorgungslage zu verbessern, sollte schon Ende letzten Jahres auf dem Tisch liegen. Nun heißt es, darüber werde „noch beraten“, einen Termin für die Veröffentlichung könne man nicht nennen. Und was die Einstellungsvoraussetzung an Krankenhäusern angeht, möge man sich bitte an die Länder wenden.

Ärztekammervorstand Matthias Bloechle hat derweil noch einen anderen Vorschlag, um die Versorgungslage für ungewollt Schwangere zu verbessern. „Das Land könnte erst mal sicherstellen, dass die entsprechenden Ärzte und ihre Patientinnen nicht von Leuten attackiert werden, die sich selbst als Lebensschützer begreifen“, sagt er. Ungewollt Schwangere würden vor Arztpraxen „heimgesucht und beschimpft“, Ärzt:innen fänden ihre Namen an „Internet-Prangern“ auf Websites wie abtreiber.com oder babycaust.de wieder. Dort würden Abtreibungen teils mit dem Holocaust gleichgesetzt. „Da muss man sich nicht wundern, wenn die Bereitschaft gering ist.“

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9 Kommentare

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  • RS
    Ria Sauter

    Wie wäre es denn mit der Diskussion um die kostenlose und flächendeckende Abgabe empfingnisverhütender Mittel?



    In der heutigen Zeit braucht es diese Abtreibungen in der großen Zahl nicht mehr.



    Für Abtreibung durch eine Vergewaltigung oder wenn das Leben der Mutter auf dem Spiel steht, sieht es wieder anders aus.Das sollte sichergestellt werden.

  • Den Eifer den die katholische Kirche beim Thema Schwangerschaftsabbrüche an den Tag legt, sollte sie mal zum Thema Kindesmissbrauch in den eigenen Reihen aufbringen.

  • Kann ich in meinem Job auch einfach diese oder jene Tätigkeit nicht mehr machen? Ich werde schon eine ethisch-moralische Begründung für die Arbeitsverweigerung finden.

    • @Saber Baser:

      Das ist keine Arbeitsverweigerung. Schwangerschaft ist keine Krankheit, müsste die Kasse auch nicht bezahlen. Und Ärzte leisten einen Eid, da entstehen durchaus auch moralische Dilemata, da muss man gar nicht die katholische Kirche bemühen.

    • @Saber Baser:

      Das ist aber nicht Teil deren normaler Ausbildung, auch nicht der gynäkologischen Facharztausbildung.

      Man muss sich selbst um Fortbildungen kümmern und das ist wohl auch nicht so einfach, eine entsprechende Möglichkeit zu finden.

      www.sueddeutsche.d...sbildung-1.4040406

  • Wunderbar - ich finde es wirklich wunderbar wie die Grünen ihre Überzeugungen -mal wieder- auf dem Altar der Koalition der Opferung preisgeben.

    Allerdings bin ich jetzt etwas ratlos - vielleicht kann mir einer der werten Mitleser ein Thema, ein einziges Thema, sagen bei dem die Grünen wirklich mal Maßgebliches erreicht haben ? Mir fällt keines ein ...

  • Der Ansatz bei der Ausbildung von Ärzt_innen anzusetzen ist super sinnvoll.



    Den Studierenden muss vermittelt werden, dass es ein normaler, üblicher Routineeingriff ist, bei dem Zellmaterial entfernt wird- nicht mehr und nicht weniger.

    • @скрытая:

      na ja, es ist schon mehr als bloß Zellmaterial. Da muss man sich nur mal die Mühe mache und in einer anatomischen Anstalt einer Uni sich die verschiedenen embryonalen Entwicklungsstadien anschauen. Schlimm ist, dass so getan wird, als ob das Thema erst mit der Schwangerschaftsunterbrechung beginnt. Eine Gesellschaft, die klagt, das sie überaltert, hat ja selbst dafür gesorgt, dass Kinder haben unatraktiv ist.



      Schwangerschaftsabbrüche wird es dennoch immer geben, gibt und gab es in allen Kulturen. Und irgend eine Not steht immer dahinter. Von der Vergewaltigung bis hin zu gesellschaftlichen Mutterbildern und Karrierebildern. Da lohnt es sich doch für alle, die sich so eifrig für das Leben einsetzen, die Ursachen viel früher anzugehen. Und hoffentlich führt das dann auch zu mehr Respekt vor einer Entscheidung nicht mehr schwanger sein zu wollen.

    • @скрытая:

      Ich würde es jetzt nicht zu einer Pflichtveranstaltung machen, aber es gibt im Medizinstudium normalerweise außer dem Seminar pränatale Diagnostik und da geht es nicht um Praxis, praktisch keine Praxiserfahrungen.