Schwangerenregister in Polen: Gefährdung der Gesundheit

In Polen soll künftig jede Schwangerschaft registriert werden. So lassen sich auch Schwangerschaftsabbrüche nachvollziehen.

An das Gesicht einer Person ist nah herangezoomt, auf ihrer Brille ist Glitzer, sie trägt eine Maske

In Polen starb die 30-jährige schwangere Iza – danach demonstrierten Fe­mi­nis­t*in­nen Foto: STR/imago

Es klingt wie ein dystopischer Fantasyroman. Wie eine Geschichte, inspiriert vom „Report der Magd“ der US-amerikanischen Autorin Margaret Atwood, in dem Frauen völlig entrechtet und zu Gebärsklavinnen degradiert werden. Und doch ist es Realität im Hier und Heute: Nachdem Polen im Oktober sein Abtreibungsrecht derart verschärft hat, dass legale Schwangerschaftsabbrüche so gut wie unmöglich sind, folgt nun: ein zentrales Schwangerschaftsregister.

Auf Verordnung des polnischen Gesundheitsministers Adam Niedzielski werden künftig bei einem Arztbesuch mehr Daten von Pa­ti­en­t*in­nen als bisher erfasst, um sie zentral verfügbar zu machen. Darunter auch: Schwangerschaften. Dies helfe bei der Behandlung von Patient*innen, egal ob in Polen oder auf einer Reise ins EU-Ausland, so die Begründung. Die polnische Regierung versichert, nur Ärz­t*in­nen hätten Zugriff auf die Daten – die Staatsanwaltschaft hingegen nicht.

Die standardmäßige Erfassung von Schwangerschaften kann aber nicht unabhängig vom politischen und gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden. Jede einzelne Schwangerschaft zentral zu erfassen, bedeutet auch kontrollieren zu können, ob an ihrem Ende tatsächlich eine Geburt steht. Das ist keine Lappalie in einem Land, das Schwangerschaftsabbrüche derart kriminalisiert und Schwangere zwingt, sogar nicht lebensfähige Föten auszutragen. In einem Land, das den Schutz von Embryonen und Föten so deutlich über das Leben von Schwangeren stellt: Mindestens eine Frau hat in Polen seit der Verschärfung ihr Leben verloren, weil Ärz­t*in­nen sich weigerten, einen nicht lebensfähigen Fötus aus ihrem Körper zu entfernen.

Schon lange müssen ungewollt Schwangere aus Polen für einen Abbruch ins Ausland reisen, nach Deutschland etwa, oder nach England. Oder sie müssen sich über das Internet bei Ak­ti­vis­t*in­nen die nötigen Medikamente nach Hause bestellen. Wege, die nur diejenigen gehen können, die über gewisse Ressourcen verfügen: Geld, Zeit, Information. Das geplante Schwangerschaftsregister erschwert ihre Lage noch weiter. Wer ungewollt schwanger ist und einen Abbruch plant, geht künftig womöglich gar nicht erst zum Arzt, um bloß nicht in diesem Register aufzutauchen – selbst dann, wenn Beschwerden auftreten.

Und auch für jene, die gewollt schwanger sind, ist dieses Register eine Gefahr. Denn nicht jede Schwangerschaft mündet in eine Geburt. Schätzungen gehen davon aus, dass jede dritte bis fünfte Schwangerschaft in einer Fehlgeburt endet. Am größten ist das Risiko im ersten Drittel der Schwangerschaft. Deswegen erzählen viele Schwangere erst nach der 12. Woche davon – und deswegen könnte es sein, dass sie sich zumindest in Polen künftig auch dann erst zum Arzt trauen. Was, wenn Ärz­t*in­nen und Behörden ihnen nicht glauben, dass es eine Fehlgeburt war? Was, wenn ihnen unterstellt wird, diese zum Beispiel mit Medikamenten absichtlich herbeigeführt zu haben?

Das ist keine Paranoia. Erst im Mai wurde in El Salvador wieder eine Frau nach einer Fehlgeburt schuldig gesprochen. Sie wurde wegen schweren Totschlags verurteilt – zu 30 Jahren Haft. Ähnlich erging es 2021 einer Frau im republikanisch regierten US-Bundesstaat Oklahoma: Sie wurde nach einer Fehlgeburt wegen Totschlags verurteilt.

Polen verdeutlicht in diesen Tagen, was ohnehin seit Jahrzehnten bekannt ist: Restriktive Gesetze verhindern keine Schwangerschaftsabbrüche. Sie gefährden lediglich die Gesundheit – und letztlich das Leben – von Frauen.

Denn dass heute in Europa kaum noch Frauen an den Folgen von Geburt und Schwangerschaft sterben, liegt zu einem großen Teil auch daran, dass ihnen eine gute medizinische Betreuung zuteil wird. Wenn sie diese aber aus Angst vor Stigmatisierung und Kriminalisierung meiden, werden gefährliche Komplikationen in der Frühschwangerschaft womöglich nicht rechtzeitig erkannt; zum Beispiel eine Eileiterschwangerschaft, die unbehandelt tödlich sein kann.

Abtreibungen sind in Polen strafbar, allerdings – bislang – nicht für die Schwangere selbst. Das Land hat bereits bewiesen, dass es sich nicht vor Verschärfungen der ohnehin schon restriktiven Gesetzeslage scheut. Und schon heute werden Menschen, die abgetrieben haben, massiv unter Druck gesetzt. Gerade erst berichtete eine Frau der Deutschen Welle, wie sie nach einer medikamentösen Abtreibung zu Hause bei der Kontrolle im Krankenhaus mit Verachtung behandelt und der Polizei gemeldet wurde, und wie diese sie verhörte: Woher hatte sie die Tabletten? Welche ihrer Freundinnen haben bereits Schwangerschaften abgebrochen? Es ist eine Zumutung. Keine Frau, die eine Schwangerschaft abbricht, ist irgendjemandem darüber Rechenschaft schuldig. Schon gar nicht aber sollten jene, die gerade eine Fehlgeburt erlitten haben, unter Generalverdacht gestellt werden.

Es ist kein Zufall, dass dieses Register nur wenige Monate nach der Verschärfung des Abtreibungsrechts kommt. Es ist vielmehr ein weiterer Schritt im Niedergang des Rechtsstaats in Polen. Das Land verletzt systematisch reproduktive Rechte. Es ist ein sperriger Begriff, der im deutschen Sprachgebrauch noch lange nicht ausreichend angekommen ist – der aber grundlegende Menschenrechte beschreibt: Das Recht von Menschen, selbst darüber zu entscheiden, ob sie Kinder bekommen oder nicht. Und zwar frei von Beeinflussung in jedwede Richtung. Diese Rechte derart einzuschränken, ist ein Armutszeugnis für den Zustand der polnischen Demokratie.

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