Schutz von Sint:ezze und Rom:nja: Würde ein Staatsvertrag helfen?
Hamburgs Senat will laut Koalitionsvertrag die Teilhabe von Sinti und Roma stärken. Passiert ist wenig, deshalb fordert die Linke einen Staatsvertrag.
An Problembewusstsein mangelt es dem rot-grünen Hamburger Senat nicht: „Als Verfolgte sind die Sinti und Roma bis heute in der öffentlichen Wahrnehmung unterrepräsentiert“, ist im Koalitionsvertrag zu lesen. Im Vergleich mit anderen Minderheiten in Hamburg würden Sinti und Roma besonders stark diskriminiert, stellte der von der Sozialbehörde in Auftrag gegebene Bericht „Zusammenleben in Hamburg“ von 2014 fest. Die Einstellungen zu Sinti und Roma sind demnach weniger positiv als zu allen anderen abgefragten Gruppen. Viele Befragte sehen sie nicht gern als Nachbarn und lehnen eine Einheirat in die Familie ab.
Der Senat versucht bereits, dem gegenzusteuern. 2023 soll ein Dokumentationszentrum in dem neuen Stadtteil Hafencity eröffnet werden, dass unter anderem die Geschichte deportierter Sint:ezze und Rom:nja aufarbeiten soll. Der Senat kümmert sich wieder um eine lange vernachlässigte Siedlung für Sinti im Stadtteil Wilhelmsburg und erprobt neue Wege, um Sinti-Kinder an die Schule und den Kindergarten heranzuführen.
Die Hamburger Linke sieht darin einen Flickenteppich von Maßnahmen. Sie fordert einen großen Wurf in Gestalt eines Staatsvertrages, wie er sie mit den großen Religionsgemeinschaften geschlossen hat.
Eine Vereinbarung mit dem Staat schützt Minderheiten in einem Bundesland durch finanzielle Förderung und rechtliche Verpflichtungen.
Einerseits entsteht ein fester Ansprechpartner für politische Entscheidungen, die die Minderheit betreffen.
Andererseits wird durch eine Basisfinanzierung die Arbeit des Vertragspartners für die Zukunft abgesichert. So wird eine nachhaltige Teilhabe an Politik und Gesellschaft garantiert.
„Ein Staatsvertrag sichert die gesellschaftliche Anerkennung für Sinti und Roma“, sagt Metin Kaya, Fachsprecher für Migration und interkulturelles Zusammenleben der Linken. Dieser solle nicht nur politische Teilhabe und Minderheitenrechte verbürgen, sondern auch eine Basisfinanzierung der Sinti- und Roma-Vertretungen. Überdies müsse die Stadt „einen Rahmen für gemeinsame Projekte zwischen den einzelnen Gruppen“ schaffen.
Die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Unabhängige Kommission Antiziganismus (UKA) stellte in ihrem Abschlussbericht im Juli fest, dass das Engagement für die Sache der Sinti und Roma durch mangelnde Finanzierung ständig in seiner Existenz bedroht sei. Mehr als 90 Prozent der befragten Vereinigungen forderten daher mehr Unterstützung ihrer Arbeit. Die Kommission empfiehlt deswegen die Berufung eine:s Antiziganismusbeauftragten, die Anerkennung des nationalsozialistischen Genozids an Sint:ezze und Rom:nja und die Einsetzung eines unabhängigen Beratungskreises.
Die Bundesländer gehen auf verschiedenen Wegen gegen Antiziganismus vor. Schleswig-Holstein setzte den Schutz von Sint:ezze und Rom:nja in der Landesverfassung fest. Dies überträgt sich in einen Schutz der Minderheitensprache Romanes, die ausschließlich innerhalb der Familienverbände gelehrt und weitergegeben wird. Es wurde ein Ort für eine Siedlung für Sint:ezze und Rom:nja in Kiel geschaffen. Zudem werden Mediator:innen an Kieler Schulen gefördert, weil Kinder der Gruppe häufig diskriminiert werden.
Der bayrische Landtag stimmte 2018 einem Staatsvertrag mit Vertretungen von Sint:ezze und Rom:nja zu. Das Land verpflichtete sich damit, die kulturelle Identität der Minderheit zu schützen. In Bremen existiert seit 2013 eine Rahmenvereinbarung. Eine solche führte beispielsweise in Rheinland-Pfalz in einen Staatsvertrag. Hamburg hingegen fehlt eine vertragliche Regelung komplett. Und an der politischen Teilhabe hat sich seit 2001, als Mario Mettbach, der aus einer Sinti-Familie stammt, ausgerechnet für die Schill-Partei in den Hamburger Senat einzog, nichts geändert.
Rudko Kawczyinski, Vorsitzender der Rom und Cinti Union in Hamburg, kritisiert die Dissonanz zwischen politischem Willen und Realität: „Wir sind der Spielball in den Händen der Hamburger Politik“, findet er. Seit Mitte der Neunzigerjahre würden Projekte durch wechselnde Regierungsparteien willkürlich „an- und ausgeknipst“. Es fehle eine vertragliche Grundlage, auf der man planungssicher arbeiten könne.
Hamburg müsse sich endlich dazu bekennen, die mehr als 60.000 in der Stadt lebenden Sint:ezze und Rom:nja als nationale Minderheit anzuerkennen. Vor den Wahlen sei der politische Wille einer Anerkennung von allen Parteien signalisiert worden – sogar von der AfD. Der Genozid an Sint:ezze und Rom:nja müsse strukturell Aufgearbeitet werden: „Die Stadt hat einen großen braunen Fleck auf der sozialdemokratischen Weste“, kritisiert Kawczyinski.
Arnold Weiß, seit 2013 Vorsitzender des Landesvereins der Sinti in Hamburg, wünscht sich „selbstverständlich“ einen Staatsvertrag. Der Landesverband fühle sich und andere Vereinigungen unangemessen behandelt.
Nachdem 2019 gemeinsam mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma der Wunsch nach einem Staatsvertrag an den Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) herangetragen wurde, sei es aber bloß zu einem Gespräch auf Staatsratsebene gekommen – so heißen in Hamburg die Staatssekretäre. Das Gespräch sei ergebnislos geblieben.
Aus der Sicht von Arnold Weiß ist die Diskussion über die Diskriminierung von Sint:ezze und Rom:nja und was dagegen zu tun wäre in Hamburg noch wenig entwickelt: „Es kommt immer wieder zu rassistischen Äußerungen in Schulen und Behörden, die häufig gar nicht erst zur Anzeige gebracht werden“, kritisierter.“ Es fehlt eine institutionalisierte Antziganismuspolitik.“ Zu oft suchten die Behörden nicht das Gespräch. Zur Abschaffung eines Durchreiseplatzes etwa, der für reisende Sinti und Roma wichtig ist, seien die Verbände nicht gefragt worden.
Die taz fragte den Senat, ob Hamburg auch einen Staatsvertrag nach dem Vorbild anderer Bundesländer plane. „Die Überlegungen dazu sind noch nicht abgeschlossen“, teilte eine Pressesprecherin mit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind