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Schutz der liberalen DemokratieSind Sie auch ständig „fassungslos“?

Es ist nicht automatisch schlecht, wenn etwas ver-rückt, die Frage ist aber, wer verrückt was?

Wirkt auch schon irgendwie fassungslos: US-Präsident Trump Foto: Alex Brandon/ap

S tändig passiert was, und jedes Mal sind wir guten Leute „fassungslos“. Jedenfalls drängt es uns, das so zu formulieren. Man ist fassungslos wegen Trump, wegen Putin, wegen you name it. Man ist inzwischen so oft fassungslos, dass man abstumpft, weil es zum Normalzustand zu werden droht. Letztlich steht diese Fassungslosigkeit für Hilflosigkeit in moralischer Sauce. Das kann es ja wohl nicht sein. Deshalb ist es notwendig, die Bedeutung des Wortes zu konkretisieren.

Zum Beispiel schrauben wir eine Energiesparlampe in eine Fassung, und dann wird es emissionsarm Licht. Und genauso war unsere vergleichsweise sehr leuchtende Art zu leben in eine Fassung geschraubt aus Westen, stabiler Demokratie, stabilen USA, stabiler fossiler Wirtschaftskraft und damit finanziertem Sozialstaat, fortschreitenden emanzipatorischen Freiheitsgewinnen und kostenarmem Frieden in (Mittel-)Europa.

Diese Fassung könnte es nicht mehr lange geben, stimmt. Aber, und das ist zentral: Im konkreten Sinne sind wir derzeit noch längst nicht fassungslos. Wir werden indes bald fassungslos sein, wenn uns nichts Besseres einfällt, als zu sagen, dass wir fassungslos seien und uns damit zu paralysieren.

Ein Freund und engagierter Exeget der Weltlage sagt inzwischen ständig, dies und das sei ja „verrückt“. Geopolitisch, innenpolitisch, alles sei „verrückt“ (außer Robert Habeck und Karl Lauterbach). Auch das ist – unabsichtlich – eine präzise Analyse.

Die Dinge, die Vereinbarungen, das Denken und das Sprechen sind oder werden ver-rückt, also sind nicht mehr da, wo sie gerade noch waren in einer Gesellschaft, die einerseits in einem humanistischen Sinne der Aufklärung verpflichtet ist und andererseits aus menschlicher Schwäche oder dysfunktionaler Kultur essenzielle Grundlagen ausgeblendet hat. Will sagen: Es ist nicht automatisch schlecht, wenn etwas ver-rückt, die Frage ist aber, wer verrückt was?

Die Blasen-Betkreise

Auf der einen Seite wollen antidemokratisch Interessierte eine autoritäre Verrückung und greifen dazu nach dem bewährten Drehbuch Minderheiten, Medien, Wissenschaft, Gerichte, Parlamente und übrigens auch Marktwirtschaft an. Mit dem Geheule, ihre Freiheit sei bedroht, und dem Schauermärchen, es gebe eine „grünlinke“ Unterdrückungs-Hegemonie, versuchen medial besonders Privilegierte flankierend die Freiheit der anderen zu stehlen.

Diese Leute haben einen festen Plan, starke Netzwerke, funktionierende Methoden. Auf der anderen Seite stehen wir. Und bei dem Wort „wir“ geht’s schon los. „Ja, aber wer ist denn wir?“, ruft bei dem Wort verlässlich ein ganz besonders 08/15-Kritischer und damit ist das Gemeinsame erledigt und jeder geht wieder in seine Untergruppe derer, die jeweils im Besitz der höchsten moralischen Interessen und der größten Wahrheit sind. Das ist auch eine Folge der Entwicklung zu einer offenen, pluralistischen und individualistischen Gesellschaft.

Die Blasen-Betkreise bringen es definitiv nicht, wenn es um gemeinsame Zukunft geht. Aber die emanzipatorische Entwicklung zu einem Nebeneinander der Vielfalt darf man jetzt auch nicht aufheben wollen mit einer antiquierten Links-rechts-Frontstellung oder einem Blut-Schweiß-Tränen-Befehl zum Marsch im Gleichschritt gegen den autoritären Angriff.

Unsere Differenz ist die gemeinsame und zu schützende Errungenschaft der liberalen Demokratie. Und die liberale Demokratie ist Grundvoraussetzung, um unsere Konflikte austragen zu können und eigene Prioritäten mehrheitsfähig zu machen. Die Grundbedingungen für den Erfolg gegen Demokratiefeinde sind also Mitte und Mehrheit, eine demokratische Interessengemeinschaft, die von Linksaktivisten bis Rechtskonservativen reicht.

Jetzt könnte man sagen: Das ist doch verrücktes Denken? Na, klar. Genau darum geht es.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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7 Kommentare

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  • Der Versuch, die Sprachlosigkeit in Worte zu fassen - ist mal wieder gescheitert. Die Edison-Methode (@LOVANDO) des Trial and Error ist praktikabel, wenn ein Ziel definiert ist. In einer ziellosen Weltpolitik ist davon abzuraten.



    Wobei, wobei... Trump hat ja Ziele. Geld, Land, Öl. Eigentlich leicht zu fassen.

  • Ach was! Vagel Bülow

    Keine eine eine Frage! Gelle



    “Jetzt könnte man sagen: Das ist doch verrücktes Denken? Na, klar. Genau darum geht es.“



    Schonn. But



    Was bis dato dazu fehlt!



    Die passende Edison-Fassung

    Thomas Alva Edison unternahm fast 9000 Versuche, bevor er eine funktionierende Glühbirne zur Marktreife brachte. Er selbst sah seine vielen Versuche nicht als Misserfolge, sondern als Erkenntnisse, wie man es nicht machen sollte. Nach dem 1000. Versuch sagte ein Mitarbeiter, dass Edison gescheitert sei, woraufhin Edison erwiderte: "Ich bin nicht gescheitert, ich habe 1000 Wege gefunden, wie es nicht funktioniert".



    Edison war bekannt für seine Beharrlichkeit und seine Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen. Er soll über 2000 Erfindungen auf seinem Namen haben, und mehr als 1000 davon wurden patentiert laut Axpo Group. Obwohl andere bereits vor ihm an der Glühbirne geforscht hatten, gelang es Edison, eine marktreife und langlebige Glühlampe zu entwickeln.

    kurz - Des Schweißes der Edlen wert.



    Masel tov - keine eine eine Frage •

  • Die Entsorgung der Selbstverständlichkeiten, die von verschiedenen Seiten mit Nachdruck gefordert und betrieben wird, läuft, so lassen die Zeichen der Zeit vorausahnen, nicht auf eine friedliche, solidarische, demokratische und ökologisch gesunde Welt hinaus. In Deutschland wird jedenfalls kräftig dagegen angearbeitet. Die Zementierung der elitären Parteienoligarchie, das hochgehaltene Primat einer auf privater Profitmaximierung beruhenden und auf Wachstum gerichteten Marktwirtschaft, das Streben nach Wehrhaftigkeit und Einfluss in der Welt sind in der politischen Mitte und auch an ihren Rändern fest verankert. Ob AfD, BSW, CDU/CSU, FDP, FW GRÜNE, LINKE, SPD oder VOLT, in den Zielen sind sich alle einig, gestritten wird nur über den Weg dahin und dafür lassen sich immer Kompromisse finden.

    Je nach (aktueller) Umfrage und befragten Bevölkerungsgruppen, nur zwischen 17- und 63-Prozent wären bereit, Deutschland zu verteidigen. Das sagt vielleicht noch mehr über (Un-)Zufriedenheit aus, als Wahlbeteiligungen oder -ergebnisse.

  • Wir leben in einer liberalen Demokratie mit einer veröffentlichten Meinung die glaubt das konservative Ideale und die Normalität der Bevölkerungsmehrheit die Wurzeln alles bösen sind. Wer aber die Lebenswirklichkeit und die Existenz der Menschen zugunsten einer linken Idealwelt ohne Ecken und Kanten verschiebt löst unweigerlich Widerstand aus. Hier müssen Extreme einfach nur noch abschöpfen.

    • @Dromedar:In:

      Stimmt schon - eher geht ein Dromedar durch ein 🪡 !



      Mindestvoraussetzung - Lesebrille



      ( was in echt verwundert



      Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Dromedare durch ihre besonderen Augen- und Nasenstrukturen sowie ihre Fähigkeit, Farben zu erkennen, optimal an die Lebensbedingungen in Wüsten angepasst sind.)

  • Solch ein Text in der taz - wie schön dass man das erleben darf. Bitte gerne mehr davon

  • Jede und jeder nach eigener ... Fassung!



    Sprachlich nicht stets zum größten Ausdruck greifen, das ist eine unterschätzte Tugend.



    Inhaltlich springt da freilich einiges derzeit über die Latte des als normal Angesehenen. Sogar ein eher nüchtern schreibender Janix sieht das so.



    Dagegen sollten sich auch kluge und wertorientierte Konservative formieren. Eigentlich fast alle in der Gesellschaft sollten das ebenso.