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Schutz der biologischen Vielfalt„Noch dramatischer als beim Klimawandel“

Der Umweltverband BUND will Deutschland mit einer Verfassungsklage zum Schutz der Biodiversität zwingen. Viele Arten seien bereits ausgestorben.

Der Indri-Lemur lebt in den Regenwäldern Ost-Madagaskars. Er gilt als stark gefährdete Spezies Foto: Thorsten Negro/imago

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) klagt beim Bundesverfassungsgericht gegen das mangelnde Engagement Deutschlands beim Schutz der biologischen Vielfalt. Dies sei „weltweit die erste Klage bei einem obersten Gericht auf bessere Naturschutzgesetzgebung“, so der BUND.

Das Bundesverfassungsgericht soll den Gesetzgeber – also Bundestag und Bundesrat – verpflichten, ein „umfassendes Schutzkonzept zum Erhalt der Biodiversität“ zu beschließen. Und natürlich will die Umweltorganisation mit der Klage auch Öffentlichkeit für den Schutz der biologischen Vielfalt schaffen, der in den Medien meist im Schatten von Klimawandel und Klimaschutz steht.

In der 144-seitigen Klageschrift, die der taz vorliegt, macht der BUND deutlich, dass die Bedrohung der Biodiversität „weiter fortgeschritten ist als beim Klimawandel“, daher sei auch die „Dringlichkeit raschen gesetzgeberischen Handelns“ höher. Die biologische Vielfalt erbringe eine Vielzahl wesentlicher Leistungen für Lebewesen, etwa die Gewährleistung der Widerstandsfähigkeit und Stabilität von Ökosystemen, die Regulierung des Klimas, die Bestäubung in der Nahrungsmittelproduktion, die Reinhaltung von Luft und Wasser, die Ermöglichung der Bodenbildung und den Schutz vor Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Erosion.

Neue Infektionskrankheiten durch Artensterben

Der Rückgang der Biodiversität sei bereits dramatisch. So habe sich in Europa seit den 1970er Jahren die Fläche der Feuchtgebiete um 50 Prozent verringert. In den vergangenen drei Jahrzehnten sei in deutschen Schutzgebieten die Zahl der fliegenden Insekten um 75 Prozent zurückgegangen. Als Hauptursachen werden Landwirtschaft, Klimawandel und invasive Arten genannt.

Die Umweltschützer argumentieren: Langfristig sei durch das Artensterben die Ernährungssicherheit gefährdet, und neue Infektionskrankheiten könnten auftauchen. Der Verlust an Lebensräumen und ihre Entwertung reduziere die Fähigkeit der Natur, den Klimawandel zu bremsen.

Rechtlich argumentiert der Bund mit den Grundrechten auf Leben, Gesundheit und Eigentum in Artikel 2 und 14 des Grundgesetzes. Zudem seien alle Freiheitsrechte der Menschen gefährdet, wenn der Staat in der Zukunft abrupt umsteuern müsse, weil er wirksame Maßnahmen zu lange aufgeschoben hat. Angeführt wird außerdem das Staatsziel auf Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Artikel 20a und das UN-Abkommen über die biologische Vielfalt von 1992.

Daraus ergäben sich „Schutzpflichten“, die der Staat nicht ausreichend erfülle. Die Naturschutzgesetze im Bund und in den Bundesländern genügten nicht annähernd den Anforderungen. Die 2007 beschlossene „Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“ habe noch keine Trendwende gebracht. Der Versuch der EU, im Landwirtschaftsrecht umzusteuern, sei nach den Bauernprotesten zur Jahreswende wieder aufgegeben worden. Als Schritt in die richtige Richtung lässt der BUND nur die im Sommer 2024 beschlossene EU-Renaturierungsverordnung gelten. Doch auch diese enthalte zu viele Ausnahmen und sei „bestenfalls ein Anfang“.

Was der Gesetzgeber konkret beschließen soll, lässt der BUND offen. Vermutlich wäre er schon froh, wenn das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber ein Unterlassen attestiert und ihn ganz allgemein zur Nachbesserung auffordert. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass die Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe als unzulässig abgelehnt wird, weil niemand eine gegenwärtige Verletzung seiner Grundrechte geltend machen kann.

Konkret wurde die Verfassungsbeschwerde von fünf Privatpersonen und drei BUND-Gliederungen eingereicht. Die Privatpersonen erklären, sie fühlten sich vom Biodiversitätsverlust „betroffen“. Eine Asthmatikerin rechnet vage mit Folgen für ihre Gesundheit. Der Biologe Christoph Martin, der die Klage durch eine Großspende ermöglichte, bedauert, dass er seine Faszination für die Vielzahl der vorkommenden Arten nicht mehr an seine Kinder und Enkel weitergeben kann.

Die klagenden BUND-Gliederungen – der Bundesverband und die Landesverbände in Bayern und Sachsen – argumentieren teilweise damit, dass der Ertrag ihrer Streuobstwiesen gefährdet sei.

Das Bundesverfassungsgericht hat bisher Verbände nicht als Umweltkläger zugelassen. Dagegen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg in seinem Urteil vom April zu den Schweizer Klimaseniorinnen ausschließlich Verbände und keine Privatpersonen als Kläger akzeptiert. Da sollten sich die Gerichte noch einigen.

Vielleicht gibt es aber auch eine Überraschung, wie 2021 beim Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts. Damals rechneten auch alle mit einer Unzulässigkeit der Klagen. Doch dann ließ Karlsruhe eine Gefährdung der Grundrechte in der Zukunft für die Klageberechtigung ausreichen.

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11 Kommentare

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  • Ich habe mich schon häufig gefragt, wieso das Artensterben so untergegangen ist beim Thema Klimawandel. Wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass beide Probleme anthropozentrisch angegangen werden. Da haben andere Lebewesen halt einen schlechten Stand in der Prioritätenliste.

    • @Rudolf Fissner:

      Bei einer anthropozentrischen Herangehensweise hätte ich noch Hoffnung, mir scheint sie eher egozentrisch zu sein.

  • Vor Gericht und auf hoher See...



    Gerichte, die Zivilgesellschaft, das arme, viel gespaltene Hascherl, Verbände und NGOs sollen richten, was der Kapitalismus verbockt.

  • Ein paar Atomkraftwerke bauen um CO² zu sparen hilft bestimmt! Ein Schelm wer weiterdenkt

  • Recht und Gerichte können offensichtlich nur im Modus und mit der Rhetorik kapitalistischer Leistungs- und Verwertungslogik bemüht werden. - Beispiele:



    „Die biologische Vielfalt erbringe eine Vielzahl wesentlicher Leistungen für Lebewesen“ […] „dass der Ertrag ihrer Streuobstwiesen gefährdet sei.“ Möge die Klage erfolgreich sein.



    Assoziation durch das Titelbild: Mephistopeles würde sich der Klage anschließen.

    • @starsheep:

      Ich dachte, genau deshalb existieren Recht und Gerichte.

      Wälder zu Streuobstwiesen!

      • @0 Substanz:

        Unbedingt. Schließlich betreibe ich auf solchen Streuobstwiesen gelegentlich „erweiterten Mundraub".

    • @starsheep:

      Tausendmal ja.

      Nur: Mephisto? Indris und Sifakas sind wunderschöne Tiere, die sich mit unnachahmlicher Anmut durch die madegassischen Dornwälder bewegen. Der da wurde leider nicht von seiner Schokoladenseite abgelichtet.

      Aber vielleicht verstehe ich Sie falsch und Sie mögen Mephisto 😉

      • @Patricia Winter:

        Ein Zitat des Mephistopheles aus Faust I hätte ich da noch für Sie, das der Menscheit gewidmet sein könnte:



        „Den schlepp' ich durch das wilde Leben



        Durch flache Unbedeutenheit,



        Er soll mir zappeln, starren, kleben,



        Und seiner Unersättlichkeit



        Soll Speis’ und Trank vor gier’gen Lippen schweben;



        Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,



        Und hätt’ er sich auch nicht dem Teufel übergeben,



        Er müßte doch zu Grunde gehn! "

      • @Patricia Winter:

        Artenschützer und Ausbeuter war er, der Mephistopheles. :-)



        „Herbei, herbei! Herein, herein!



        Ihr schlotternden Lemuren,"



        www.projekt-gutenb...ust2/zfaus059.html

  • Als erste Reaktion wird jetzt der Entzug der Gemeinnützigkeit vom Finsnzamt kommen......