Schutz der Ozeane: Meer drin
Minister Carsten Schneider hat kaum umweltpolitische Erfahrung, doch soll die Meere retten. Die UN-Ozeankonferenz hat er überstanden, und jetzt?

Die neue Bundesregierung war erst wenige Stunden im Amt, da strich sie gleich den Posten des Meeresschutzbeauftragten im Umweltministerium. Konnte das etwas anderes sein als ein Signal dafür, dass Kanzler Friedrich Merz (CDU) und seinem Kabinett die Meere völlig egal sind?
Entsprechend skeptisch hatten die Umwelt- und Klimaszene auf Deutschlands Auftritt auf der Ozeankonferenz der Vereinten Nationen geblickt, die gerade in Nizza zu Ende gegangen ist. Das liegt nicht nur daran, dass dem neuen Bundesumweltminister Carsten Schneider kein offizieller Meeresbeauftragter mehr zur Seite steht – sondern auch an dem SPD-Politiker selbst. Schneider hat schließlich so gut wie keine Erfahrung in der Umweltpolitik. Bis vor Kurzem war er Ostbeauftragter der Ampelregierung, Umweltressortchef wurde er vor allem durch Machtkämpfe bei den Sozialdemokraten. Und so einer soll nun auf internationaler Bühne dafür sorgen, dass die Meere gesunde Lebensräume bleiben?
„Wir teilen uns denselben Ozean“, sagte Schneider in seiner Rede in Nizza. „Es geht uns alle an, wenn dieser Ozean bedroht ist. Klimakrise, Verschmutzung und Übernutzung haben verheerende Folgen für die Vielfalt des Lebens im Meer.“ Die deutschen Meeresschutzgebiete will er verbessern, für den Tiefseebergbau fordert er ein internationales Moratorium, er wirbt für ein internationales Plastik-Abkommen.
Interessant dabei: „Insbesondere wird es darauf ankommen, den gesamten Lebenszyklus von Plastik abzudecken“, so Schneider. „Die Maßnahmen müssen bereits am Beginn der Wertschöpfungskette ansetzen.“ Übersetzt heißt das: Es geht nicht nur darum, Plastik besser zu entsorgen und recyclen, damit der Müll nicht ins Meer gelangt – sondern es darf gar nicht erst so viel Kunststoff geben. Die Plastikproduktion zu reduzieren ist eine Forderung der Umweltverbände. Doch es gibt eine starke Lobby dagegen, zu der auch die weltgrößten Ölkonzerne gehören. Das meiste Plastik wird schließlich auf Basis von Erdöl hergestellt.
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Erster Eindruck: vorsichtig positiv
In der Ökoszene ist ein gewisses Aufatmen zu vernehmen. „Carsten Schneider und die deutsche Delegation waren hier sehr präsent, mein erster Eindruck ist vorsichtig positiv“, sagt Bettina Taylor, Meeresexpertin beim Umweltverband BUND, die auch an der Konferenz in Nizza teilgenommen hat. „Er unterstützt die Bestrebungen, die die alte Regierung auf den Weg gebracht hat. Steffi Lemke ist eine starke Meeresschützerin gewesen.“ Als Umweltministerin der Ampelregierung hatte die Grünen-Politikerin den Meeresschutz zu einem ihrer Schwerpunkte gemacht. Spricht man mit Expert*innen in NGOs, Behörden oder Wissenschaft, gibt es zwar auch zum Meeresschutz noch Kritik an der Ampelregierung. Doch über Lemke fallen immer wieder warme Worte.
„Das Hochseeabkommen BBNJ ist auch dank ihres Einsatzes zustande gekommen“, führt Greenpeace-Ozeanexpertin Franziska Saalmann als Beispiel an. Das vor zwei Jahren beschlossene Abkommen soll es unter anderem ermöglichen, dass Schutzgebiete auf den internationalen Gewässern entstehen, über die kein einzelnes Land entscheiden darf. In Kraft ist es noch nicht. Dafür müssen es erst 60 Länder ratifizieren, also in ein Gesetz gießen. Das ist noch nicht passiert, auch in Deutschland nicht. Lemke hat es wegen des Bruchs der Ampel nicht mehr geschafft. „Die Umsetzung ist ihr Vermächtnis an Schneider“, sagt Saalmann. Die deutsche Ratifizierung müsse noch in diesem Jahr erfolgen.
Auch beim besseren Schutz von Nord- und Ostsee seien unter Lemke zwar Verbesserungen erreicht worden, doch fänden immer noch zu viele zerstörerische Nutzungen wie Grundschleppnetzfischerei statt – selbst in Schutzgebieten. Grundschleppnetze schleifen über den Meeresgrund und zerstören empfindliche Lebensräume wie Seegraswiesen oder Muschelbänke. Durch das Aufwühlen des Bodens wird zudem Treibhausgas freigesetzt.
Die unter Lemke angestrebte „Nationale Meeresstrategie“ hätte ein Bündel wichtiger Maßnahmen werden sollen, konnte aber während ihrer Amtszeit nicht mehr abgeschlossen werden. Das müsse nun die neue Regierung erledigen, sagt Saalmann.
Deutsche Defizite
„Wir haben aber noch viele Defizite in Deutschland, und der Koalitionsvertrag ist beim Meeresschutz nicht sehr ambitioniert“, meint Bettina Taylor vom BUND. Wie Saalmann sieht sie großen Nachholbedarf bei den deutschen Meeresschutzgebieten. Bis 2030 sollen weltweit, also auch in Deutschland, 30 Prozent der Meeresflächen unter Schutz stehen. „Auf dem Papier haben wir die internationalen Vorgaben sogar schon übererfüllt, theoretisch stehen 45 Prozent der deutschen Meeresgebiete unter Schutz. Davon ist aber ganz viel faktisch nicht geschützt“, kritisiert Taylor. Denn: Fischerei, lautes Schifffahren, Kabel verlegen, Windräder bauen – das ist in vielen deutschen Meeresschutzgebieten weiter erlaubt. Damit ist der Schutzstatus kaum wirksam.
„Grundschleppnetzfischerei muss aus Schutzgebieten ganz verschwinden, wobei das eine so invasive Methode des Fischens ist, dass sie auch grundsätzlich verboten gehört“, so Taylor. „Wir müssen verstehen, dass die Meere ein riesiges Ökosystem sind. Wenn wir kleine Teile schützen, aber ringsum alles zerstören, dann bringt das auch nichts. Wir müssen das ganze Meer nachhaltig managen und einige Teile extra schützen.“ Bis 2030, so will es die Europäische Union, müssen immerhin 10 Prozent der deutschen Schutzgebiete „streng“ sein, also tatsächlich die Nutzung weitgehend verbieten. Das umzusetzen, wird jetzt Aufgabe von Carsten Schneider. Nur für einen kleinen Streifen entlang der Küsten sind die Bundesländer zuständig. Die 200 Seemeilen breite Zone dahinter liegt in der Hand des Bunds.
Auch auf Greenpeace-Expertin Saalmann hat Schneider in Nizza insgesamt einen guten ersten Eindruck gemacht: „Am Thema Meeresschutz gibt er als Taucher ein intrinsisches Interesse an“, sagt sie. Saalmann hat Schneider zudem als gesprächsbereit erlebt. „Er hat sich mit den NGOs getroffen, zugehört und vielversprechende Statements zum Tiefseebergbau, dem Hochseeabkommen und dem noch auszuhandelnden Plastik-Abkommen abgegeben.“ Am Ende komme es aber darauf an, welche Taten den Worten folgen.
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