Schulöffnungen in NRW: Risikogruppe, zwangsverpflichtet
Vorerkrankte, ältere und schwangere Lehrer*innen sollen zurück an die Schulen. Die Schulministerin ignoriert ihre Fürsorgepflicht.
„Alle Lehrkräfte aus der Risikogruppe, d.h. Lehrerinnen und Lehrer mit Vorerkrankungen und Lehrerinnen und Lehrer, die das 60. Lebensjahr vollendet haben“ seien „verpflichtet, an Verfahren zur Abnahme mündlicher Prüfungen teilzunehmen“, schreibt Ludger Schrapper, im NRW-Schulministerium Leiter der für „Personal Schulbereich, Dienst- und Schulrecht“ zuständigen Abteilung 2 ganz ausdrücklich. Gleiches gelte für „schwangere und stillende Lehrerinnen“, so der Ministerialdirigent.
Konterkariert wird damit die bisherige Linie des von CDU und FDP getragenen Kabinetts des christdemokratischen Ministerpräsidenten Armin Laschet zum Schutz der Landesbediensteten. „Selbstverständlich trifft das Land Nordrhein-Westfalen als Dienstherr und Arbeitgeber gegenüber allen Beschäftigten gerade in Zeiten einer Pandemie eine besondere Fürsorgepflicht“, hieß es auf der Homepage von Gebauers Schulministerium noch am Dienstag.
Bei vorerkrankten Lehrer*innen bestehe „grundsätzlich ein erhöhtes Risiko für einen schwereren Krankheitsverlauf bei einer Infektion mit dem Corona-Virus (COVID-19)“, erklärten Gebauers Ministeriale da noch. Auch Ältere und Schwangere dürften nicht im Präsenzunterricht eingesetzt werden. Dazu zählten „alle Tätigkeiten mit direkten Schülerkontakten, also auch die Abnahme von Prüfungen, Pausenaufsicht etc.“ Ausnahmen sah Ministerin Gebauer bisher nur für gesunde Lehrer*innen ab 60 vor, die sich freiwillig zum Unterricht meldeten.
Grund: Personalmangel
Entsprechend groß ist jetzt die Empörung, seit klar ist, dass die Bildungsministerin doch auch besonders gefährdete Lehrer*innen zurück an die Schulen beordern will. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sprach in einer ersten Stellungnahme zu den neuen Plänen von einem „Skandal“ – und kündigte massiven Widerstand gegen das Vorhaben an: „Wir werden für die betroffenen Kolleg*innen Rechtsmittel einlegen“, sagte die GEW-Landesvorsitzende Maike Finnern der taz. Außerdem werde die Gewerkschaft „die Personalvertretungen rechtlich beraten, dagegen vorzugehen“.
Grund für den abrupten Kurswechsel der Ministerin ist massiver Personalmangel: Um Infektionsschutz per Sicherheitsabstand herzustellen, müssen Klassen halbiert oder sogar gedrittelt werden. Dazu fehlen Räume – und natürlich Lehrkräfte. Hinzu kommt, dass an manchen Schulen bis zu 50 Prozent der Lehrer*innen der Risikogruppe angehören. Im taz-Interview hatte die GEW-Vorsitzende Finnern schon Anfang Mai gewarnt, zumindest bis zu den Sommerferien sei „kein normaler Unterricht möglich“.
Zusammen mit den Grünen hatte die Gewerkschaft deshalb gefordert, in diesem Schuljahr auf Prüfungen zu verzichten und Abschlüsse auf Basis der bisher erreichten Durchschnittsnoten zu erteilen. Lehrer*innen bekämen so mehr Luft für regulären Unterricht, argumentierten Finnern und die bildungspolitische Sprecherin der Grünen im Düsseldorfer Landtag, Sigrid Beer. Ministerin Gebauer hatte dagegen erklärt, Unterricht und Prüfungen seien gleichzeitig durchführbar.
„Belastbar“ seien die Planungen der FDP-Frau wohl nicht gewesen, kritisiert Beer deshalb nun. Die Ministerin, die dem Landtag am 29. April noch versichert hatte, Angehörigen von Risikogruppen müssten selbstverständlich nicht an den Schulen präsent sein, habe „Lehrer*innen bewusst getäuscht“, sagt Beer: „Diese Dienstherrin verspielt jedes Vertrauen.“ Zur Öffnung der Schulen habe Gebauer „von Anfang kein richtiges Konzept“ gehabt, findet auch der schulpolitische Sprecher der SPD, Jochen Ott: „So schafft man kein Vertrauen bei den Beschäftigten und bei Eltern und Schülern.“
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