Schule in der Pandemie: Hurra, hurra, sie brennt nicht
Lange galt die Schule als Ort der Qual und Hort der Unterdrückung. Doch in der Pandemie ist sie für viele Kinder zum Sehnsuchtsort geworden.

A ch, dann musst du ja jetzt bald in die Schule gehen.“ Diesen Satz hören Fünf- oder Sechsjährige immer seltener. Dass die Schule reiner Zwang sei, bezog sich auf eine Gesellschaft, in der Kinder nach dem Mittagessen auf den Straßen oder auf dem Feld herumstromerten und dort tatsächlich frei waren. Heute sind Orte der Freiheit, also des Beisammenseins mit anderen Kindern, sehr viel mehr institutionalisiert; und neben Vereinen spielt die Schule die wichtigste Rolle.
Am kommenden Mittwoch kehrt nun auch Berlin zum Regelbetrieb an den Schulen zurück. Man mag das Aufweichen der Idee, als einziges Bundesland den Wechselunterricht bis zu den Sommerferien durchzuziehen, als populistisches Wahlkampfmanöver sehen oder mit einem Wutausbruch auf diese mögliche Infektionsparty vor den großen Ferien reagieren. Man wird aber kaum übersehen können, dass nichts den allermeisten Kindern und Jugendlichen solche Freude bereitet hat wie die Nachricht: Ihr dürft zusammen sein. Während ihre Eltern teils noch zu „Hurra, hurra, die Schule brennt“ abtanzten, sehnen sich die Kinder heute nach dem Ort mit ihresgleichen.
Wenn die Schule nicht mehr die „Penne“ ist, Ort der Qual und Hort der Unterdrückung: Dann stellt sich die Frage, was die Erwachsenen eigentlich in diesen zentralen Ort der Herzensbildung und der demokratischen Erziehung zu investieren bereit sind. Wie in anderen gesellschaftlichen Feldern – Wohnungsfrage und öffentlicher Nahverkehr insbesondere – hat die Pandemie offengelegt, dass die Epoche der Marktpropaganda und der mit ihr einhergehenden radikalen Vereinzelung zumindest eine Pause einlegt.
Es gibt derzeit ein historisches Fenster für etwas, das der Ökonom Cédric Durand in der New Left Review gerade als „Möglichkeit, doch einmal den Geschmack populärer Siege zu schmecken“, ausgemacht hat. Das sei nicht viel, „aber für Leute wie mich, die in den 1970ern oder später geboren sind, ist es das erste Mal“.
Kinder, die aus Häusern, die kein Spekulationsobjekt sind, durch gepflegte öffentliche Parks, auf sicheren, breiten Radwegen oder in nicht überfüllten U-Bahnen in ihre schönen Schulen fahren – diese Vision muss natürlich jemand bezahlen. Und wie Durand es sagt: „There’s not a market-based solution“.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin