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Schuldenregeln in Schleswig-HolsteinHaushalt war illegal

Das Landesverfassungsgericht gibt der Klage von SPD und FDP statt: Die schwarz-grüne Landesregierung hat Notkredite nicht hinreichend begründet.

Bis zum Hals stand das Wasser Schleswig-Holstein 2023 nicht nur finanziell, sondern bei der Ostseesturmflut buchstäblich Foto: Frank Molter/dpa

Rendsburg taz | „Genügt nicht den Anforderungen“, „Nachweise fehlen“, „nicht nachvollziehbar“: Was Christoph Brüning, Vorsitzender Richter des Schleswig-Hosteinischen Landesverfassungsgerichts, in seinem Urteil am Dienstag verkündete, klang wie der Rüffel einer strengen Lehrkraft nach einer missglückten Hausaufgabe. Einstimmig kamen die sieben Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen zu dem Schluss, dass die schwarz-grüne Landesregierung im Jahr 2024 einen verfassungswidrigen Haushalt vorgelegt hatte.

Das Urteil stellt neue Leitplanken für den Umgang mit Krediten auf. Das hat Folgen für das laufende Jahr, führt aber nicht dazu, dass Ausgaben von 2024 rückabgewickelt werden müssen.

„Das war eine Vollklatsche“, erklärte Bernd Buchholz, FDP-Fraktionschef im Kieler Landtag, nach der Urteilsverkündung. „Die Günther-Regierung hatte versucht, unsere Argumente lächerlich zu machen, aber nun steht fest: Sie hat die Verfassung gebrochen“, sagte Serpil Midyatlı, SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag. SPD und FDP hatten gemeinsam gegen den Haushalt geklagt.

Die Opposition kritisierte die Aufnahme neuer Kredite, die die Regierung mit einer dreifachen Notlage begründete: Die Coronapandemie, der Ukrainekrieg und die Ostseesturmflut im Oktober 2023 hätten das Land jeweils stark belastet. Zur Entlastung nahm das Land über die Grenzen der Schuldenbremse hinaus rund 493,8 Millionen Euro auf.

Corona noch 2024 eine Notlage?

Doch damit habe die Regierung gegen die Landesverfassung verstoßen, so Brüning. Fünf Bedingungen müssen erfüllt sein, damit ein Land zusätzliche Kredite aufnehmen darf. Grundlage ist eine Notlage oder Naturkatastrophe, die jenseits der staatlichen Kontrolle liegt – das trifft auf Krieg, Pandemie und Sturmflut zu. Doch die anderen drei Punkte haben CDU und Grüne nach Meinung des Gerichts missachtet.

Zwar hatte die Regierung eine Liste von Schäden vorgelegt, die durch die Ostseesturmflut entstanden waren. Dass die direkt nach dem Ereignis auf Schätzungen basierte, akzeptierte das Gericht. Anders sah es für die Notlagen aus, die bereits länger zurückliegen, hier sei die „Darlegungslast“ höher. So sei nicht erklärt, warum etwa die Coronapandemie – die offiziell beendet war – noch im Jahr 2024 den Haushalt „erheblich“ beeinträchtigte.

Zudem fehlten sachliche Zusammenhänge, etwa zwischen Corona und dem Bau neuer Radwege oder zwischen Wirtschaftsförderung und dem Ukrainekrieg, sagte Brüning. „Dies sind permanente Veränderungen, die neue Normallage.“ Auch die letzte Anforderung, nämlich einen detaillierten Plan, wie die Neuschulden getilgt werden sollten, habe die Landesregierung nicht erfüllt.

Finanzministerin Silke Schneider (Grüne) war selbst zur Urteilsverkündigung nach Schleswig gekommen. Dabei war sie 2024 noch nicht im Amt gewesen, den Haushalt hatte ihre Parteifreundin Monika Heinold verantwortet. Nach dem Urteil verließ Schneider den Saal und beriet sich mit ihrem Stab, bevor sie wieder vor die Presse trat – und lobende Worte für das Gericht fand: Es habe mit dem Urteil „juristisches Neuland betreten“ und für Klarheit gesorgt.

Schuldenbremse gelockert

Ein erstes Grundsatzurteil zu Notfallkrediten hatte das Bundesverfassungsgericht 2023 in Bezug auf den Bundeshaushalt gefällt. Der Beschluss des Landverfassungsgerichts gebe nun Richtlinien für Schleswig-Holstein vor. „Die Maßstäbe sind strenger“, sagte Schneider. Das Ministerium müsse den Haushalt für das laufende Jahr auf die neuen Regeln hin überprüfen.

Allerdings gibt es einen großen Unterschied im Vergleich zu 2024, darauf wies auch Serpil Midyatlı hin: „Wir sind bereit, sinnvolle Investitionen zu tätigen.“ Die SPD habe die Klage gegen den Haushalt angestrengt, um auf die Probleme der Schuldenbremse hinzuweisen. Die ist aber durch die Grundgesetzänderung und das gewaltige „Schuldenpaket“, das der alten Bundestag Mitte März beschlossen hat, so gut wie aufgehoben.

Schuldenbremsen der Länder

Mit der Reform der Schuldenbremse im Bund, die im März beschlossen wurde, können künftig auch die Bundesländer wieder in begrenztem Umfang regelhaft Kredite aufnehmen. Das war ihnen seit 2009 grundsätzlich verboten und nur in Notsituationen gestattet.

Der gemeinsame Kreditrahmen besteht für die Länder künftig im Umfang von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wie viel das genau für jedes einzelne Land bedeutet, steht noch nicht fest. Für Schleswig-Holstein dürfte es auf eine mittlere dreistellige Millionensumme pro Jahr hinauslaufen.

Ob die Länder ihre eigenen Verfassungen ändern müssen, ehe sie wieder Kredite aufnehmen können, ist auch noch nicht abschließend geklärt. Die meisten von ihnen hatten, zusätzlich zur bundesweit eingeführten Schuldenbremse, eine teils strengere Schuldenbremse in ihre eigene Landesverfassung geschrieben. Rot-Grün in Hamburg etwa hat bereits angekündigt, die Landesverfassung wieder ändern zu wollen, um eine „rechtssichere Umsetzung der Bundesregelung“ zu gewährleisten.

Auch Schleswig-Holstein werde in diesem Jahr keinen Notkredit aufnehmen müssen, sagt Ole-Christopher Plambeck, finanzpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion: „Das Land hat nun die Möglichkeit, Notlagen durch reguläre Kredite zu finanzieren.“

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