Schuldenpaket des Bundes: Wir sind reich!
Das im Bundestag beschlossene Milliardenpaket weckt im klammen Berlin heiße Begehrlichkeiten. Grüne warnen vor Privatschatullen-Allüren der Koalition.
Auch SPD-Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe meldete recht zügig Bedarf an, in dem Fall, dass bei dem zu erwartenden Geldsegen auch die „soziale Infrastruktur“ bedacht wird. Und SPD-Fraktionschef Raed Saleh erklärte, dass ein Großteil der Milliarden natürlich in den Wohnungsneubau fließen soll.
Es gilt die bewährte Berliner Haushaltsregel: Wo viel Geld, da viel Begehr. Dies aktuell umso mehr, als die schwarz-rote Landesregierung eine Kürzungsrunde nach der anderen dreht. Absehbar ist dann auch, dass die Diskussion um das Geldausgeben nach der Zustimmung des Bundestags zum neuen Schuldenpakt an diesem Dienstag erst richtig Fahrt aufnehmen wird.
Schließlich geht es um zusätzliche 500 Milliarden Euro für Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz, 100 Milliarden davon für die Länder. Hinzu kommt die Lockerung der Schuldenbremse. Berlin könnte dadurch Kredite in Höhe von rund 675 Millionen Euro pro Jahr aufnehmen. Stimmt am Freitag auch der Bundesrat zu, ist der Weg theoretisch frei fürs heitere Geldausgeben im klammen Berlin.
Bauen, bauen, bauen
„Es kommt jetzt aufs Kleingedruckte an“, sagt Raed Saleh am Dienstag zur taz. Die schwarz-rote Koalition im Land Berlin werde „genau schauen müssen, wofür wir das Geld ausgeben“. Der SPD-Fraktionsvorsitzende bleibt gleichwohl dabei: Dringlich sei vor allem der Neubau von Wohnungen. Schützenhilfe gibt es vom Koalitionspartner.
„In dem Punkt hat Saleh recht“, sagt Christian Gräff, der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion. „Zuallererst brauchen wir mehr neue Wohnungen, 200.000 insgesamt, ob auf der grünen Wiese oder durch Nachverdichtung.“ Auch der barrierefreie Umbau von Bestandswohnungen könnte mit den Milliarden vorangetrieben werden, sagt Gräff zur taz.
Finanzpaket Am Dienstag stimmte eine Mehrheit im Bundestag für ein kreditfinanziertes Sondervermögen und zwei Lockerungen der Schuldenbremse, zum einen für die Verteidigungsausgaben und zum anderen für die Bundesländer.
Sondervermögen Für Berlin interessant ist vor allem das Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz. Es umfasst neue Schulden in Höhe von 500 Milliarden Euro für die kommenden zwölf Jahre, davon 100 Milliarden für die Länder. Berlin könnte mit ungefähr fünf Milliarden rechnen.
Schuldenbremse Auch Berlin selbst könnte künftig leichter Schulden machen. Stimmt am Freitag auch der Bundesrat zu, wird den Ländern eine jährliche Neuverschuldung in Höhe von 0,35 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts gestattet. (rru)
Was auch der Landeskoalition klar sein dürfte: Die 5 Milliarden Euro, die Berlin anteilig von dem Bundessondergeld für Infrastruktur und Klimaschutz ungefähr zustehen, könnten schnell verfrühstückt sein. Voraussetzung wäre, dass es überhaupt genügend Kapazitäten gibt, die Wunschprojekte auch umzusetzen – Zweifel daran sind berechtigt.
Dabei knirscht es mit Blick auf die Berliner Infrastruktur ja tatsächlich an allen Ecken und Enden. Allein der Sanierungsbedarf im U-Bahn-Netz und an den U-Bahnhöfen wurde Anfang 2024 auf mehr als 2,8 Milliarden Euro geschätzt. Auch bei den Brücken oder Hochschulen der Hauptstadt gehen die Sanierungskosten in den Milliardenbereich. Von den Ausgaben für die energetische Ertüchtigung öffentlicher Gebäude ganz zu schweigen.
Grünen-Chef fordert Transparenz
Die Berliner Grünen – deren anfangs widerborstige Kolleg:innen auf Bundesebene dem Finanzpaket am Dienstag zugestimmt haben – warnen bereits davor, dass die Koalition mit den zusätzlichen Mitteln macht, wonach ihr gerade gelüstet. Die Milliarden müssten „transparent unter Einbeziehung des Parlaments und der Öffentlichkeit“ eingesetzt werden, sagt Grünen-Landeschef Philmon Ghirmai.
Im Mittelpunkt müssten Investitionen in den Klimaschutz, die Verkehrsinfrastruktur und die soziale Infrastruktur stehen. Das umfasse die energetische Sanierung öffentlicher Gebäudebestände ebenso wie den Ausbau des ÖPNV und von Radwegen oder den Bildungs- und Hochschulbereich.
Nur eines gehe gar nicht, sagt Ghirmai zur taz: „Auf keinen Fall dürfen die zusätzlichen Mittel zur Privatschatulle des Regierenden Bürgermeisters verkommen, um den Frieden seiner auseinanderdriftenden Koalition zu sichern.“
Dass es genau so kommen könnte, befürchtet auch der Umweltverband BUND. Auch hier ist der Forderungskatalog lang und reicht von der massiven Aufstockung der Mittel für die energetische Gebäudesanierung über eine „Ausbauoffensive“ für den ÖPNV, Fuß- und Radverkehr bis zum Ausbau der erneuerbaren Energien.
Keineswegs jedoch, sagt BUND-Geschäftsführerin Gabi Jung, dürften die Investitionsmittel in klima- und umweltfeindliche Straßenbauprojekte wie die umstrittenen Planungen für die „tangentiale Verbindung Ost“ zwischen Marzahn und Köpenick fließen. Denn: „Verantwortungslose Beton-Neubauorgien, von denen manche in CDU und SPD träumen, sind kein Beitrag zur Zukunft, sondern gefährden die Funktionsfähigkeit und Lebensqualität Berlins.“
Philmon Ghirmai von den Grünen bereitet bei alldem noch ein ganz anderer Punkt Kopfzerbrechen, nämlich die von CDU/CSU und SPD im Bund zugleich angekündigte Steuerreform. Diese Reform käme „dem reichsten Prozent zugute“, für Berlin könnte sie „in Summe über 500 Millionen Euro Steuer-Mindereinnahmen bedeuten“, so Ghirmai. Am Ende des Tages stünde Berlin genauso blank da wie aktuell. Sondervermögen hin, gelockerte Schuldenbremse her.
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