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Scholz, Abbas und die SPDUnglaublich nah am Bullyradar

Man muss den Mund aufmachen, damit Bullys nicht die Macht übernehmen. Das gilt für Olaf Scholz, für die Autorin und ihre Tochter.

Manchmal sollte und muss man den Mund aufmachen Foto: Stefan Hanusch/PantherMedia/imago

E s ist ja immer peinlich, wenn das eigene Leben nur auf Kalenderspruchniveau dahindümpelt. Aber tja, nun. Die quälendsten Erinnerungen habe ich halt tatsächlich nicht an Dinge, die ich gesagt, sondern an Momente, in denen ich geschwiegen habe. Und weil ich ein konfliktscheuer Mensch bin, sind das viele. Was ich damit sagen will: Olaf (ich finde, in dieser Kolumne bleiben wir beim Du mit dem Bundeskanzler, das ist demokratisch, und Siezen doch ganz allgemein ziemlich antiquiert), Olaf also, ich versteh dich. Ein bisschen wenigstens versteh ich dich.

Andererseits bist du eben Chef von Schland und ich nicht. Mein alter Freund M. zitiert in solchen Fällen gern das Peter-Prinzip, nach dem jeder Beschäftigte bis zur Stufe seiner persönlichen Unfähigkeit aufsteigt. Die sollte man kennen. Wenn ich auch sonst wenig erreicht hab im Leben – ich kenne meine. Deshalb würde ich nie, wirklich nie, nicht mal im nächsten Leben Politikerin werden.

Denn da brauchts Leute, die im richtigen Moment den Mund aufmachen. Manchmal ist der nur Sekunden kurz. Etwa, wenn ein Möchtegern-Präsident – wer sich nicht mehr demokratisch legitimieren lässt, gilt mir nur noch als Wannabe (looking at you, Wladi) – Holocaustvergleiche zieht. Dabei ist egal, wo der Möchtegern das tut, weil den Holocaust vergleichen immer und überall falsch ist.

Also, Olaf, klar, es ist immer unangenehm, wenn der Gast sich danebenbenimmt. Man mag nicht unhöflich sein, nicht kleinherzig rüberkommen. Aber die Bullys enablen, ihnen also ermöglichen, Bullys zu sein, ist auch keine Lösung. Deshalb hier ein Rat von meinem Therapeuten, gratis für Dich: „Trauen Sie sich!“ (sorry, aber mein Therapeut siezt eben noch). Apropos Bully, es gab ja in meinem Leben schon einmal einen SPD-Kanzler. Meistens kann ich das ganz gut verdrängen, so wie man manche Bekanntschaften verdrängt, bei denen man anfangs dachte: Wow, das ist aber mal eine verwandte Seele, hier rennt der Schmäh, alles geschmeidig.

Altlasten der Fehleinschätzung

Bis man sich nach einigen Wochen fragt, warum man sich nach jedem Treffen so leer und erschöpft fühlt. Und warum man sich schon lange nicht mehr bei seinen echten Freunden gemeldet hat. Dann checkt man: Die Euphorie über die neue Bekanntschaft war nur da, weils vorher noch ätzender war (looking at you, Helmut). Und noch mal ein paar Wochen später ist es einem peinlich, dass man wieder ei­ne:n Nar­ziss­t:in nicht erkannt hat.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Manchmal bleiben sogar unschöne Altlasten der eigenen Fehleinschätzung. Der Hartz-Bericht etwa, der das Elendspaket erst möglich machte, ist diese Woche 20 Jahre alt geworden, herzlichen Glückwunsch! Glücklicherweise wird der Bullyradar feiner, wenn man Eltern wird. Vielleicht als Ausgleich zum Restverstand, der in einem Säurebad aus Schlafmangel und Glückshormonen korrodiert. Während meine Tochter noch freundlich winkend „Hallo“ ruft, sehe ich inzwischen schon, dass der angehimmelte Knirps ihr gleich ihr eigenes Spielzeug über den Schädel ziehen wird. Ich hoffe, diese neue Begabung überträgt sich auch in mein Wahlverhalten – politisch wie privat.

Beim Ausrasten steht man für sich selbst

Wenn nicht, werde ich wahrscheinlich vor lauter angestauter Wut über mein eigenes Bully-Enabling irgendwann austicken wie Christian Schmidt. Der frühere CSU-Landwirtschaftsminister ist inzwischen als hoher Repräsentant der UNO in Bosnien und Herzegowina. Also eigentlich nicht die Rolle, in der man den Mund aufreißt. Nach eigenen Aussagen wundert (offizieller Euphemismus für: Es kotzt mich an) ihn, „dass in der Föderation von Bosnien-Herzegowina seit vier Jahren keine Regierung ernannt worden ist, und manche das so einfach hinnehmen“. Über seinen Ausfall waren nun wiederum alle anderen sehr verwundert.

Was ist jetzt besser, schweigen oder ausrasten? Kommt darauf an, klar. Für heute halte ich mal fest: Unter Schweigen versteckt sich meist was anderes, mit Ausrasten steht man für sich selbst. Muss ich jetzt nur noch meiner Tochter beibringen. Die wundert sich nämlich auch meistens stumm.

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Ariane Lemme
Redakteurin
schreibt vor allem zu den Themen Nahost, Antisemitismus, Gesellschaft und Soziales