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Schnellverfahren gegen Letzte GenerationDer Versuch ist gescheitert

Das erste Mal war in Berlin ein Blockierer im beschleunigten Verfahren angeklagt. Doch der Vorwurf ist dafür nicht geeignet, so die Richterin.

Nötigung? Keine klare Sache Foto: Nadja Wohlleben

Berlin taz | Der erste Versuch, in Berlin einen Aktivisten der Letzten Generation für eine Straßenblockade in einem „Schnellverfahren“ zu verurteilen, ist gescheitert. In dem Verfahren einer im Juni neu eingerichteten Abteilung am Amtsgericht Tiergarten stand nach einer dreistündigen Verhandlung das Urteil der Richterin: Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf ein „beschleunigtes Verfahren“ wird abgewiesen. Die Voraussetzungen dafür lägen bei einer großen Straßenblockade nicht vor. Stattdessen muss der Fall in einem normalen Hauptverfahren mit umfassender Beweisaufnahme verhandelt werden.

Angeklagt war ein 35-jähriger Student der Geoökologie wegen einer Straßenblockade am Frankfurter Tor im vergangenen November – auf den Tag genau acht Monate vor dem „Schnellverfahren“. Der Angeklagte war mit drei überaus motivierten An­wäl­t:in­nen erschienen. Einen Antrag, dem Gericht die Zuständigkeit abzusprechen, begründete Anwältin Linh Steffen damit, dass es sich bei diesem „de facto um ein Ausnahmegericht“ handele, das gesetzlich verboten sei.

Anwalt Tobias Krenzel begründete seinen Antrag, das Verfahren einzustellen, mit den nicht vorliegenden Bedingungen für ein beschleunigtes Verfahren: einem einfachen Sachverhalt und einer klaren Beweislage. Beides liege nicht vor.

Die mit dem verkürzten Verfahren eingeschränkten Rechte des Angeklagten, etwa die vereinfachte Ablehnung von Beweisanträgen, könne nicht hingenommen werden. Krenzel kritisierte das „Sondertribunal“ vor einer Proberichterin, die „als besonders konform eingeschätzt“ werde.

Politische Einflussnahme

In einem weiteren Antrag auf Zulassung eines Eingangsstatements des Angeklagten wies Anwalt Nummer 3, Alex Gorski, auf den politischen Charakter des Verfahrens hin: So habe Bürgermeister Kai Wegner (CDU) im Juni in der Bild beschleunigte Verfahren gegen „Klimakleber“ gefordert. Gorski meinte: „Die Berliner Justiz beugt sich den Wünschen der Koalition.“ Zum Ausgleich gegen die öffentliche Vorverurteilung des Mandanten müsste dieser zu Beginn gehört werden.

Die Richterin selbst hatte schon zu Beginn ihre Zweifel geäußert, ob sich dieser – und damit auch ähnlich gelagerte Fälle – für ein beschleunigtes Verfahren eignet, und dabei auf ein Urteil des Berliner Kammergerichts verwiesen. Dieses hatte jüngst entschieden, dass bei Blockaden nicht per se von einer Nötigung ausgegangen werden könne, sondern es eine genaue Prüfung der Umstände erfordere. Die Richterin kritisierte zudem: Die Ermittlungsakte sei dünn, notwendige Hinweise etwa auf Länge und Dauer des Rückstaus fehlten.

Doch statt über die Anträge der Verteidigung zu entscheiden, eröffnete sie das Verfahren. Nachdem der Angeklagte eine Aussage verweigerte, durfte der erste von drei geladenen Polizeizeugen seine Aussage machen. Seine Hundertschaft hatte den Blockadeort erreicht, als die Verkehrspolizei bereits die Umleitung für den Autoverkehr organisiert hatte. Für den Vorwurf der Nötigung war seine Aussage wertlos. Es folgte die Entscheidung der Richterin, auf die Aussage der beiden Kollegen zu verzichten und das beschleunigte Verfahren zu beenden.

Test gescheitert

Das Verfahren bezeichnete sie als „Test für das Amtsgericht Tiergarten“. Ihr Verweis auf Fälle, die bislang im beschleunigten Verfahren verhandelt werden – meist Schwarzfahren und kleine Diebstähle –, zeigte auf, dass auch in weiteren Blockadefällen mit ähnlichen Beschlüssen gerechnet werden muss. So sah es auch Anwalt Krenzel, der resümierte: „Die Staatsanwaltschaft ist gegen die Wand gefahren.“ Er kritisierte Kai Wegners Forderung nach Schnellverfahren als einen „starken Eingriff in den Grundsatz der Gewaltenteilung“.

Laut der Sprecherin der Letzten Generation, Lina Johnson, sei die Entscheidung für eine „Sondergerichtsbarkeit“ eine „politische Fehlentscheidung“. Unterstützung erhielten die Ak­ti­vis­t:in­nen schon zuvor vom Republikanische Anwätinnenverein. Der hatte in einem Statement erklärt, es handele es sich „um ein politisches Signal in der ohnehin schon von Populismus geprägten Debatte“ – zulasten der Beschuldigten- und Verfahrensrechte“. Die Neue Richtervereinigung hatte gewarnt: „Die Politisierung von Strafverfahren muss vermieden werden. Jeder Anschein einer unzulässigen Einflussnahme der Exekutive auf gerichtliche Verfahren zerrüttet das Vertrauen in den Rechtsstaat.“

Der rechtspolitische Sprecher der Linken, Sebastian Schlüsselburg, forderte nach dem Beschluss Aufklärung, wie es zu der „Kehrtwende der Staatsanwaltschaft“, die beschleunigte Verfahren zuvor lange abgelehnt hatte, gekommen ist. Schlüsselburg hatte bereits vor zwei Wochen Antrag auf Akteneinsicht bei der Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos, von der CDU ernannt) gestellt. Noch warte er auf eine Antwort.

Am späten Nachmittag blockierten sieben Mitglieder der Letzten Generation die Straße vor dem Amtsgericht Tiergarten.

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3 Kommentare

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  • „[...] Jeder Anschein einer unzulässigen Einflussnahme der Exekutive auf gerichtliche Verfahren zerrüttet das Vertrauen in den Rechtsstaat.“

    Diese Aussage von Seiten der Richtervereinigung ist zweifellos richtig (das Wörtchen "unzulässig" ist der Sdhlüssel) - sie fügt sich aber auf bemerkenswerte Weise in die Inszenierung dieses ganzen Schmierentheaters ein, das um die Protestaktionen der Letzten Generation veranstaltet wird.



    Denn schon seit vielen Jahrzehnten geht die weit überwiegende Sanoktionierungsgewalt des deutschen Strafrechts vorwiegend von der Staatsanwaltschaft aus. Die meisten Strafverfahren werden entweder aus Mangel an Beweisen oder aufgrund des Opportunitätsprinzips eingestellt, ohne dass es zur Anklageerhebung kommt. Und wenn eine Strafe ergeht, dann auch in den meisten Fällen per Strafbefehl vom Staatsanwalt.

    Die Staatsanwaltschaft ist allerdings kein Organ der Justiz sondern untersteht des Justizministers und gehört daher zur Exekutive. Wie häufig so eine zulässige Einflussnahme nun vorkommt, weiß ich nicht, aber die Aussage des Richterverbands dreht sich ja auch nicht ums Prozedere, sondern um den Anschein, den es erwecken könnte.

  • Das ist ein interessantes Urteil.



    Bedeutet, dass die Ermittlungsbehörden -endlich!- immer die Opfer der Blockaden in den Blick nehmen müssen.



    Solange sie das nicht tun, hilft nur eine Anzeige wegen Nötigung bzw. Freiheitsberaubung.



    Dann muss Staatsanwaltschaft ermittelt werden.

  • Frau Achterberg ist in der NZZ gerade am durchdrehen, weil die rechtskonservativen Medien wohl rausbekommen haben, dass die LG wohl Abgeordnete für ihre Ideen begeistern möchte.



    Geht natürlich garnicht, Lobbyismus für so ein wichtiges Thema, ist natürlich nur für dubiose Wirtschaftsinteressen erlaubt.



    ... und dann auch noch für Forderungen, die vom obersten Gericht angemahnt wurden.