piwik no script img

Schlechte Umweltbilanz der RegierungÖko-Republik nur in Gedanken

Deutschland gilt als Vorbild in der Klimapolitik – zu Unrecht, kritisieren Umweltverbände. Pestizide und Braunkohle bleiben im Einsatz.

Gar nicht grün: Ein Traktor düngt ein Feld mit Pestiziden Foto: dpa

Da half auch ein offener Brief nicht: Mit dem hatten Öko-Verbände in der vergangenen Woche die Moderatoren des „Kanzler-Duells“ gebeten, auch Fragen zur Landwirtschaftspolitik zu stellen. Aber Angela Merkel und Herausforderer Martin Schulz bekamen weder eine Frage zur Agrarpolitik vorgelegt noch eine zum Klima, zur Energiewende oder zum Dieselskandal. Diese Fragen spielen auch in den Wahlprogrammen oder auf den Plakaten kaum eine Rolle, bemängelten gestern leicht frustriert die Vertreter der großen Umweltverbände. „Wir suchen noch einen Kandidaten, der alle die guten Ideen zur Umweltpolitik umsetzt, die beschlossen sind“, sagte der Vorsitzende des Deutschen Naturschutzrings DNR, Kai Niebert.

Mit ihm zusammen legten die Verbände WWF, Nabu, BUND und Greenpeace am Dienstag eine Öko-Bilanz der Großen Koalition und Forderungen an die nächste Regierung vor (siehe Kasten). Aber warum gehen die Forderungen einer Lobby unter, die 2,3 Millionen Mitglieder und Förderer vertritt, regelmäßig Tausende zu Demonstrationen auf die Straße bringt und jährlich über 100 Millionen Euro Spenden einnimmt? Michael Schäfer, Klimaexperte des WWF, hat eine Antwort: weil alle denken, Deutschland sei eine Öko-Republik. „Im Klimaschutz passiert auch deshalb so wenig, weil wir glauben, dass wir Klima-Weltmeister sind.“

Schuld sei auch die Interessenlage in einer Großen Koalition, so Schäfer. „Sonst würde doch der Herausforderer mit Lust darauf hinweisen, dass unter der Klimakanzlerin seit 2009 der CO2-Ausstoß kaum reduziert wurde.“ Kleine Parteien und Umweltverbände kämen mit ihren Thesen nicht durch. Dazu komme, so Bärbel Höhn, Umweltexpertin der Grünen, dass Artensterben und Pestizideinsatz „für viele Menschen nicht so bedrohlich wirken, die gelten als B-Themen.“ Es sei schwer dagegen anzukommen, wenn eine Regierung sich zu Umweltzielen wie dem Pariser Abkommen zum Klimaschutz bekenne, sich dann aber weigere, konkret zu handeln.

Wie wichtig dem Wahlvolk die Öko-Themen sind, ist unklar. Laut Niebert stehe Umwelt bei Umfragen an vierter Stelle, „noch vor den Flüchtlingen“. Die Meinungsforscher von Infratest/dimap dagegen haben andere Zahlen: Danach belegte Umweltschutz/Klimawandel im Juli 2017 nur Rang neun, weit hinter Flüchtlingen, Armut, Rente und Bildung.

Schlecht, gut, besser: Umweltpolitische Bilanz von Greenpeace, WWF, Nabu, BUND und DNR

Negativ: Die deutsche Agrarpolitik ist gescheitert; das zeigen das Artensterben, das nitratverseuchte Grundwasser und das Höfesterben. Die nationale Biodiversitätsstrategie wird nicht erfüllt. Die CO2-Emissionen steigen, die Energiewende stagniert. Die Verkehrswende stockt. Deutschland verbraucht global am meisten Braunkohle.

Positiv: Deutschland hat den Pariser Klimaschutzvertrag unterzeichnet, der die Erderwärmung auf unter 2 Grad begrenzen soll. Deutschland hat sich auf die UN-Nachhaltigkeitsziele ver­pflichtet. Das Bundesprogramm Blaues Band renaturiert 2.800 ehemals vom Güterverkehr genutzte Flusskilometer. Fokus auf Meeresschutz.

Forderungen: Suventionen für Tierhaltung an Flächen binden, industriel­le Tierhaltung beenden. Emmissionsfreier Verkehr 2035 mit Blauen Plaketten, Hardwarenachrüstungen, ­ÖPNV-Ausbau. Abbau umweltschädlicher Subventionen. Sozialverträglicher Kohleausstieg, Ausbau erneuerbarer Energien.

Langfristig habe sich „das Thema Umwelt und Klima bei etwa 20 Prozent der Bevölkerung als wichtig etabliert“, meint dagegen Gerd Scholl vom Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Scholl ist einer der Autoren, die alle zwei Jahre für das Bundesumweltministerium die repräsentative Studie „Umweltbewusstsein in Deutschland“ erstellen. Dabei zeige sich: Über die Hälfte der Menschen stimmten zu, dass grüne Wirtschaft Jobs bringe, Wirtschaft und Umwelt also kein Widerspruch seien.

Deutlich mehr Menschen, zwei Drittel, befürchteten allerdings, dass Umweltmaßnahmen Nachteile für arme Menschen brächten, etwa teureren Strom. Und die Menschen wüssten auch, dass Fortschritte bei Verkehr und Landwirtschaft „bedeuten, weniger Auto fahren, weniger fliegen, weniger Fleisch essen“, bilanziert Scholl, „Verhaltensänderungen, die nur bedingt attraktiv sind.“ Ökoland Deutschland? Artensterben, Kohleabbau und Dieselgate sprächen dagegen. Für Christoph Heinrich vom WWF gibt es nur einen schwachen Trost: „CDU und SPD ­schreiben auf ihre Wahlplakate ja gar keine Themen. Also auch unsere nicht.“

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Umweltschutz hat etwas mit Verantwortung zu tun. Und Verantwortung ist das krasse Gegenteil von Neoliberalismus.

  • Ich finde, in dieser Republik denkt niemand mehr an Umweltschutz oder Geburtenkontrolle.

  • Solange in unserer Republik die Wirtschaft, die Industrie und die Banken das regieren über deren Politiker besorgen, wird sich hier nichts Ändern! Den Politikern wird zu einem Großteil eingeflösst, was alternativlos durchgesetzt werden muss, um angeblich keine Arbeitsplätze zu gefährden.

     

    Auch in diesem Artikel wird wieder vom Fleischverzehr, vom einschränken des Normalbürgers geredet.

    Das sich aber gut 40% der Normalbürger gar nicht mehr einschränken können, weil sie zum einen nur prekäre Jobs haben oder Arbeitsverträge auf Zeit, nach deren Ende sie nicht wissen ob sie überhaupt weiterhin eine Arbeit haben, oder ob ihnen nicht Minijobs und Aufstocken drohen!

     

    Da wird wieder vom Fleischverzehr gesprochen, den sich viele eh kaum noch leisten können und stattdessen Dosenfutter auf dem Tisch kommt, Gemüse ist oft teurer als Fleisch und wer möchte schon seinen Kindern drei mal die Woche TK Pizza auf den Tisch stellen?

     

    Solange die Politik sich beim regieren nicht von den Lobbyisten löst und sich wieder zu der Bevölkerung bekennt und bessere Rahmenbedingungen für alle schafft um Umweltbewusster zu agieren, wird sich nicht viel ändern können!!!

  • Was heißt Öko-Republik?

     

    Für die meisten ist es Trittins Dosenpfand, das eigentlich auf ein Gesetz von Klaus Töpfer zurückgeht, denn Trittins Initiative scheiterte im Bundesrat.

     

    Wo die SPD eisern zur Kohle steht(auch wenn sie aus Australien importiert wird), hält es die CDU mit der Atomenergie. Es war wiederum Jürgen Trittin, der 2001 das Kyoto-Protokoll ratifizierbar machte. Die Lorbeeren haben sich dafür längst andere eingesteckt.

     

    Deutschland - Ökoland? Das EEG mag ein weiterer Punkt sein. Schröder hat in Geheimverhandlungen mit der Industrie schon im Vorfeld verhindert, dass die Erneuerbaren mit Steuergeldern finanziert werden. Nein, der Stromkunde sollte selbst zur Kasse gebeten werden. Zum Erstaunen aller, funktionierte Trittins Gesetz trotzdem. Zum 'Glück' wurde Rot/Grün abgewählt. Seitdem wird das EEG sturmreif geschossen. Gabriel sei Dank stieg die Umlage zuletzt derart, dass selbst Grüne die Abschaffung des EEG fordern. Nein, daran denkt niemand, dafür an einen Deckel für die Erneuerbaren. Wo China gerade in die Gänge kommt, klinkt sich Deutschland aus dem Umweltschutz aus.

     

    Wasch mich, aber mach mich nicht nass, denkt sich der deutsche Michel. Alle Parteien haben Umweltschutz im Programm, auch die 'Klima Kanzlerin'. Was wirklich in den Programmen steht, mag niemand lesen. Es reicht das Gefühl, etwas getan zu haben. Jobs sind wichtiger, egal welche.

  • " ...weniger Auto fahren, weniger fliegen, weniger Fleisch essen“, bilanziert Scholl, „Verhaltensänderungen, die nur bedingt attraktiv sind.“

    Genau das ist das größte Gesellschaftsproblem, was wir haben.

    Die Verweigerung einer Verhaltensänderung wird in der Regel damit begründet, daß es ja nichts bringt wenn man als Einzelner umdenkt. Das ist insofern bequem, da die meisten Menschen so denken und man mit dieser Einstellung dem Mainstream folgt.

    Die meisten Menschen interessieren sich sehr wohl für die großen Themen wie Umweltschutz. Fordern aber das Handeln von Wirtschaft und Politik. Da Unternehmen und Politiker sich dem Mainstream verpflichtet fühlen passiert letztendlich gar nichts. Höchstens an Symtomen wird rumgedoktort wie zum Beispiel ein bisschen Elektronikeinstellung am Dieselfahrzeug.