piwik no script img

Schändung islamischer Gräber in Iserlohn„Ein Angriff auf uns alle“

In Iserlohn beschädigen Unbekannte 30 muslimische Gräber. Die Politik reagiert bis zur Bundesebene bestürzt. Übergriffe auf Muslime nehmen zu.

Solidaritätskundgebung auf dem Friedhof Iserlohn nach den Gräberschändungen Foto: Alex Talash/dpa

Iserlohn/Berlin taz | Auch am Montag ist Aiman Mazyek noch aufgewühlt. „Wir verurteilen diese Schändung der Gräber aufs Schärfste“, sagt der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime der taz. „Das ist ein Angriff auf die Werte unserer Verfassung und auf uns alle.“ Dieser bedürfe einer gesamtgesellschaftlichen Antwort, so Mazyek. „Antimuslimischer Rassismus geht uns alle an, nur gemeinsam können wir diese menschenverachtenden Taten bekämpfen.“

Zuvor waren in der Silvesternacht auf dem muslimischen Teil des Hauptfriedhofs in Iserlohn bei Hagen (Nordrhein-Westfalen) laut Polizei 30 Grabsteine umgeworfen und teils zerstört sowie Dekorationen und Pflanzen beschädigt worden. Die Polizei ermittelt wegen Störung der Totenruhe und Sachbeschädigung. Sie vermutet ein politisches Motiv, hat den Staatsschutz eingeschaltet. Die Täter waren aber auch am Montag noch nicht gefasst, wie ein Sprecher der taz sagte. Mögliche Zeu­g:in­nen der Tat wurden aufgerufen, sich zu melden.

Am Sonntag hatten sich spontan mehr als 300 Menschen auf dem Friedhof versammelt, um Solidarität mit der muslimischen Gemeinde zu zeigen. Iserlohns Vizebürgermeister Thorsten Schick (CDU) nannte die Schändungen „respektlos, feige und ein Schlag ins Gesicht der Trauernden und Angehörigen“. Betroffen sei auch das Grab eines Mannes, der vor gut fünf Jahren versucht hatte, ein dreijähriges Kind vorm Ertrinken zu retten und dabei selbst starb. Alle betroffenen Familien seien Iserlohner. „Wir werden das nicht tatenlos hinnehmen.“

„Schandtat schwer zu verkraften“

Auch Ayman Alaiz vom städtischen Integrationsrat sagte, es sei „kaum zu glauben, dass so etwas in unserer Stadt geschieht“. Für die betroffenen Familien sei es „schwer zu verkraften, sich mit so einer Schandtat auseinandersetzen“. Aiman Mazyek stellte fest, dass es immerhin „diesmal mehr Solidarität als sonst“ gab. „Dafür bedanken wir uns.“

Mitglieder der Bundesregierung zeigten sich bestürzt. „Dieser gewaltbereite Illiberalismus bedroht Toleranz, Vielfalt und Meinungsfreiheit“, sagte Justizminister Marco Buschmann (FDP). Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) nannte die Tat „zutiefst abstoßend und nichts anderes als ein feiger antimuslimischer Anschlag“. Die Bundesintegrationsbeauftragte Reem Alabali-Radovan erklärte, wichtig sei nun die Solidarität mit der muslimischen Gemeinde. Auch CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, der aus Iserlohn kommt, sprach von einem Angriff auf muslimische Mitbürger und damit einem „Angriff auf uns alle“.

Ein Einzelfall ist die Tat jedoch nicht. So zählte die Polizei bundesweit im vergangenen Jahr allein bis Ende September 447 islamfeindliche Straftaten. 378 dieser Taten wurden als rechts motiviert eingestuft, 25 einer „religiösen Ideologie“ zugeschrieben, 9 einer „ausländischen Ideologie“, 25 waren nicht zuzuordnen. Darunter waren Sachbeschädigungen, Volksverhetzungen oder Beleidigungen, aber auch Körperverletzungen. Laut Polizei kam es dabei zu zwei schwer Verletzten und elf leicht Verletzten.

Zahl der Übergriffe steigt

Und erfahrungsgemäß kommen am Jahresende noch etliche Nachmeldungen hinzu. Tatsächlich stiegen die Übergriffe zuletzt von Jahr zu Jahr. Zählte das BKA 2018 noch 910 islamfeindliche Angriffe, waren es 2020 bereits 1.026. Auch die neue Ampelregierung konstatiert in ihrem Koalitionsvertrag eine „zunehmende Bedrohung von Musliminnen und Muslimen und ihren Einrichtungen“. Dem wolle man mit „umfassendem Schutz, Prävention und besserer Unterstützung der Betroffenen“ begegnen.

Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime forderte spezifischere Maßnahmen, um Muslimfeindlichkeit zu bekämpfen. Dazu gehörten die Schulung und Sensibilisierung von Bediensteten der Polizei und Justiz, um die Straftaten besser erfassen und ermitteln zu können. „Hier gibt es noch Nachholbedarf.“ Tatsächlich hatte es bis 2017 gedauert, bis überhaupt islamfeindliche Straftaten gesondert erfasst wurden.

Auf der Kundgebung in Iserlohn erinnerte Vizebürgermeister Schick daran, dass es bereits vor einem Jahr eine kleinere Grabschändung auf dem Friedhof gab – die bis heute nicht aufgeklärt werden konnte. Er hoffe, dass diesmal die Täter gefasst würden.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Abscheulichkeit in Präsenz die es mich aber auf keinster Weise zu Wundern vermag.

    Islamophobie ist nicht nur auf eine bestimmte Klientel zurückzuführen und dort aufzuspüren. Diese ist sehr subtil in jeder Gesellschaft zu finden, und leider wegen der sehr omnipräsenten Dogmen und Stigmata vieler Muslime, die übrigens in allen anderen Religionsgemeinschaften auch zu finden ist, es aber wie gesagt nicht so omnipräsent dazustehen hat, ist eine diskriminierende Abgrenzung sogar in elitären intellektuellen Kreisen, ja aber auch im links liberalen, aternativen Spektrum (selbstverständlich nicht in dem offensichtlich diskriminierenden Kontext) sehr wohl existierend.

    Selbst jene mit muslimischem Hintergrund trifft man hier. Wobei hier die Liebe zum Henker natürlich ein par excellence an Paradoxon darstellt und aber auch Höchsterfreut angenommen wird.

  • Leider sind Grabschändungen und Vandalismus nahezu an der Tagesordnung - nur dass sie oftmals nur in der Lokalpresse Erwähnung finden.



    Sei es Diebstahl von metallischem Grabschmuck, dass Herausreißen von Pflanzen oder das Umstürzen von Grabsteinen - kaum jemand nimmt Notiz davon.



    Für die Hinterbliebenen häufig ein Schock und ein Trauma.