Sanktionen für minderjährige Geflüchtete: Dann gibt's halt kein Taschengeld
Bremer Senat zahlt vorläufig untergebrachten jungen Flüchtlingen einen Bruchteil des vorgesehenen Taschengeldes. Auszahlung an Wohlverhalten geknüpft.
Wer in einer Jugendhilfeeinrichtung lebt, soll ein Taschengeld bekommen, eigentlich. Doch der Bargeldbetrag zur freien Verfügung beträgt für geflüchtete Kinder und Jugendliche, die neu in Bremen angekommen sind, nur einen Bruchteil des normalen Satzes. „Das Sozialressort grenzt besonders schutzbedürftige geflüchtete Minderjährige aus der Taschengeldregelung der Jugendhilfe aus“, kritisiert Holger Dieckmann vom Bremer Flüchtlingsrat. In einem offenen Brief an Sozialsenatorin Claudia Schilling (SPD) fordert er, diese „diskriminierende Sonderregelung“ aufzuheben.
Laut der entsprechenden Richtlinie des Landes Bremen ist das Taschengeld eine Leistung zum Lebensunterhalt und damit „unantastbar“. Der junge Mensch habe einen Anspruch auf den Barbetrag und damit auch das Verfügungsrecht darüber. „Das Taschengeld kann nicht versagt und ohne Einwilligung des betroffenen jungen Menschen nicht gekürzt werden“, heißt es in dem Text. Die Höhe des Betrages orientiert sich am Alter und an der Sozialhilfe.
Für Kinder und Jugendliche, die von Bremen vorläufig in Obhut genommen werden, hat der Senat allerdings eine Ausnahme geschaffen. Eine Inobhutnahme dient grundsätzlich dazu, Kindern und Jugendlichen in Not fürs Erste ein Dach über dem Kopf zu verschaffen und sie zu betreuen. Bei der vorläufigen Inobhutnahme, also dem vom Flüchtlingsrat kritisierten Sachverhalt, geht es um den Sonderfall junger unbegleiteter Flüchtlinge, bei denen offen ist, ob sie in Bremen bleiben können oder anderswohin geschickt werden.
1,50 Euro pro Tag
Bei ihnen wird das Taschengeld „von der nach Landesrecht zuständigen Behörde festgesetzt“. Der Bremer Senat erließ dafür 2015 eine Verwaltungsvorschrift, die 1,50 Euro pro Tag dafür veranschlagt – ein Betrag, der seit damals nicht angehoben worden ist und viel niedriger liegt, als derjenige, der sich an der Sozialhilfe orientiert.
Zudem knüpft der Bremer Senat die Auszahlung an Bedingungen: Gezahlt wird „ab dem 8. Aufenthaltstag, frühestens jedoch nach der erkennungs-dienstlichen Behandlung durch die Polizei und dem Erstgespräch mit dem Sozialdienst“. Versäumt der minderjährige unbegleitete Flüchtling selbstverschuldet einen entsprechenden Termin, gibt es kein Geld.
Bei diesen Terminen soll festgestellt werden, ob das Kind oder der Jugendliche nach dem Verteilerschlüssel der Bundesländer an ein Jugendamt außerhalb Bremens weitergereicht werden könnte, ohne dass das ihm schadet: Lässt seine Gesundheitszustand das zu? Leben Geschwister in Bremen?
Der Flüchtlingsrat hält es für unzulässig, dass der Senat die Auszahlung des Taschengeldes an Bedingungen knüpft. Im Übrigen sei der Betrag viel zu gering. „Kaum Bargeld zur Verfügung zu haben, bedeutet eine erhebliche Einschränkung des Alltagslebens, der Entwicklungsmöglichkeiten und der Autonomie“, kritisiert der Flüchtlingsrat. Damit seien nicht einmal grundlegende Notwendigkeiten wie eine Prepaid-Karte fürs Handy oder eine Fahrkarte zur eigenen rechtlichen Vertretung zum Jugendamt finanzierbar.
Die Sozialbehörde verweist darauf, dass die vorläufige Inobhutnahme auf vier Wochen begrenzt sei. „In diesem Stadium sind bestimmte Integrations- und Teihabeleistungen nicht erforderlich“, sagt deren Sprecher Bernd Schneider. Holger Dieckmann vom Flüchtlingsrat widerspricht: Die Verwaltung selbst gehe von einer „durchschnittlichen Verweildauer“ von sechs Wochen aus. Manchmal dauere das auch noch länger, sagt Dieckmann.
Taschengelderhöhung durchgerutscht
Das Taschengeld niedriger anzusetzen sei zulässig, sagt Behördensprecher Schneider, schließlich bekämen die minderjährigen Flüchtlinge viele Sachleistungen wie etwa ein Wochenticket für den öffentlichen Nahverkehr. Dass das Taschengeld lange nicht erhöht wurde, sei durchgerutscht. „Wir bitten um Verständnis, dass eine stark ausgelastete Verwaltung nicht alle Dinge im Blick haben kann.“
Das lasse sich leicht lösen, findet der Flüchlingsrat. Er schlägt vor, bei den vorläufig in Obhut Genommenen genauso zu verfahren wie bei den regulär in Obhut Genommenen: Dann würde sich das Taschengeld an der Sozialhilfe orientieren und regelmäßig erhöht. So verfährt das Nachbarland Niedersachsen.
Behördensprecher Schneider kündigt für Bremen eine Neuregelung zum Januar 2024 an. Dabei würde der Betrag ebenso geprüft wie die Bedingungen.
Dieckmann wiederum erschließt sich nicht, warum diese aus seiner Sicht ungerechtfertigte und schikanöse Diskriminierung nicht sofort abgeschafft wird. „Das riecht nach Abschreckung“, findet der Mann vom Flüchtlingsrat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen