„Sanft und Sorgfältig“ bei Spotify: Vergoldetes Amokquatschen
Olli Schulz und Jan Böhmermann wechseln vom Rundfunk Berlin-Brandenburg zu Spotify. Für wen sich das lohnt? Kommt auf die Perspektive an.
Bevor Jan Böhmermann den türkischen Präsidenten Erdoğan einen „Ziegenficker“ genannt hat, hätte die Meldung von Dienstag vermutlich nur wenige interessiert: Erst gaben Böhmermann und sein Kollege Olli Schulz bei Facebook bekannt, dass sie ihre Sendung „Sanft und Sorgfältig“ beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) aufgeben. Später meldete das Branchenmagazin Horizont, dass die beiden mit dem Streamingdienst Spotify in Verhandlungen stünden.
Bah! Große Aufregung in den sozialen Medien: Wie können die das machen? Kapitalistenschweine! Spotify steals the radio star! Das Ende des Podcasts, wie wir ihn kennen.
Na ja. Das stimmt nur so halb. Zunächst zu den Kapitalistenschweinen: Schulz und Böhmermann waren tatsächlich keine Freunde von Spotify: Schulz, der Musiker, lästerte in einer Folge der Sendung vor drei Jahren über die „Scheißplattform, wo der Künstler keine Kohle bekommt“. Das dürfte nun nicht mehr das Problem von Schulz und Böhmermann sein: Es sei bei den Verhandlungen um sehr viel Geld gegangen, sagt ein Sprecher des rbb – und das ist das eigentlich Interessante an der Nachricht vom Wechsel. Es zeigt, dass aus dem belächelten kleinen „Laberformat“-Podcast – denn als solcher wurde die Sendung auch veröffentlicht – eine Vermarktungshoffnung geworden ist.
Bis vor ein paar Jahren waren Podcaster noch als Nerds verschrien: Tüftler, die in ihrer Küche mit Mikro und Audiosoftware vor sich hinbastelten, das Resultat ins Netz stellten und von ein paar Leuten angehört wurden.
Diese Zeiten sind längst vorbei. In den USA sind Podcasts ein großes Geschäft geworden: MacherInnen schließen sich in professionellen Netzwerken zusammen, Firmen nutzen sie als PR-Instrument, Nachrichtenseiten und Webmagazine als eine weitere Möglichkeit, ihre Inhalte zu verbreiten. Die HörerInnenschaft wächst, um einzelne Formate wie die Krimireihe „Serial“ brach sogar ein richtiger Hype aus. Die Werbeeinnahmen schwellen an, Plattformen wie Google und Facebook haben angefangen, Podcasts in ihre Angebote einzubinden, und die öffentlich-rechtlichen Sender verlieren ihre besten Köpfe an innovative Podcast-Formate.
In Deutschland ist das (noch) anders. Zwar professionalisiert sich die Szene auch hier, die Angebote werden aber längst nicht so viel gehört wie in den USA. Das liegt auch daran, dass das öffentlich-rechtliche Radio in Deutschland so viel hochwertigen Wortinhalt produziert, dass es unabhängige PodcastmacherInnen schwer haben.
Spotify wird damit zum Netflix für Audio
Spotify versucht dennoch seit Längerem, von den abonnierbaren Audioinhalten zu profitieren. Seit knapp einem Jahr bietet das schwedische Unternehmen Podcasts an, von Deutschlandradio Kultur, der BBC oder dem US-amerikanischen NBC. Nur sind diese Formate auch kostenlos über die Webseiten der Sender oder über iTunes verfügbar. Spotify gewinnt mit ihnen keine neuen Kunden. Mit „Sanft und Sorgfältig“ soll das anders werden: Die Sendung sollen nur zahlende AbonnentInnen hören können. Spotify wird damit zum Netflix für Audio.
Dass es sich dafür die Show von Schulz und Böhmermann ausgesucht hat, ist kein Wunder: Seit drei Jahren läuft die Sendung im rbb, nach und nach kamen weitere ARD-Jugendwellen dazu. In den iTunes-Charts der meist abgerufenen Sendungen ist sie regelmäßig auf Platz 1. Wenn es also einen Podcast gibt, der Spotify neue KundInnen bescheren kann, dann dieser.
Schulz und Böhmermann selbst dürfte der Wechsel zwar mehr Honorar bringen, wohl aber kaum mehr HörerInnen. Gut 1,5 Millionen sollen ihre Sendung bundesweit zuletzt gehört haben, erzählten sie kürzlich noch. Deutlich mehr dürften es bei Spotify wohl kaum werden. 20 Millionen zahlende NutzerInnen hatte der Dienst im Juni 2015 – weltweit. Deutschsprachige also deutlich weniger.
An die Öffentlich-Rechtlichen hingegen ist der Wechsel eine starke Ansage. Beim Fernsehen sind sie die Konkurrenz von neuen Plattformen wie Youtube und Netflix gewohnt. Reaktion darauf ist das geplante Jugendangebot von ARD und ZDF, für das vor allem Bewegtbild diskutiert wurde. Kommt Spotify als neuer Wettbewerber hinzu, steht nun also auch das Radioprogramm unter Druck.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf