Sánchez bleibt Spaniens Regierungschef: Misstrauensvotum gescheitert
Die rechte VOX findet keine Verbündeten, für ihren Antrag gegen Sánchez stimmen nur die eigenen Parlamentarier. Die Krise stärkt wohl die Regierung.
Dem Sozialisten und Chef einer Linkskoalition, die in Minderheit regiert, sprachen 201 der 349 Abgeordneten des spanischen Parlaments ihr Vertrauen aus. 91 Abgeordnete, darunter alle der größten Oppositionskraft, der konservativen Partido Popular (PP), enthielten sich. Damit scheiterte die VOX bereits zum zweiten Mal mit einem Misstrauensantrag gegen Sánchez. Das erste Mal war im September 2020. Die VOX ist seit 2019 im spanischen Parlament vertreten und wurde damals auf Anhieb drittstärkste Kraft.
„Theater“, „Verarsche“, „dem Parlament unwürdig“ – weder Presse noch Politik gingen zimperlich mit VOX um. Als Kandidaten gegen Sánchez hatte die VOX den ehemaligen Kommunisten und Wirtschaftswissenschaftler Ramón Tamames gewinnen können. Der 89-jährige Tamames, der nicht dem Parlament angehört, stellte – anders als in der Verfassung für Misstrauensanträge vorgesehen – kein alternatives Regierungsprogramm vor. Sein einziger Programmpunkt: Er werde Neuwahlen ausrufen, sollte der Misstrauensantrag Erfolg haben.
Den Rest seiner Redezeit zum Misstrauensantrag nutzte der in die Jahre gekommene Professor, um aus der Geschichte erzählen: von der Unabhängigkeit Kubas und der Rolle starker Frauen ohne Frauenpolitik, wie etwa Königin Isabella der Katholischen im 15. und 16. Jahrhundert, und für Anekdoten aus seinem Leben, wie etwa über seine Bekanntschaften in der Haft unter der Franco-Diktatur und seine Erlebnisse in den Jahren des Übergangs Spaniens zur Demokratie. Und er verteilte immer wieder Ratschläge, etwa: Im Parlament solle die Stimme nicht erhoben werden. Das wäre des Hauses nicht würdig. Selbst auf den Rängen der VOX wurde der Beifall für Tamames im Laufe seiner Rede weniger und weniger.
Antrag als Geschenk an die Regierung
„Aus Respekt vor den Spaniern werden wir nicht für diesen Antrag stimmen, und aus Respekt vor Ihnen, Herr Tamames, werden wir nicht gegen den Antrag stimmen“, sagte Cuca Gamarra von der konservativen PP vor der Abstimmung. 2020 hatte die PP gegen den Misstrauensantrag der VOX gestimmt.
„Ein Geschenk an die Regierung“, sieht die PP im Misstrauensantrag und hat damit wohl recht. Laut einer Blitzumfrage im Auftrag der Tageszeitung El Mundo sehen 40 Prozent die Regierung stärker als vor der Parlamentsdebatte zum Misstrauensvotum, die am Dienstag begonnen hatte. Und 56 Prozent glauben, dass die rechten Parteien schlechter dastehen als zuvor.
Alberto Nuñez Feijóo,Chef der PP und voraussichtlicher Spitzenkandidat bei den kommenden Parlamentswahlen Ende dieses Jahres, blieb der Debatte fern. Er gehört nicht dem Parlament an, hätte aber auf den Besucherrängen Platz nehmen können.
Feijóo weilte stattdessen in Brüssel. So musste er nicht mit ansehen, wie Sánchez und die Arbeitsministerin Yolanda Díaz, Angehörige der linksalternativen Unidas Podemos, die Debatte nutzen, um die konservative PP für ihre ideologische Nähe zur VOX anzugreifen. Es sei „bemerkenswert und aufschlussreich“, dass sich die traditionelle Rechte immer mehr den Ultrarechten annähere, sagte Sánchez.
Sánchez betont Errungenschaften seiner Regierung
Sánchez und Diaz nutzten außerdem die Möglichkeit für eine Bestandsaufnahme ihrer Regierungszeit und verwiesen auf die zahlreichen sozialen Errungenschaften ihrer Regierung – gegen die sowohl VOX als auch PP gestimmt hatten, etwa die Anhebung des Mindestlohns und der Renten sowie die Stärkung der Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten.
Sánchez warf der PP weiter vor, die VOX als künftigen Koalitionspartner umwerben zu wollen. Denn nur so habe die PP überhaupt eine Chance, an die Regierung zu kommen. In einigen Regionen und Städten Spaniens stützt sich die PP bereits auf die VOX. Ende Mai werden in Spanien Regional- und Kommunalwahlen stattfinden, gegen Jahresende dann Parlamentswahlen.
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