Sam Mendes' neuer Film „Empire of Light“: Gefühlskino mit Gebrauchsanleitung
Wo finden wir Hoffnung? In der Liebe, in Gemeinschaft – und im Kino. Sam Mendes drängt in „Empire of Light“ stark auf ganz große Emotionen.
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Das Licht finden, wo Dunkelheit herrscht. Wie eine Aufforderung prangt das Zitat über einem der prachtvollen Säle des altehrwürdigen „Empire“-Kinos, das zum alles bestimmenden Kosmos wird. Es ist der erste Film, bei dem der britische Regisseur Sam Mendes („American Beauty“) das Drehbuch allein verfasste. Der Titel, „Empire of Light“, führt die beiden Komponenten, die die zu Beginn der achtziger Jahre spielende Handlung des Melodrams durchdringen, vielsagend zusammen: Das Licht als Metapher für Hoffnung, das Kino als Reich des Lichts. Vielsagend ist der Titel auch, weil er verdeutlicht, wie reizlos direkt Mendes die Motive einer Geschichte angeht, die um jeden Preis berühren soll.
Hilary Small (Olivia Colman) steht wortwörtlich in ihrem Zentrum: Zuständig für den Verkauf von Snacks, weilt sie während ihrer Schicht in adretter Arbeitsuniform hinter der kreisrunden Theke in der Mitte des eindrucksvollen Foyers, nimmt das korrekte Überreichen von Schokoladen, Bonbons und Popcorn pedantisch ernst. Kein Wunder, ist ihr Leben abseits des Arbeitsalltags des Kinos von Finsternis bestimmt.
Außenseiter wie sie selbst
Einsam nimmt sie ihre Mahlzeiten im Restaurant ein, einsam verbringt sie Weihnachten mit Buch und Wein in der Badewanne. Ihre einzigen sozialen Kontakte sind ihre Kollegen. Zu ihnen gehören vor allem Außenseiter wie sie selbst: Die Goth-Musik hörende Janine (Hannah Onslow), der einfühlsamen Neil (Tom Brooke) und der stille Filmvorführer Norman (Toby Jones).
„Empire of Light“. Regie: Sam Mendes. Mit Olivia Colman, Micheal Ward u. a. USA 2022, 115 Min.
Doch auch vor ihnen macht sie sich, auch hier ist nomen gleich omen, klein. Dass Hilary die Welt über sich ergehen lässt, hängt auch mit den Medikamenten zusammen, die sie allmorgendlich einnimmt. Das Lithium betäubt sie, sodass sie auch den Missbrauch durch ihren wichtigtuerischen Chef (Colin Firth) ohne größeren Widerstand geschehen lässt.
Charismatisch und charmant
Wenn Roger Deakins’ Kamera („Blade Runner 2049“), die dem Film eine Nominierung bei der diesjährigen Oscar-Verleihung einbrachte, erstmals das sich noch oft wiederholende Spiel mit dem Licht einfängt, ahnt man, was geschehen wird. Die Scheinwerfer vorbeifahrender Autos, die über die Decke von Hilarys dunklem Schlafzimmer schnellen, sind Vorboten der Hoffnung, und diese Hoffnung heißt Stephen (Micheal Ward).
Charismatisch, charmant, und scheinbar stets guter Laune zieht der junge Mann – der den Job im Kino antritt, weil College-Zusagen aufgrund von rassistischer Diskriminierung ausbleiben – umgehend in seinen Bann. Mit ähnlicher Vehemenz, schon fast märchenhaft anmutend, erzählt Mendes von der unwahrscheinlichen Annäherung zwischen der etwa fünfzigjährigen Hilary und dem ungefähr halb so alten Stephen.
Gegen die klischierte Zeichnung der Figur
Obwohl grobschlächtige Sinnbilder auch vor ihrer zarten Liebe nicht Halt machen und der gefühlige Score von Trent Reznor und Atticus Ross („Bones and All“) stets daran erinnert, dass man als beiwohnender Zuschauer gefälligst gerührt zu sein hat, bringt dieser Handlungsstrang doch die herausragendsten Momente hervor. Meist spielen sie sich in der verlassenen oberen Etage des Kinos ab, die den beiden Außenseitern zum sonnendurchfluteten Dorado werden soll.
Dass dem so ist, liegt auch am erweichenden Spiel Colmans („The Father“), die in der Verkörperung von tragisch-traurigen Rollen seit jeher besonders einzunehmen weiß und mit all ihrem Können gegen die klischierte Zeichnung ihrer Figur anspielt.
Mit der erzählerischen Brechstange
„Empire of Light“ will aber nicht nur Romanze, sondern auch Sozialdrama sein. Die Proben, auf die die Beziehung zwischen Hilary und Stephen gestellt wird, gehören damit ganz und gar nicht dem Reich des Fabulösen, sondern der harten Realität des Thatcher-Empires an. Skinheads ziehen durch die von Trost- und Arbeitslosigkeit gebeutelte kleine Küstenstadt, auch während der Arbeit werden Stephen mitunter rassistische Ressentiments entgegengebracht. Leider weiß Mendes hier ebenfalls nur mit der erzählerischen Brechstange vorzugehen.
Insgesamt krankt der Film an einem Drehbuch, das sich meist für größtmögliche dramatische Wendungen entscheidet, offensichtlich in der Absicht, größtmögliche emotionale Reaktionen zu provozieren. So kommt es obendrein dazu, dass Hilarys Schizophrenie voll zutage tritt, nachdem sie aus euphorischer Beschwingtheit heraus leichtsinnig ihre Medikamente absetzt. Doch viel hilft eben nicht viel, wenn es darum geht, der Fakultät der Seele nachzuspüren. Das führt Sam Mendes während der knapp zweistündigen Spielzeit eindrucksvoll vor Augen.
Das Kino wird zum Surrogat
Selbst das zentrale Vorhaben von „Empire of Light“, eine innige Würdigung des Kinos zu sein, geht nicht recht auf. So wird es nicht etwa als sinnstiftende und selbstbewusste Kunstform, sondern schlicht als Ort beklatscht. Als einer der anonymen Zuflucht für die Ausgestoßenen und Randständigen. Es ist ein Beifall mit Beigeschmack, der das Kino auf die Größe eines bloßen Surrogats schrumpft, das Lücken zu schließen hat, die die Entbehrungen des „echten Lebens“ reißt.
So erweist sich das eingangs erwähnte Zitat, das das Kino „Empire“ schmückt, als unfreiwillig prophetisch. Es stammt aus William Shakespeares Stück „Verlorene Liebesmüh“. Ein Titel, der sich liest wie die ehrliche Kurzbeschreibung eines Films, der in einer bleiernen Atmosphäre des guten Willens jede echte Gefühlsregung seines Publikums erstickt.
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