Saddams Exoffiziere in der IS-Führung: Erbe der Diktatur
Unter den Anführern des IS finden sich viele Offiziere des alten irakischen Regimes. Ihnen verdankt die Terrormiliz viele ihrer Erfolge.
Auf einem Militärstützpunkt nördlich von Bagdad befehligte Al-Ani das Beladen von Lastwagen mit Waffen und Munition, um sie verschwinden zu lassen. Er nahm diese Waffen mit, als er sich Tauhid wa‘l-Dschihad anschloss, einem Vorläufer von Al-Kaida im Irak. Heute sei Al-Ani ein Kommandeur der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), sagt Omran, der inzwischen ein Generalmajor des irakischen Heeres ist und als Kommandeur der Fünften Division gegen den IS kämpft. Der Werdegang seines früheren Kameraden ist bei weitem kein Einzelfall.
Die oberste Führungsebene des IS unter ihrem irakischen Anführer Abu Bakr al-Bagdadi werde von früheren Offizieren der Streitkräfte und der Geheimdienste von Saddam Hussein dominiert, sagen ranghohe irakische Offiziere und Vertreter der Geheimdienste. Ihre Erfahrung sei ein wesentlicher Grund für die Erfolge des IS in großen Teilen des Iraks und Syriens. Sie hätten dem IS die Organisation und Disziplin vermittelt, die nötig seien, um Kämpfer aus aller Welt zu vereinen und Terrortaktiken wie Selbstmordanschläge mit Militäroperationen zu verbinden. Sie leiteten das Sammeln geheimer Informationen, das Ausspionieren der irakischen Streitkräfte und die Instandhaltung der Waffen. Zudem versuchten sie, ein Chemiewaffenprogramm zu entwickeln.
Mehrere Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre führten dazu, dass Offiziere von Saddam Husseins überwiegend säkularem Regime eine der radikalsten islamistischen Gruppierungen weltweit durchdrangen. Dazu zählt unter anderem eine staatliche „Glaubenskampagne“ zur Islamisierung der Gesellschaft Mitte der 90er Jahre. Islamistische Hardliner in den Streitkräften wurden fortan geduldet, wenngleich sie keine Kommandopositionen einnehmen durften. Der Schritt wurde damals als Versuch des Regimes gewertet, nach der Niederlage des Iraks gegen Kuwait im Golfkrieg 1991 und den folgenden Aufständen von Kurden und Schiiten politische Unterstützung vom religiösen Establishment zu erhalten.
Im Vorfeld der US-Invasion 2003 lud Saddam Hussein öffentlich Mudschahedin aus dem Ausland in den Irak ein, um gegen die Invasoren zu kämpfen. Tausende kamen und wurden von irakischen Ausbildern geschult. Nach dem Zusammenbruch des Regimes schlossen sich Hunderte Offiziere aus Empörung über die US-Entscheidung, das irakische Heer aufzulösen, einem Aufstand von Sunniten gegen die Herrschaft der inzwischen an die Macht gekommenen Mehrheit der Schiiten an. Zunächst waren die Aufständischen überwiegend säkular geprägt, doch später nahm unter ihnen die Bedeutung militanter Islamisten zu, insbesondere nach der Gründung von Al-Kaida im Irak.
Mindestens vier Exoffiziere im IS-Militärrat
Al-Bagdadis Stellvertreter ist der ehemalige Heeresmajor Saud Mohsen Hassan, der auch diverse Pseudonyme nutzt, wie der Leiter einer Terrorabwehreinheit des Geheimdienstes sagt. Während der 2000er Jahre war Hassan im US-geführten Gefangenenlager Bucca inhaftiert, dem Hauptgefängnis für Mitglieder des sunnitischen Aufstands. Dieses war auch eine bedeutende Keimzelle des IS. Dort kamen Islamisten wie Al-Bagdadi in Kontakt mit früheren Offizieren von Saddam Hussein, darunter Mitglieder von Spezialkräften wie der Republikanischen Garde. Al-Bagdadi hielt Predigten, und Hassan tat sich laut dem Geheimdienstleiter als effizienter Organisator hervor, der Häftlingsstreiks anführte, um von den Amerikanern Zugeständnisse zu erreichen.
Frühere Häftlinge aus Bucca finden sich nun in der IS-Führung wieder. Unter ihnen ist Abu Alaa al-Afari, der früher bei Al-Kaida war und jetzt Finanzchef beim IS ist. Dies geht aus einem Schaubild hervor, das der Geheimdienstchef, der anonym bleiben möchte, der Nachrichtenagentur ap vorlegte. Es soll die Hierarchie der Terrormiliz darstellen. Al-Bagdadi habe zudem eine Reihe dieser Vertrauten in den Militärrat berufen, der sieben bis neun Mitglieder haben soll. Mindestens vier von ihnen sind ehemalige Offiziere von Saddam Hussein. Andere frühere Bucca-Insassen nahm er in seinen inneren Zirkel auf. Veteranen aus der Saddam-Hussein-Ära fungierten als „Gouverneure“ von sieben der zwölf „Provinzen“, die der IS in dem von ihm beherrschten Gebiet im Irak einrichtete.
Offizielle irakische Stellen räumen allerdings ein, dass es schwierig sei, die Führung des IS und dessen Hierarchien zu durchschauen. Die Terrormiliz selbst gibt so gut wie nie Namen oder Pseudonyme ihrer Führungsmitglieder bekannt. Wird eines getötet, ist oft nicht bekannt, wer dessen Platz einnimmt. Mehrere von ihnen wurden mehrfach für tot erklärt, tauchten später aber lebend wieder auf. Manche nehmen einfach ein neues Pseudonym an. „Wir wissen oft nicht, wer wen in der Führung ersetzt“, sagt ein Brigadegeneral des militärischen Geheimdienstes. „Es ist uns nicht möglich, die Gruppierung zu infiltrieren. Es ist erschreckend.“
Unterstützung von Stammesführern
Schätzungen über die Zahl der Veteranen aus der Saddam-Ära im IS reichen von 100 bis 160, überwiegend in mittleren und ranghohen Positionen. Viele von ihnen haben enge Stammesverbindungen oder sind die Söhne von Stammesführern in ihren Regionen, was dem IS ein wichtiges Netzwerk der Unterstützung verschafft und bei der Anwerbung neuer Kämpfer hilft. Dies soll dem IS auch bei der Einnahme der Stadt Ramadi im Mai geholfen haben. Mehrere Offiziere sagen, sie glaubten, IS-Kommandeure hätten Stammesgenossen unter den Sicherheitskräften überredet, ihre Positionen kampflos zu verlassen.
Die Kenntnisse der Offiziere aus der Saddam-Ära seien jetzt Teil der DNA des IS, sagt Michael Ryan, ein früherer ranghoher Beamter der US-Ministerien des Äußeren und der Verteidigung. „Dieses Verschmelzen der irakischen Erfahrung und dessen, was wir die afghanisch-arabische Erfahrung nennen können“, sei zum einzigartigen IS-Markenzeichen geworden. „Dieses Markenzeichen wurde letztlich im Irak erfolgreicher als Al-Kaida im Irak und, zumindest vorerst, in Syrien stärker als Al-Kaida.“
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