Sachsen und die Flüchtlinge: Das Bedürfnis nach einem Feind
Ali Moradi vom Sächsischen Flüchtlingsrat erzählt, wer Pegida und AfD in die Hände gespielt hat. Und wie er trotzdem optimistisch bleibt.
Ali Moradi, Projektleiter und Geschäftsführer des Sächsischen Flüchtlingsrats. Geboren 1955 in Tabriz, Iran, dort Besuch der Schule und Abitur. Sein Vater war Architekt und Gerichtsgutachter, die Mutter Hausfrau. Nach dem Abitur Ausbildung an der Pilotenakademie Teheran zum Hubschrauberpiloten, Abschlussprüfung 1974. Danach Hubschrauberpilot beim Militär während des Ersten Golfkriegs bis 1989, ab 1978 Testpilot. Da er vor der Revolution als Linker politisch aktiv war, geriet er ab 1989 unter zunehmenden Druck, Ausschluss von staatlichen Beschäftigungen aus politischen Gründen, mehrfache Inhaftierung (mit physischer und psychischer Folter). Lebte in Isfahan und Teheran, hielt sich 1994 ein paar Monate versteckt.
1995 gelang ihm die Flucht aus dem Iran nach Deutschland. Sein Bruder lebte bereits in Bochum, er selbst wollte langfristig zwar nach Kanada, stellte aber erst mal in Deutschland einen Asylantrag und wurde nach Chemnitz geschickt. Sieben Monate später bereits bekam er seine Anerkennung als Asylberechtigter. Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten jedoch (das Amt wurde geschlossen) bezweifelte die Asylgründe und klagte gegen den Entscheidung des Bundesamts. Von 1995 bis 2002 folgte ein 7 Jahre dauerndes Klageverfahren, 7 Jahre der Unsicherheit ohne Pass.
In dieser Zeit Gründung von Hilfsvereinen für Flüchtlinge in Zwickau, Kontakt zum Deutschen Flüchtlingsrat, ein Jahr Arbeit bei der Migrationsberatung des ökumenischen Informationszentrums Cabana in Dresden, insgesamt drei Jahre in der Flüchtlingsberatung. Seit 2001 Vorstandsmitglied im Sächsischen Flüchtlingsrat. 2002 endlich erhielt er seine Aufenthaltserlaubnis, 2003 die Niederlassungserlaubnis und 2006 seine Einbürgerung. Seit 2004 ist er Projektleiter des Flüchtlingsrats und ehrenamtlicher Geschäftsführer. Herr Morani ist verheiratet und lebt in Dresden.
Weltweit sind 60 Millionen Heimatvertriebene auf der Flucht, das sind mehr Menschen als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Ein großer Teil der Schutzsuchenden flieht aus Kriegs- und Krisenregionen, derzeit vor allem aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, dem Iran, Albanien, Pakistan und Eritrea. 2015 wurden in Deutschland etwa 1,1 Million Flüchtlinge registriert. Von Anfang Januar bis Ende Dezember 2015 wurden etwa 476.000 Asylanträge gestellt. Die Bearbeitung jedoch ist äußerst schleppend und schlecht organisiert. Ende Dezember lag die Zahl der noch nicht entschiedenen Anträge bei 364.000. Mehr als 400.000 Flüchtlinge konnten bisher nicht einmal einen Antrag stellen, weil die Wartezeiten mehrere Monate betragen.
Keine Chance mehr auf Asyl
Die Abschiebung der Armutsflüchtlinge in ihre „sicheren Herkunftsländer“ hingegen wurde rasch beschlossen und forciert gehandhabt. Aber alles ist rechtens. Die Großzügigkeit des alten Artikels 16 im Grundgesetz (GG) existiert nicht mehr seit der Änderung des Grundrechts auf Asyl durch den „Asylkompromiss“, der am 1. Juli 1993 rechtskräftig wurde. Nach dem seither gültigen Artikel 16a GG hat in aller Regel keine Chance mehr auf Asyl, wer aus „verfolgungsfreien“ Ländern stammt oder über den Landweg und „sichere Drittstaaten“ einreist, von denen Deutschland ja lückenlos umgeben ist.
Anfang Februar 2016 bin ich in Dresden mit Herrn Moradi vom Sächsischen Flüchtlingsrat verabredet und bitte ihn, ein wenig von seiner Arbeit und seinen Erfahrungen zu erzählen: „Die Situation, so wie wir sie heute in Sachsen haben, hat sich systematisch entwickelt und zugespitzt, weil die Politik versagt hat. Sie hat bereits versagt bei den schlimmsten rassistischen Ausschreitungen der deutschen Nachkriegszeit, damals in den 90er Jahren in Rostock-Lichtenhagen und in Hoyerswerda. Sie hat weggeschaut, verharmlost und sich lieber auf einen Populismuswettbewerb mit Rassisten und rechten Gruppen eingelassen. Es ist kein Zufall, dass Pegida sich 2014 in Dresden gegründet hat. Fragen Sie mal die Landesregierung, was sie in den letzten Jahren unternommen hat gegen das Hochkommen dieses großen Fremdenhasses?!
Nach der Wende damals, da gab es ja hier in dem Sinne keine Flüchtlinge. Da gab es an Ausländern vor allem Vietnamesen, Kubaner, Mosambikaner, Algerier; die waren Vertragsarbeiter in der DDR gewesen und lebten größtenteils ziemlich isoliert in Heimen. Aber auch die erfuhren damals schon Fremdenhass. Nach der Wende hatten wir hier bis 2004 eine Regierung, die wollte nicht wahrhaben, dass in weiten Kreisen der Bevölkerung massiv Ausländerfeindlichkeit und Rassismus existieren. Es kamen dann ein paar mehr Flüchtlinge nach Sachsen – sie werden ja nach dem Königsberger Schlüssel auf die Bundesländer verteilt – und wir bekamen damals 5,4 Prozent, insgesamt für Sachsen. Zurzeit sind es nur noch 5,1 Prozent, weil die Bevölkerung durch Wegzug geschrumpft ist. Aber auch diese kleine Quote hat bereits zu Protest geführt.
Problem unter den Teppich
2004, bei der Landtagswahl in Sachsen, hatte auf einmal die NPD fast genauso viele Stimmen wie die SPD. Sie hatte 7,8 Prozent Stimmenzuwachs! Aber die CDU sagte immer noch, Fremdenfeindlichkeit haben wir nicht, und kehrte das Problem unter den Teppich. Auch dass durch die militärische Zuspitzung und die politische Situation in den Heimatländern der Geflüchteten sich auch hier bei uns die Dinge vollkommen verändern werden, hat die Landesregierung übersehen.
Wir haben hier in Sachsen die restriktivste Asylpolitik von ganz Deutschland. Das drückt sich zum Beispiel auch so aus, dass zentrale Unterbringung das herrschende Konzept war und dezentrale Unterbringung auch heute immer noch nicht in ausreichendem Maß umgesetzt ist. Viele Menschen müssen auch nach einem halben Jahr immer noch in zentralen Übergangseinrichtungen leben. Die meisten Wohnheime liegen in der Pampa, am Arsch der Welt, wo es keine Infrastruktur, keine Arbeit, keine Sprachschulen und nichts gibt.
Ich habe Familien besucht, die 15 Jahre in solchen Einrichtungen gelebt haben. Die Kinder waren drei Jahre alt bei der Ankunft, und mit 18 saßen sie immer noch im Wohnheim.“ Er fügt ärgerlich hinzu: „Am Ende sind sie dann abgeschoben worden! Viele sind verdammt zum endlosen Warten. Damals gab es ja noch die Residenzpflicht, die wurde 2011 abgeschafft, zugunsten einer freieren Bewegungsmöglichkeit in Sachsen. Sie kann aber nur für kurze Reisen, Arztbesuche und so weiter in Anspruch genommen werden, nicht aber für eine freie Wahl des Wohnsitzes. Es galt dann eine landkreisbezogene Residenzpflicht. Damit war die Bewegungsmöglichkeit bei uns noch mehr eingeengt als in anderen Bundesländern.
Interessant ist auch, dass die Sicherheitskräfte hier immer mehr daran interessiert waren, statt den rechten den sogenannten Linksextremismus zu bekämpfen. Immer wenn ein Flüchtlingsheim mit Molotowcocktails attackiert wurde, dann hat man das versucht zu relativieren. So ist die Situation.
Manipulation der Massen
2014 gab es einen richtiggehenden ‚Populismus-Wettbewerb‘, der hatte verheerende Folgen. Wir hatten 2014 hier im Mai Kommunalwahlen und im August Landtagswahl. Die rechten Parteien haben alle anderen Themen beiseitegelegt und sich nur der ‚Asylproblematik‘ gewidmet. Auch die CDU war nervös. Nicht wenige ihrer Funktionäre haben beim Populismuswettbewerb mitgemacht, haben versucht, aus diesem Thema politisches Kapital zu schlagen. Also Manipulation mit den xenophoben und ausländerfeindlichen Ressentiments in der Bevölkerung. Und die Aufklärungsarbeit, die ja eigentlich der Auftrag der Landesregierung ist, hat nicht stattgefunden. Man hat auch keinerlei Anstalten gemacht, dabei wenigstens die unabhängigen Vereine und Organisationen zu unterstützen.
Und dann kommt 2013/2014 die Pegida-Geschichte. Das war, wie gesagt, kein Zufall. Die NPD war knapp gescheitert, dafür war die AfD mit einem Schlag auf fast 10 Prozent gekommen. Also Pegida ist der außerparlamentarische Arm der AfD. Die sind nicht entstanden, weil eine allgemeine soziale Unzufriedenheit in der Bevölkerung existiert. Es gibt sie zwar, viele Anhänger sind schon älter und empfinden sich als Verlierer der Wiedervereinigung. Viele wurden von einer Maßnahme in die nächste geschickt, und deshalb gibt es in dieser Altersgruppe auch das Problem der Altersarmut und Rentenarmut, das war vorprogrammiert. Aber der Fokus von Pegida ist ein ganz anderer, es wird angeknüpft am Bedürfnis nach einem Feind, nach einem Prügelknaben.
Plattform für Pegida
Sie bedienen vor allem das Thema Fremdenfeindlichkeit und Abwehr der Fremden. Die ultrakonservativen Populisten haben auch sofort darauf reagiert. Manche staatlichen Organisationen, die eigentlich einen Bildungsauftrag zu erfüllen hätten, haben mit großer Freude diese Bewegung begleitet. Herr Richter, sagt Ihnen der Name etwas? Nein? Also Frank Richter, Leiter der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung – die eigentlich überparteilich agieren müsste –, hat mit den Pegisten Interviews gemacht, stundenlang. Und er hat ihnen sogar ermöglicht, in seiner Behörde eine Pressekonferenz abzuhalten, und ihnen so eine Plattform geboten.
Ein anderes Beispiel erzähle ich Ihnen, es war quasi ein Vorzeichen. Weil 2013 die Zahl der Flüchtlinge, die Sachsen zugewiesen wurden, etwas gestiegen war, wurde in Schneeberg eine zusätzliche Notaufnahmestelle eingerichtet. Das ist eine kleine Stadt im Erzgebirge mit etwa 15.000 Einwohnern, sie ist auch bekannt durch ihren Weihnachtsmarkt. In einer ehemaligen NVA- und späteren Bundeswehrkaserne sollten ein paar hundert Bürgerkriegsflüchtlingen untergebracht werden.
Und der Schneeberger NPD-Stadtrat und seine Leute haben versucht, Kapital daraus zu schlagen. Es wurden Protestveranstaltungen auf dem Marktplatz organisiert und ein sogenannter Lichtellauf, ein Fackelzug durch die Stadt. Und es ist interessant, das war die erste größere Rekrutierung von Demonstranten über das Netz. Aufgerufen zur Demo hatte der dortige NPD-Kreisvorsitzende auf seiner Facebook-Seite ‚Schneeberg wehrt sich‘. Es sind so etwa 2.500 Schneeberger dem Aufruf gefolgt.
Gegendemo in der Minderheit
Ich war selber auch dort und habe gesehen: Das geht schief. Wir waren mit 11 Leuten da und wir wussten nicht, was passieren würde, ob sich etwas wie in den 90er Jahren in Hoyerswerda wiederholt – oder noch schlimmer, wie Rostock-Lichtenhagen. Wir haben mit ein paar Leuten versucht, vor dem Erstaufnahmelager eine kleine Menschenkette zu bilden. Ein Arzt aus Dresden war dabei und ein paar Sozialarbeiter aus Chemnitz. Zum Glück wurden wir nicht attackiert, denn sie waren gar nicht dort. Es war ihnen wichtiger, dass sie mit ihrem Fackelzug durch die Stadt laufen und gesehen werden.
Schneeberg war so eine Art Auftakt. Und dann wurde dieses Thema heißer und heißer. Ich dachte mir schon, dass es bei diesem Propagandawettbewerb Schwierigkeiten geben würde, aber dass sie so massiv werden, das hat selbst mich überrascht. Und ich muss es noch mal sagen, Pegida hätte niemals so groß werden können, wenn das nicht von verschiedenen Institutionen und auch durch manche regierende Person ermöglicht und so gefördert worden wäre.
Statt Aufklärung zu machen, hat man Populismus betrieben. Zu einer Zeit, als Pegida hier mit schlimmen Parolen durch die Straßen zog, kündigte der Innenminister an: Wir wollen jetzt eine Sondereinheit für straffällig gewordene Flüchtlinge aufstellen. Und zur gleichen Zeit dementierte der Präsident der Polizeidirektion in Dresden, er sagte, es gibt kein spezielles Kriminalitätsproblem durch Flüchtlinge, sie sind im Vergleich nicht straffälliger als die Inländer. Und das galt für ganz Deutschland. 2014 gab es in Deutschland 895 Delikte gegen Flüchtlingseinrichtungen und Flüchtlinge, 2015 waren es mehr als 1.610 solcher Delikte, überwiegend rechtsradikal motiviert.
Geiz gegen Flüchtlinge
Nehmen Sie noch ein letztes Beispiel: An der TU Dresden gibt es einen Professor Patzelt, am Institut für Politikwissenschaften, ein Bayer, kennen Sie den? Sicher nicht. Er hat jedenfalls auch eine unrühmliche Rolle gespielt, was Populismus betrifft. 2004 forderte er eine stärkere Rechtsausrichtung der sächsischen CDU, um der NPD die Themen und Wähler streitig zu machen. In diesem Sinne ging es weiter.
Er ist ein Fan von schlagenden Verbindungen und redet mit der Jungen Freiheit. Er beschäftigte sich wissenschaftlich mit Pegida, ging auch bei ihren Montagsdemos mit. Und er wirbt um Verständnis für die Demonstranten, diese patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. Er hat den ungeheuerlichen Vorwurf erhoben, dass die Anti-Pegida-Demonstrationen für die Zuspitzung der politischen Lage in Dresden verantwortlich sind. 2015 haben ihn seine Studenten als Sympathisanten der Pegida bezeichnet, und 12 Kollegen haben sich in einem offenen Brief von ihm und seinen Positionen distanziert.
Wenn sich Institutionen, wie Bildungseinrichtungen, Kirchen und Gewerkschaften, die quasi das Gewissen der Gesellschaft sein sollten, oft genug zurückhalten, um keinen Mitgliederschwund zu riskieren, dann frage ich mich: Wo bleibt die Moral? Wo bleibt die Pflicht gegenüber der Gesellschaft? Sie könnten die Gesellschaft ganz anders bilden und gestalten. Aber wenn Institutionen ihren Bildungsauftrag nicht erfüllen, sondern auch noch Wasser auf die Mühlen gießen, dann sieht es schlecht aus. Und wenn ein Hochschullehrer, ein Mann, der Studenten unterrichtet, die Tatsachen derart verdreht, dann ist das alles mehr als fahrlässig und hat Konsequenzen für das gesellschaftliche Leben.
Vergangenen Montag hatten wir hier im Stadtzentrum so eine Situation. Es war fast schon eine No-go-Area für Ausländerinnen und Ausländer, die, wie ich, orientalisch aussehen. So aggressiv waren die Pegisten. Wir, die Gegendemonstranten, sind immer in der Minderheit, mal sind wir 800, mal 1.000 oder auch mal 3.000, die 8.000 bis 10.000 Pegida-Anhängern gegenüberstehen. Wir haben anfangs sogar mit einigen versucht zu diskutieren, Aufklärung zu machen darüber, weshalb die Geflüchteten fliehen mussten, weshalb und wie sie hier leben, was sie an Hilfen erhalten und so weiter.
Da beißen Sie auf Granit
Bei manchen Mitläufern hatten wir sogar ansatzweise Erfolg. Das war aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Bei denen, die die Ausländerfeindlichkeit verinnerlicht haben, da beißen Sie auf Granit und müssen befürchten, dass sie – statt zu argumentieren – sofort handgreiflich werden. Das eigentlich Gefährliche ist aber, dass die rechten Bewegungen sich sammeln, international vernetzt sind und in 30 Städten wie Amsterdam, Budapest, Prag, Bratislava und so weiter auftreten.
Es ist leider so, wir, als Verein, als Sächsischer Flüchtlingsrat, haben nur sehr begrenzte Möglichkeiten, uns all dem entgegenzustellen. Aber wir versuchen es. Die politische Arbeit ist uns sehr wichtig, wir vertreten die Linie von Pro Asyl und den Flüchtlingsräten, haben ein großes Netzwerk und legen auf vier Sitzungen jährlich unsere Ziele und Strategien fest. Wir führen hier die politischen Gespräche mit Parteien, Organisationen, Landesämtern und Ministerien, reden über alles, was so auf der Tagesordnung ist. Für uns ist es ganz besonders wichtig, dass wir Aufklärungsarbeit innerhalb der Bevölkerung machen. Und wir versuchen, möglichst viele Ehrenamtliche zu gewinnen und zu schulen; auch als Berater und Übersetzer.
Und was glauben Sie, was wir zur Bewältigung unserer Aufgaben an Geldmitteln bekommen? Der Sächsische Flüchtlingsrat erhält keinen einzigen Pfennig aus Landesmitteln! Wir haben in Deutschland 16 Flüchtlingsräte, in jedem Bundesland einen und nur der Bayrische Flüchtlingsrat und der Sächsische bekommen kein Geld von ihren Landesregierungen. Der Flüchtlingsrat in Baden-Württemberg zum Beispiel bekommt 250.000 Euro institutionell gebundene Mittel jährlich.
Förderantrag abgelehnt
Wir existieren quasi nur, weil wir von Pro Asyl unterstützt werden, von der UNO-Flüchtlingshilfe und durch Spenden. Mit diesem Geld haben wir seit 2008 Flüchtlingsprojekte aufgebaut. Wir haben versucht, mobile Asylverfahren-Beratung zu machen, sind zu den Wohnheimen gefahren im Landkreis und in den Städten, um den Leuten mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Haben Sprachkurse organisiert, auch berufsbezogene Sprachkurse. Als der Bedarf nach solcher Hilfe dann immer größer wurde, haben wir 2015 an die Landesregierung einen Antrag auf Fördermittel gestellt für diese Projekte. Dieser Antrag wurde abgelehnt!
Dazu müssen Sie wissen, wir haben in Dresden für die soziale Betreuung einen Schlüssel von einem Sozialarbeiter auf hundert Leute. Das ist nicht zu schaffen, schon gar nicht bei den vielfältigen Problemen. Dieser Geiz geht auch auf Kosten der Flüchtlinge. Und deshalb versuchen wir, das eben mit Ehrenamtlichen zu unterstützen, Begleitung auf Ämter oder zum Arzt und vieles mehr zu machen. Wir haben sehr gute Leute, in jedem Alter, aus ganz unterschiedlichen Verhältnissen, auch Linke, auch Christen.
Wenn Sie diese Ehrenamtlichen sehen würden, Sie wären begeistert! Da bekommt man wieder Kraft, um 24 Stunden weiterzuarbeiten. Und was unser Team betrifft, so versuchen wir, es so international und interkulturell wie möglich aufzustellen. Wir haben auch mehrere Sprachen zur Verfügung; hier an unserem Hauptsitz und in Chemnitz. Bald werden wir auch eine Zweigstelle in Plauen aufbauen, damit wir auch dort Hilfe leisten können. Wir hoffen, es gelingt.
Warum so überrascht?
Was ich nicht verstehe, ist diese Überraschung, die hier herrscht. Man sei nicht vorbereitet gewesen, heißt es immer. Aber es war ja längst bekannt, das Problem. In Deutschland hat man lange gedacht, wir liegen geschützt, wir sind sicher hier, die Millionen von Flüchtlingen stranden irgendwo anders, weit weg, kommen nicht bei uns an. Aber jetzt, wo sie da sind, wo sie kommen, erheben sich ein Geschrei und der Ruf nach Solidarität. Da gibt es einen Rechtsruck und populistische Reden. Nur, es ist doch so: Da, wo wir unglaubwürdig sind, wo wir die Menschenrechte und die Demokratie verraten, geben wir ein sehr schlechtes Vorbild ab.
Das ist Propagandafutter in der Hand von Diktatoren und autoritären Regimen! Die machen dort ihre demokratischen Bewegungen und vernünftigen Kräfte nieder und sagen: Schaut mal genau hin, die Deutschen, die glauben doch selbst nicht an das, was sie sagen, was sie sich in ihr Grundgesetz geschrieben haben. Solange der Ostblock existiert hat, wurden das Asylrecht und seine Inanspruchnahme sehr hoch gehalten und großzügig gehandhabt. Aber nach dem Mauerfall, nach dem Ende der sozialistischen Länder ist das Asylrecht nur noch eine ungeliebte Last. Und nun ist beides diskreditiert: der Sozialismus und die Demokratie. Das ist gefährlich!
Solange irgendwo eine Moral existiert, ist die Gefahr nicht so groß, wenn aber die Moral verdrängt wird, dann wird alles unberechenbar. Man sieht ja, wie die Rechten zulegen – nicht nur bei uns, auch in den nordischen Ländern, die ja früher immer ein Vorbild waren, was Integration und Soziales anging. Das ist alles vorbei.
Sie möchten ein Resümee? Ich bin eigentlich ein geborener Optimist und will nicht negativ in die Zukunft schauen. Also international gesehen könnte ein positiver Weg so gestaltet werden, dass wir sehr großen Wert legen auf Glaubwürdigkeit. Und wir müssen alles tun, um die Fluchtursachen zu beseitigen. Nicht nur Europa, auch die USA. Dieser furchtbare Krieg muss beendet werden, es muss Druck gemacht werden, auch auf Saudi-Arabien. Der Krieg in Syrien ist nicht, wie man sagt, ein sunnitisch-schiitischer Glaubenskrieg. Nein! Man wollte dort Maßnahmen ergreifen, um das Einflussterritorium von Russland beziehungsweise dem Iran zu begrenzen.
Gegen die Zeit
Und das Problem der Kurden muss schnell gelöst werden, aber diplomatisch, nicht durch ein weiteres Blutbad. Der Türkei muss ganz deutlich gesagt werden, wo die rote Linie ist. Wenn es eine ‚Wertegemeinschaft‘ geben sollte, USA und Europa, dann müssen beide in positiver Weise an einem Strang ziehen. Aber es wird jetzt sehr auf den Ausgang der Wahlen in Amerika ankommen. Darauf, ob der Teil der Wirtschaft gewinnen wird, der nur noch ölorientiert und rüstungsorientiert ist. Wenn die brutalen Vertreter dieser Wirtschaft an die Macht kommen, dann ist Feierabend! Ich kann es nicht anders sagen.
Und hier bei uns erhoffe ich mir, dass die Pegida-Bewegung kleiner wird, Anhänger verliert, und natürlich auch, dass die AfD nicht noch stärker wird. Allerdings, damit sieht es nicht gut aus. Auf jeden Fall aber müssen wir eine umfassende Aufklärung in der Bevölkerung machen und die Flüchtlinge, die jetzt noch reinkommen, gut unterbringen.
Das könnte man sehr gut organisieren. Hoffen wir, dass sich die Landesregierung endlich an diesen Aufgaben beteiligt und auch die SPD so etwas vorantreibt. Da gibt es ja einige Vernünftige. Ich weiß, wir arbeiten gegen die Zeit, aber ich werde jedenfalls nicht aufgeben und weiterhin für meine Ideale kämpfen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour