Sachsen-Anhalt nach der Landtagswahl: Gefahr im Verzug
Was bedeutet der CDU-Sieg bei der Wahl in Sachsen-Anhalt für die Teilhabe im Land? Die Initiative am Magdeburger Hasselbachplatz ist skeptisch.
M it freundlicher Gemütlichkeit öffnen Kyra Sukup und Tilman Kloss den kleinen Erdgeschossladen auf der geschäftigen Magdeburger Sternstraße. Die beiden sind ehrenamtlich bei dem Verein „platzmachen“ aktiv, der vor einem Jahr seinen Stadtteilladen eröffnet hat, inmitten der Magdeburger Altstadt, nur wenige Meter vom Hasselbachplatz entfernt. Es ist ein belebtes Viertel: Junge Familien spazieren die Straße entlang, an der Ecke verkaufen Händler Spargel, Jugendliche sitzen an der Ecke und hören Musik, ein paar Trinker stoßen mit ihrem Bier an.
Kyra Sukup, Aktivistin bei „platzmachen“
„Das Ergebnis ist schon ein Schock, auch wenn wir damit gerechnet haben“, sagt Sukup, wenn man sie nach der Landtagswahl vom Vortag fragt. Es ist Montagmorgen, am Tag zuvor wurde in Sachsen-Anhalt ein neues Landesparlament gewählt. Die CDU hat mit 37,1 Prozent einen deutlichen Sieg errungen, zweitstärkste Kraft ist die in Sachsen-Anhalt besonders rechte AfD mit 20,8 Prozent. Die Linken, jahrelang eine führende Kraft im Bundesland, liegen nur noch bei dürftigen 11 Prozent, die SPD bei unter 10. Die Grünen erreichten nur knapp 5,9 Prozent.
Es ist ein herber Verlust für diejenigen, die sich selbst als progressiv sehen. Denn: Auch, wenn die CDU betont, dass sie nicht mit der AfD koalieren werde, so haben doch fast 60 Prozent der Wähler:innen für einen konservativen bis rechtsradikalen Kurs gestimmt. Die CDU in Sachsen-Anhalt ist bekannt dafür, nur wenige christlich-soziale Mitglieder zu haben und eher am nationalkonservativen Rand zu fischen.
Tilman Kloss, Student und Aktiver bei der Magdeburger Stadtteilinitiative „platzmachen“
Kloss, 25, groß gewachsen, in grauem Pulli und schwarzer Jeans, redet mit Bedacht. Er ist unaufgeregt, aber ernüchtert vom Wahlausgang. Kloss ist in Magdeburg geboren, studiert hier Soziale Arbeit, er kennt die Politik im Land. „Diese Polarisierung zwischen AfD und CDU trägt nicht dazu bei, dass es bei inhaltlichen Problemen im Land wirklich vorangeht.“ Was er meint: Mit dem Wahlergebnis bleibt vieles beim Alten. Die Hoffnung auf einen neuen demokratischen Aufbruch im Parlament von Sachsen-Anhalt ist für sie zerschlagen.
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Es geht bei dieser Landtagswahl nicht nur um parlamentarische Mehrheiten Es geht auch um die Frage, welchen Einfluss eine demokratische Zivilgesellschaft in der Politikgestaltung des Landes in Zukunft haben wird.
In den Schaufenstern des Stadtteilladens von „platzmachen“ hängen bunte Kärtchen, Plakate werben in vier Sprachen für ein Begegnungscafé, ein QR-Code weist auf eine Umfrage der Initiative hin: „Hassel für alle. Zusammen den Kiez bewegen.“ Und: „Was wünschst DU dir vom Hassel?“ Gemeint ist damit der Hasselbachplatz.
Bei der Landtagswahl ist es die CDU, die das Direktmandat im Stadtteil holt. Tobias Krull kann mit 28,1 Prozent der Stimmen seinen Platz verteidigen. Seit 2016 ist er Abgeordneter im Landtag. Tilman Kloss sagt von Krull, dieser sei immerhin einer der wenigen in der Partei, die sich gegenüber dem Verein gesprächsbereit zeigten. In seinem Wahlkampf hat Krull immer wieder die Bedeutung von Ehrenämtern betont. Glück im Unglück also, dass er das Mandat für den Wahlkreis erneut erobert hat – auch, wenn man sich bei „platzmachen“ mit den Kandidatinnen von Grünen und Linken mehr Unterstützung erhofft hätte.
Der Stadtteilladen, ein Ort der Begegnung
Die Idee des Stadtteilladens ist es, einen Begegnungsort zu schaffen für alle Menschen im Viertel. Ein bisschen sieht es hier aus wie in einer alten, charmanten Kneipe in Prag. Kaminrot gestrichene Wände mit goldenen Ornamenten, eine große Holztheke, hinter der die Gläser vor einem Spiegel aufgereiht sind, alte DDR-Sessel mit löchrigen Polstern. In der oberen Etage steht ein Kickertisch, an der Wand hängt eine Dartscheibe. In einem Kühlschrank wird Essen für ein Foodsharing-Projekt gesammelt.
Über fünfzig Menschen arbeiten bei „platzmachen“ mit, alle ehrenamtlich an einzelnen Projekten. Es sind zum Großteil jüngere Menschen zwischen 20 und 30, viele studieren noch oder machen eine Ausbildung.
Fragt man die Aktiven, was ihnen wichtig ist, nennen sie Themen wie Antirassismus, Empowerment, Klimagerechtigkeit und Demokratieförderung. Partizipation und Selbstermächtigung stehen im Mittelpunkt, Teilhabemöglichkeiten bilden das Fundament. An manchen Tagen teilen sie in Kooperation mit der Bahnhofsmission Essen an Bedürftige aus oder betreuen einen Kältebus für Wohnungslose, an anderen organisieren sie Gespräche zum Tag der Nachbarschaft, führen Diskussionsrunden zur Integration oder befragen Anwohner:innen, was sie sich von dem Stadtteil wünschen.
So gesehen sind die Landtagswahlen für „platzmachen“ zweitrangig. Für sie steht Politik von unten, aus dem Stadtteil heraus, im Fokus. Und doch sind sie nicht losgelöst von jenen Entscheidungen, die im nur einige Gehminuten entfernten Landtag getroffen werden.
Das SOG LSA und der Hasselbachplatz
Das ist zum Beispiel das Gesetz zur öffentlichen Sicherheit und Ordnung, SOG LSA genannt. Es bietet die Grundlage für erweiterte Befugnisse der Polizei am Hasselbachplatz. Für den Verein ist es die Ursache vieler Probleme hier im Viertel. Kyra Sukup ist eine derjenigen, die mit einer Kampagne gegen das Gesetz angehen will. Sukup, 22, trägt rotbraun gefärbte Haare und eine Jeansjacke. Sie studiert Rehabilitationspsychologie in Stendal, ist erst vor einem halben Jahr nach Magdeburg gezogen. Sie sagt, das Gesetz würde vor allem Minoritären kriminalisieren, Schwarze, Wohnungslose, Personen of Colour. Teilhabemöglichkeiten hingegen gebe es für diese Menschen nicht.
Es geht für Sukup und den Verein um nicht weniger als die Frage: Wem gehört das Viertel?
Der Hasselbachplatz am Rande der Altstadt Magdeburgs ist ein umkämpfter Ort. Folgt man der Lokalpresse, gilt er als Problemfall der Stadt, als kriminalitätsbelastet, als Schandfleck. Dabei ist der „Magdeburger Kiez“, wie das Kneipenviertel rundherum genannt wird, eigentlich nicht unattraktiv. Insbesondere für Jugendliche gibt es hier viele Möglichkeiten der Begegnung, vom Dönerladen an der Ecke bis hin zur Cocktailbar.
Sukup sagt, die Diskurse seien aufgeladen, es gebe viele rassistische Projektionen. Für sie ist der Ort so etwas wie das „Wohnzimmer Magdeburgs“. Jemand habe die Melange am Platz mal als „ehrliche Vielfalt“ beschrieben. „Das finde ich sehr schön“, sagt sie und lächelt. „Es ist immer viel los.“
Es ist diese Vielfalt, die der AfD ein Dorn im Auge ist. Für die Partei ist es ein Ort „organisierter Kriminalität“, an den Bürger sich nicht mehr hintrauen würden. Ein „Spielplatz aggressiver Ausländer und alkoholisierter Jugendlicher“, formuliert es der AfD-Stadtrat Ronny Kumpf. Für die Rechten, bei denen die Ablehnung Geflüchteter im Parteiprogramm verankert ist, ist es der perfekte Symbolort für die vermeintliche „Ausländerkriminalität“, der mit einer harten sicherheitspolitischen Hand zu begegnen sei.
Aber ist der Ort wirklich so viel gefährlicher als andere Kneipenviertel Deutschlands? Ist der Hasselbachplatz so sehr anders als St. Pauli, Berlin-Kreuzberg oder die Feierbanane in München?
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Immer mal wieder schlagen Betrunkene über die Stränge, prügeln sich Jugendliche, werden Graffiti gesprüht oder Autos beschädigt. 2019 gab es auch eine Schießerei inklusive Großeinsatzes der Polizei. Schon im Jahr davor stufte die Polizei den Hasselbachplatz neben 21 anderen Orten in Sachsen-Anhalt als „gefährlichen Ort“ ein – nachdem die AfD eine entsprechende parlamentarische Anfrage im Landtag gestellt hatte. Das bedeutet: mehr Polizei, Überwachung, verdachtsunabhängige Kontrollen. Die AfD nutzte diese Entwicklung und warb für die Kommunalwahl 2019 mit dem Slogan „Hol dir den Hassel zurück.“
Schaut man in die Statistik der Stadt Magdeburg, dann werden die meisten Straftaten tatsächlich in der Altstadt, in der auch der Hasselbachplatz liegt, erfasst. Aus welchen Gründen jedoch, ist darin nicht aufgeführt. Und: Je mehr Kontrollen es gibt, desto mehr Treffer muss es auch geben. Zudem ist die Altstadt das belebteste Viertel in Magdeburg. Eine besonders hohe Kriminalitätsrate ließe sich am Hasselbachplatz selbst, so berichtete es im vergangenen Jahr der MDR, nicht nachweisen.
Weg mit der Bezeichnung „gefährlicher Ort“
Besonders unsicher wirkt es hier tatsächlich nicht. Beim Italiener an der Ecke treffen sich junge Frauen zum Mittagstisch, die Bäckersfrau liest entspannt ihre Zeitung. Nur in der Ferne jault ein Polizeiwagen auf, rauscht aber vorbei. Aber kontrolliert wird stetig. An den Ecken der Gründerzeithäuser rund um den Platz hängen Überwachungskameras. Das SOG LSA markiert den Platz als „gefährlichen Ort“ und erlaubt damit diese Überwachung sowie verdachtsunabhängige Polizeikontrollen.
„Platzmachen“ will, dass dieses Gesetz reformiert wird. Der „Hassel“ soll nicht mehr als „gefährlicher Ort“ markiert werden, die Polizei damit ihre außerordentlichen Kontrollbefugnisse abgeben. Außerdem soll eine unabhängige Polizeibeschwerdestelle eingerichtet werden, „um eine demokratische Kontrolle der Staatsgewalt zu ermöglichen“, so erklärt es Sukup.
Und wie stehen die Chancen für diese Einflussnahme aus dem Viertel ins Parlament? Mit dem Wahlergebnis gibt es keine progressive Mehrheit. Linke, Grüne und SPD erreichen zusammen gerade einmal knapp 26 Prozent. Allerdings, so erklären es die Aktiven, brauche man ein breites Bündnis, um das Anliegen überhaupt in den Innenausschuss zu tragen. In der vergangenen Legislaturperiode war ein AfD-Abgeordneter Vorsitzender dieses Ausschusses, diesmal ist zu erwarten, dass CDU oder AfD dort übernehmen.
Auch wenn die AfD den Posten diesmal nicht bekommen sollte, machen sich Kloss und Sukup auch mit der CDU keine großen Hoffnungen. Die Erfahrung zeige: Oftmals würden linke Initiativen und zivilgesellschaftliche Vereine als linksextrem verurteilt. Der Soziologe David Begrich spricht von einem „Kulturkampf von rechts“, der die Gesellschaft nachhaltig verändere. Der Hasselbachplatz ist dafür das beste Beispiel. Die AfD sprach von „Ausländerkriminalität“, die Diskurse verschärften sich, die Politik reagierte mit Repression.
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Spannungen im Viertel werde die CDU-Politik im Landtag nicht lösen, da sind sich Kloss und Sukup einig. „Verdrängung und Repression lösen keine Probleme“, sagt Kloss. „Wir brauchen Mitbestimmungsmöglichkeiten für alle“, ergänzt Sukup. Es gehe darum, soziale statt sicherheitspolitische Lösungen für die Spannungen im Viertel anzubieten.
Reden, vermitteln, beraten, ermächtigen, bilden. Den Aktiven von „platzmachen“ geht es um genau diese Form der Teilhabe am öffentlichen Raum. Zum Auftakt der „Solidarischen Kieztour“ haben sie ein Konzert auf dem Hasselbachplatz organisiert. Rund 200 Leute kamen, es wurde getanzt und geredet, sich am Büchertisch ausgetauscht. Eine Breakdancegruppe aus Menschen mit und ohne Fluchthintergrund hatte einen Auftritt, es gab Redebeiträge zur Situation von Geflüchteten in der Stadt.
Was die Menschen von „platzmachen“ im Hasselbachviertel unternehmen, ist handfeste Arbeit für Demokratie. Und es ist ein Beispiel dafür, dass es durchaus eine aktive Zivilgesellschaft in Sachsen-Anhalt gibt. Aber auch, dass nur wenig Unterstützung von konservativen Kräften kommt.
Alternativen außerhalb des Parlaments schaffen
Haben sie jetzt noch Hoffnung, nach dieser Wahl? Kloss und Sukup schnaufen, überlegen. Die einzig wirkliche Hoffnung, da sind sie sich einig, liegt in der Selbstorganisation. Darin, politische Alternativen auch außerhalb der Parlamente zu schaffen, progressive Ideen zu fördern und so Einfluss auf die gewählten Politiker:inen zu nehmen. „Mehr aus der aktivistischen Blase ausbrechen“ sei das Ziel, sagt Kloss. Mit Kirche, Familiencafé, Feuerwehr. Eben mit Menschen, die die Gesellschaft ausmachen. Insbesondere hier am Hasselbachplatz, nur ein paar Gehminuten vom Landtag entfernt, in dem die große Politik von Sachsen-Anhalt entschieden wird.
Kloss sagt, die Bedrohung von rechts habe zugenommen. Er sitzt vor dem Stadtteilladen, dreht sich eine Zigarette, ab und zu kommen junge Menschen vorbei, grüßen ihn herzlich. Man kennt sich hier im Viertel. Nur zwei Wochen vor der Wahl waren die Aktiven von „platzmachen“ in einem Viertel im Südosten Magdeburgs unterwegs. Am selben Abend wurde dort ein Regal vor einem Hausprojekt abgebrannt und die Scheiben bei einem Grünen-Abgeordneten eingeworfen. Es gab eine ganze Reihe solcher mutmaßlich rechtsextrem motivierter Anschläge vor der Landtagswahl.
„Rechte dominieren hier die Jugendkultur“, sagt Kloss. Und dass „platzmachen“ dem etwas entgegensetzen will. Aber: Dafür brauchen Sie Mehrheiten, auch im Landtag. „Das Problem wird sich nicht lösen“, sagt Kloss, „wenn die CDU sich immer nur betroffen zeigt, statt wirklich etwas dagegen zu tun.“
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