Sacharow-Preis für die Ukraine: Eine europäische Verpflichtung
Mit der Verleihung des Sacharow-Preises an die Ukrainer*innen ist die EU eine Verpflichtung eingegangen. Zur Unterstützung ohne Wenn und Aber.
D ie Ukraine kann sich dieser Tage vor hochkarätigen internationalen Auszeichnungen kaum retten. Nach dem Friedensnobelpreis, der vollkommen zu Recht auch an das Zentrum für bürgerliche Freiheiten (CCL) in Kiew ging, hat das EU-Parlament seinen diesjährigen Sacharow-Preis dem ukrainischen Volk zuerkannt. So weit, so gut und richtig. Wem, wenn nicht den Ukrainer*innen, gebührt höchster Respekt.
Denn sie sind es, die trotz Tod, Leid und Zerstörung fest entschlossen sind, sich nicht zu beugen und dem russischen Aggressor weiter die Stirn zu bieten – um ihrer selbst, aber auch um ihres Staates willen. In Kriegszeiten, wie diesen, wo es ums nackte Überleben geht, kann auch moralische Unterstützung eine große Kraft entfalten. Doch damit diese Botschaft des Sacharow-Preises bei den Ukrainier*innen auch ankommt und ernst genommen wird, muss sich die EU zuallererst selbst ernst nehmen.
Hier sind Zweifel angebracht. Wer schert sich heute noch groß um die belarussische Opposition, die 2020 in Brüssel ausgezeichnet wurde? Dabei wäre Aufmerksamkeit mehr als angebracht. Viele Oppositionelle sitzen im Gefängnis. Die Zahl politischer Gefangener steigt fast täglich, was auf dem Portal der Menschenrechtsorganisation Vjasna in Echtzeit zu verfolgen ist.
Wer erinnert sich an Daria Nawalnaja, die im Dezember vergangenen Jahres anstelle ihres inhaftierten Vaters Alexei Nawalny den Sacharow-Preis entgegennahm und eindringlich vor Wladimir Putin sowie einer Eskalation im Ukraine-Konflikt warnte? Stattdessen verkaufte Bundeskanzler Olaf Scholz der Öffentlichkeit die Pipeline Nord Stream 2 damals noch als „rein privatwirtschaftliches“ Projekt.
Italiens Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi, dessen Partei Forza Italia bald der neuen rechten Regierung angehören könnte, benennt in dieser Woche den wahren Schuldigen an dem barbarischen Krieg mitten in Europa: Die Ukraine. Wie absurd. Die Ukrainer*innen riskierten ihr Leben, „um die Werte zu schützen, an die wir alle glauben: Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“, begründete EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola am Mittwoch die Entscheidung für den Sacharow-Preisträger 2022.
Wenn das so ist, heißt das nur eins: Die Ukraine, und dabei vor allem die Zivilgesellschaft, mit allen Mitteln zu unterstützen und das nachhaltig – ohne Wenn und Aber. Die EU ist mit dieser Auszeichnung eine Verpflichtung eingegangen. Auch an ihr muss sie sich künftig messen lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP