Sacharow-Preis für Kongolesen: Der Preis der Ehre
Das EU-Parlament zeichnet den Gynäkologen Denis Mukwege aus. An den Zuständen im Kongo, gegen die er ankämpft, ist die EU beteiligt.
BERLIN taz | Wenige Tage, bevor das Europaparlament am Dienstagabend dem kongolesischen Gynäkologen Denis Mukwege den Sacharow-Preis „für seinen Kampf zum Schutz insbesondere von Frauen“ in den Kriegsgebieten der Demokratischen Republik Kongo zusprach, warf die kongolesische Regierung den obersten internationalen Menschenrechtswärter im Land hinaus. Scott Campbell, Leiter der Menschenrechtsabteilung der UN-Mission im Kongo (Monusco), wurde am vergangenen Freitag zur „unerwünschten Person“ erklärt und trat umgehend einen angeblich lange geplanten Urlaub in der Schweiz an.
Er hatte vergangene Woche in einem Bericht zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen und illegalen Hinrichtungen durch die Polizei in Kongos Hauptstadt Kinshasa beim Kampf gegen Bandenkriminalität dokumentiert. Der Leiter der UN-Mission, der deutsche Diplomat Martin Kobler, erklärte sich über die Auweisung „tief besorgt“, aber es sieht nicht danach aus, als würde Campbell seinen Posten wieder aufnehmen.
Hochrangige Diplomaten, die sich im Kongo für Menschenrechte einsetzen, werden also des Landes verwiesen - aber immerhin bleiben sie am Leben. Denis Mukwege, der preisgekrönte Arzt aus Bukavu, entrann vor fast genau zwei Jahren nur knapp dem Tod, als bewaffnete Männer am 25. Oktober 2012 in sein Haus in der ostkongolesischen Stadt Bukavu eindrangen, seine Familie als Geisel nahmen und ihm auflauerten, um ihn zu töten.
Er entkam nur, weil der Torwächter ihm eine Warnung zurief, als er nach Hause kam. Der Wächter wurde erschossen. Mukwege kam mit dem Leben davon und ging erstmal einige Monate ins Exil.
„Der Mann, der die Frauen repariert“
Seitdem wird Mukwege, „der Mann, der die Frauen repariert“, jedes Jahr für den Friedensnobelpreis gehandelt. Mit internationalen Auszeichnungen wird er schon seit Jahren überschüttet. Als Leiter des Panzi-Krankenhauses in Bukavu, der über eine Million Einwohner zählenden Hauptstadt der ostkongolesischen Provinz Süd-Kivu, hat er seit 1999 eine weltweit beachtete Abteilung zur Behandlung vergewaltigter Frauen aus den Kriegsgebieten des Ostkongo aufgebaut. Es geht dabei um weit mehr als um Vergewaltigungen, wie Mukwege selbst in einer vielbeachteten Rede vor dem Weltgipfel gegen sexuelle Kriegsgewalt in London dieses Jahr eindringlich mahnte.
Es geht um unvorstellbare Misshandlung und Folter, um Gruppenvergewaltigung mit scharfen Gegenständen vor den Augen der als Geiseln genommenen Angehörigen, um irreparable körperliche und seelische Schäden, um physische und psychische Zerstörung und Vernichtung von Familien und Gemeinschaften.
Das Panzi-Krankenhaus in Bukavu ist zusammen mit dem Heal-Africa-Krankenhaus in Goma, die Hauptstadt der Nachbarprovinz Nord-Kivu, eine der ganz wenigen Anlaufstellen, wo solche halbtot gefolterten Frauen kompetente Aufnahme, Behandlung und Pflege finden können; es hat in den 15 Jahren seiner Existenz schätzungsweise 40.000 Patientinnen aufgenommen.
17 andere internationale Preise
Es ehrt das Europaparlament, dass es diesen Einsatz jetzt mit seiner höchsten Menschenrechtsauszeichnung würdigt - nachdem Mukwege bereits, der Aufstellung auf seinem Wikipedia-Eintrag zufolge, 17 andere internationale Preise erhalten hat, vom „Sonder-Menschenrechtspreis der Republik Frankreich 2007“ über den „Afrikaner des Jahres 2009“ bis zum „Alternativen Nobelpreis 2013“. In der Liste fehlt einiges, beispielsweise der Deutsche Medienpreis 2011 oder Mukweges letzte Auszeichnung, der Solidaritätspreis des Sankt-Peter-Universitätskrankenhauses in Brüssel, den der Kongolese am 16. Oktober entgegennahm.
Man ahnt, dass Mukwege inzwischen vor allem das globale Aushängeschild seiner Arbeit im Kongo ist. Man darf sich dabei fragen, ob die schier endlose Aneinanderreihung internationaler Auszeichnungen, zumeist begleitet von Preisgeldern für das Panzi-Krankenhaus in Bukavu, in der Anhäufung nicht auch ein Alibi darstellt.
Jeder Preis für Mukwege ist zugleich eiune Gewissensläuterung für die internationale Staatengemeinschaft, jedes Preisgeld ist eine Entlastung für Kongos Regierung. Es wäre ja eigentlich ihre Aufgabe, sexualisierte Kriegsgewalt im Ostkongo zu beenden und mit Opfern wie auch mit Tätern einen angemessenen Umgang zu finden, der ersteren ein Weiterleben in Würde und letzteren einen Neuanfang mit Perspektiven bietet.
Mahnung und Mordanschlag
Im September 2012 legte Mukwege bei seinem bisher hächstkarätigen Auftritt vor der UN-Generalversammlung den Finger in genau diese Wunde. „Eure Exzellenzen“, begann er seine Ansprache, „ich hätte gerne meine Rede mit der üblichen Formulierung begonnen: es ist mir eine Ehre und ein Privileg, vor Ihnen das Wort zu ergreifen. Aber den Opfern sexueller Gewalt im Ostkongo wurde die Ehre genommen. Ich sehe sie ständig: die alten Frauen, die jungen Mädchen, die Mütter, sogar die Babies, entehrt .... Ich hätte gerne gesagt: Es ist mir eine Ehre, Teil der internationalen Gemeinschaft zu sein, die Sie hier vertreten. Aber das kann ich nicht. Wie kann ich Ihnen das sagen, den Vertretern der internationalen Gemeinschaft, wenn die internationale Gemeinschaft sechzehn Jahre lang im Kongo Angst und Mutlosigkeit bewiesen hat? Ich hätte gerne gesagt: Es ist mir eine Ehre, mein Land zu vertreten. Aber das kann ich nicht. Wie kann man stolz sein, einer Nation anzugehören, die sich nicht wehrt, die sich selbst bekämpft, ausgeplündert und machtlos? Nein, es ist mir keine Ehre und kein Privileg, heute hier zu sein. Meine Ehre ist es, mit den mutigen Frauen zu sein, die Opfer von Gewalt geworden sind, die sich wehren, die trotz allem aufrecht stehen."
Wenige Wochen später erfolgte der Mordanschlag auf Mukwege in Bukavu. Der Arzt hat nämlich auch unangenehme politische Forderungen gestellt. Die Opfer sexueller Gewalt und Folter bräuchten nicht nur medizinische und psychologische Behandlung sowie sozio-ökonomische Unterstützung, sagte er 2011 in London; sie bräuchten Gerechtigkeit und Entschädigungen – und zwar seitens der kongolesischen Regierung, da viele der Täter Angehörige der Regierungsarmee seien, die von klein auf nichts anderes als Gewalt kennen und aus diversen Bürgerkriegsmilizen kommen.
„Viele kämpften schon, als sie Kinder waren“, erklärte Mukwege. „Sie erfuhren Gehirnwäsche, um zu töten und zu vergewaltigen. Sie sind nicht rehabilitiert worden, und jetzt sind sie Soldaten. Sie sind gefährlich. Das ist ein Grund, warum wir keine Abnahme von Vergewaltigungen verzeichnen. Sie verändern ihr Verhalten nicht, bloß weil sie eine neue Uniform anziehen. Wie kann jemand, der gestern vergewaltigte, heute Frauen schützen?“
1,9 Milliarden Euro an Hilfsgeldern verschwunden
Der Sacharow-Preis für Mukwege wäre ein guter Anlass, daran zu erinnern, dass die kongolesische Armee und der kongolesische Staat maßgeblich mit EU-Hilfe aufgebaut werden. Eine EU-Ausbildungsmission „Eusec“ sorgt seit fast zehn Jahren für den Aufbau der kongolesischen Regierungsarmee FARDC, bildet die Offiziere aus, organisiert die Soldzahlung und soll die sogenannte „Sicherheitssektorreform“ vorantreiben – jenes ominöse, nie tatsächlich umgesetzte Reformwerk, das dem Kongo irgendwann mal professionelle, gesetzestreue und verlässliche Streitkräfte geben und die vielen Tausend Kriminellen in Uniform aus dem aktiven Dienst entfernen soll.
Eine ähnliche Mission namens „Eupol“ berät Kongos Polizei, darunter vermutlich auch die Menschenrechtsverletzer in Kinshasa, deren Nennnung jetzt dem UN-Menschenrechtsbeauftragten den Job gekostet hat. Angesichts offensichtlicher Erfolglosigkeit wird Eusec kommendes Jahr auslaufen. Aber welche Lehren zieht die EU daraus? Und auch aus dem EU-Rechnungsprüfbericht von 2013, wonach von insgesamt 1,9 Milliarden Euro an europäischen Hilfsgeldern für den Kongo zwischen 2003 und 2011 eine Milliarde spurlos verschwunden seien?
Die Gelder fließen weiter. Die EU zeichnet Kritiker der kongolesischen Zustände aus und unterstützt zugleich diese Zustände. Denis Mukwege soll seinen Preis am 26. November in Strassburg entgegennehmen. Mal sehen, was ihm blüht, wenn er danach nach Bukavu zurückkehrt.
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