Saatgut mit Open-Source-Lizenz: Tomatenanbau ohne Konzerne
Sunviva ist eine Tomate ohne Eigentumsrechte. Die Entwickler*innen hoffen, langfristig eine Konkurrenz für die großen Konzerne zu werden.
„Die Idee kam aus der IT“, erzählt Johannes Kotschi von der Organisation Open Source Seeds. Wie sich in den achtziger Jahren viele Informatiker*innen für freie Software einsetzten und Open-Source-Programme wie Linux oder LibreOffice entwickelten, finden die Initiator*innen, dass es auch Open-Source-Samen geben muss.
Zusammen mit einem interdisziplinären Arbeitskreis aus Jurist*innen, Botaniker*innen und Agrarwirt*innen entwickelte Kotschi im Sommer 2016 eine freie Lizenz für Saatgut. „Wir wollen damit gegen die Privatisierung von Saatgut kämpfen. Saatgut muss der Allgemeinheit gehören, es ist die Grundlage der Lebensmittel“, so Kotschi.
Üblicherweise unterliegt Saatgut sogenannten geistigen Eigentumsrechten. In Europa gehören rund 95 Prozent der Gemüsesamen den fünf größten Produzenten von Saatgut: Monsanto, Bayer, Syngenta, Limagrain und KWS. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie der Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament aus dem Jahr 2014.
Landwirt*innen müssen Saat jedes Jahr neu kaufen
Oft sind die Pflanzen unfruchtbar gezüchtet worden, sodass sie nur zur Aussaat, aber nicht zur Vermehrung genommen werden können. Landwirt*innen müssen also jedes Jahr erneut ihre Saat bei den großen Herstellerkonzernen einkaufen und können nicht, wie früher üblich, von den Pflanzen Samen abzweigen und für die neue Aussaat nehmen.
Bei Sunviva ist das anders. Sie läuft unter einer Open-Source-Lizenz, bei der im Unterschied zu normalen Lizenzen keine Eigentumsrechte bestehen, sondern ein Produkt von diesen befreit wird. Somit ist die uneingeschränkte Nutzung gestattet. Gibt ein*e Züchter*in einer neu entwickelte Sorte eine solche Lizenz, so verliert diese*r unwiderruflich alle Rechte an der Züchtung. Bei allen gewerblichen Tätigkeiten müssen aber die Auflagen der Lizenz eingehalten und dürfen nicht durch zum Beispiel Sortenschutzbestimmungen oder Patentrechten beschränkt werden.
Die Organisation Open Source Seeds versteht sich als Dienstleister. Sie gehört zu Agrecol, einem Verein zur Förderung der standortgerechten Landwirtschaft in Entwicklungsländern. Möchten Züchter*innen ihre neue Sorte vor Privatisierungsrechten schützen, so können sie sich an Open Source Seeds wenden.
So wie das Netzwerk des ökologischen Freiland-Tomatenprojekts der Uni Göttingen. Unter der Beteiligung von vielen Menschen und Organisationen wurde im Rahmen des Projektes die Sorte Sunviva als Gemeinschaftswerk gezüchtet. Das ökologische Zuchtprojekt kommt seit jeher ohne geistige Eigentumsansprüche auf ihre Züchtungen aus. „Die Open-Source-Lizenz passte daher ganz gut zu unserer Idee“, berichtete Bernd Horneburg, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Pflanzenzüchtung an der Uni Göttingen Teil des Projekts ist.
Sunviva ist seit April 2017 auf dem Markt. Da sie wetterresistent und unempfindlich gegenüber Kraut- und Brandfäule, einer klassischen Tomatenkrankheit, sein soll, haben auch unerfahrene Gärtner*innen viel Freude an ihr. Ungewöhnlich hoch ist daher auch die Nachfrage. Ein paar Hundert Tüten mit Sunviva-Saatgut wurden bereits direkt verkauft.
„Allerdings fragen primär Privatpersonen wie Hobbygärtner*innen oder Umweltaktivist*innen die Sunviva-Tomate nach“, sagt Max Rehberg vom ökologischen Saatguthändler Culinaris. Das liege auch daran, dass die Samen der Tomate nach der Aussaatzeit auf den Markt kamen.
Als Alternative zu Monsanto-Saatgut interessant
Culinaris ist zurzeit noch der einzige Saatgutproduzent, der die Sunviva-Tomate anbietet. Langfristig sei es allerdings das Ziel, Open-Source-Saatgut im großen Stil zu vertreiben und neben dem privaten Saatgut eine zweite Säule des Vertriebs zu errichten.
Auch andere Händler*innen interessieren sich für Sunviva, insbesondere als Alternative zu Saatgut von Monsanto. Da es sich hierbei allerdings um eine Open-Source-Tomate handelt, muss auf der Verpackung auf die besondere Lizenz verwiesen werden. Für viele Händler*innen sei das eine Markteintrittshürde, so Rehberg. Besteht ernsthaftes Interesse an der Saat, so sollte die Deklarierung aber kein Problem sein.
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