SPD/FDP-Regierungsbildung vor 50 Jahren: Nostalgie und Attacke
Andrea Nahles und Christian Lindner debattieren über die sozialliberale Koalition von 1969. Vor allem der FDP-Chef arbeitet sich an den Grünen ab.
Am Montagabend suchen SPD und FDP die Wiederannäherung. „Blick zurück nach vorn – sozial-liberale Politik gestern und heute“ heißt die gemeinsame Veranstaltung von Naumann- und Ebert-Stiftung auf neutralem Boden im Berliner Allianz-Forum.
Die Bundestagswahl 1969 fand im September statt, die Wahl Willy Brandts zum Kanzler im Oktober. Auch wenn man die Wahl Gustav Heinemanns zum Bundespräsidenten im März 1969 mit den Stimmen von SPD und FDP als einen ersten Testlauf für die sozialliberale Koalition sehen kann, ist es wohl eher der Europawahl im Mai diesen Jahres geschuldet, dass die Stiftungen die Jubiläumsveranstaltung auf den 1. April gelegt haben: Endlich einmal ein Abend, an dem beide Parteien von besseren Zeiten träumen dürfen und die leidigen Grünen nicht auf der Tagesordnung stehen.
Wobei sie den Abend doch entscheidend prägen. FDP-Chef Christian Lindner, der gemeinsam mit der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles auf der Bühne steht, lobt die sozialliberale Koalition als Zeit der „unglaublichen Zuversicht“. SPD und FDP hätten den Mut gehabt, sich „Lebenslügen“ zu stellen – zum Beispiel bei der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze.
Mehr Trennendes als Gemeinsamkeiten
Aber was könnte SPD und FDP heute einen? Lindner nennt „Migration“ als zentrales Thema. SPD und FDP seien „weltoffener“ als die CSU und hätten gleichzeitig nicht den „naiven Idealismus“, den es bei den Grünen gebe und der den „Verzicht auf Kontrolle und Grenze“ bedeute. Nahles pflichtet ihm halbwegs bei: „Realismus ohne Ressentiments ist die Linie, auf der wir uns bewegen können“. Ansonsten macht sie vor allem das Trennende zur heutigen FDP deutlich: von der Frage der verpflichtenden Parität in den Parlamenten bis zur Sozialpolitik in Europa.
Erst bei der Umweltfrage treffen sich beide wieder. Lindner verweist darauf, dass die sozialliberale Koalition als erste in Deutschland systematisch Umweltpolitik betrieben habe. Nach der Ölkrise 1973 habe man diese leider aufgegeben und Akteuren überlassen, die „hart-linke, kommunistische, das System verändernde Ansätze mit ökologischer Verantwortung verbunden“ hätten. Als Folge werde bis heute ökologische Politik mit Staatsinterventionismus verbunden: mit Quoten, Subventionen und Verboten.
Lindner erwähnt den Soziologen Ulrich Beck, der bei Freunden ein „Liebäugeln mit der ökologischen Steuerung von oben“ beobachtet habe. Das habe Beck an den „autoritären chinesischen Staatskapitalismus“ erinnert. Nahles stimmt ihm zu: „Wir gehen beide nicht über die Verbotslogik daran“, sagt sie. „Wir brauchen Industrie und Produktion in Deutschland auch in Zukunft.“
Seitenhieb auf Jamaika
Aber ob das reicht? Vielleicht im Grundverständnis. Lindner sagt zum Abschluss, nicht Gemeinsamkeiten, sondern „wechselseitiger Respekt und wechselseitiges Vertrauen“ seien Voraussetzung für eine Koalition – ein versteckter Seitenhieb auf die Rolle der Union beim Scheitern von Jamaika. Nahles kontert, ohne „Programm und Schnittstellen“ gehe es nicht. Dennoch teile sie Lindners Ansicht, dass Respekt und Vertrauen wichtig seien. In der großen Koalition habe es im vergangenen Jahr manchmal daran gemangelt.
Die offene Frage bleibt an diesem Abend: Ginge Respekt und Vertrauen auch mit den Grünen – insbesondere, falls sie die stärkste Partei würden? Und wo sollen die fast zehn Prozent herkommen, die einer Ampelkoalition im Bund derzeit laut Umfragen fehlen? Eine Mehrheit für SPD und FDP liegt ohnehin in weiter Ferne.
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