SPD vor GroKo-Verhandlungen: Und nun kommt die Basis
Die SPD-Spitze hat den Parteitag knapp überstanden. Groko-Gegner planen Kampagnen für das Votum der Mitglieder. Wackelt das Ja noch mal?
Yannick Haan (31), Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Berlin Alexanderplatz, ist froh, dass endlich mal auf einem Parteitag „die Stimmung an der Basis zur Sprache“ kam. Nun wartet der Groko-Gegner ab, was bei den Koalitionsverhandlungen herauskommt – ohne viel Hoffnung. Auch wenn die SPD bei den drei Bedingungen – mehr Härtefälle beim Familiennachzug, weniger prekäre Jobs, andere Honorarordnung von Ärzten – noch etwas durchsetzen könne, bleibt er skeptisch. „Das war eher ein taktisches Mittel, um die Mehrheit in Bonn zu bekommen“ so Haan.
Die Idee kam aus NRW, wo die Ablehnungsfront massiv ist. Michael Groschek (61), der kantige SPD-Chef in NRW, ist überzeugt, dass „wir mit dem Antrag viele Unentschlossene in das Ja-Lager gezogen haben“. Ein moderater Linker aus Berlin glaubt, dass „wir ohne Nachforderungen in Bonn untergegangen wären“. Auch viele Groko-Kritiker sind überrascht von dem Zuspruch. Auch ihre Tipps lagen zuvor eher bei 70 zu 30 als bei 56 zu 44.
Kommt die Anti-Groko-Bewegung jetzt also – vor dem Basisvotum über den Koalitionsvertrag – erst richtig in Schwung? Groschek sähe es lieber, wenn sich der Streit nun legen würde. „Wir müssen die Emotionen dämpfen. Und man sollte keine Kampagnen mehr fahren.“
Groko-Gegner wollen mobilisieren
Das sieht Hilde Mattheis (63), entschiedene Parteilinke und Chefin der Demokratischen Linken DL 21, anders. Jetzt hofft sie auf die „Chance, dass die Basis entscheidet“. Mattheis ist nach Bonn aufgeräumter Stimmung. Die Mitgliederzahlen der randständigen DL 21 wachsen – eine Folge der Politisierung der SPD. Derzeit sind es 1.200 GenossInnen, Tendenz steigend. Nun plant Mattheis eine deftige Kampagne. Titel: „Tritt ein, sag nein“. So sollen Mitglieder für die SPD geworben werden, um gegen die Groko zu streiten. Ein Vorbild dürfte die britische Momentum-Bewegung sein, die Mitglieder für Labour warb, um den Parteilinken Jeremy Corbyn zu unterstützen.
In Bonn wurde auch beschlossen, dass es beim Ringen um die Basis fair zugehen soll. Vor vier Jahren schaltete die Parteispitze teure Anzeigen in der Bild für die Groko, das Parteiblatt Vorwärts trommelte für die Regierungsbeteiligung. Das soll anders werden. Die „diskursive Bandbreite der Debatte soll abgebildet werden“, so der Beschluss in Bonn.
Auch Juso-Chef Kevin Kühnert, das Gesicht der Anti-Groko-Fraktion in der SPD, gibt längst nicht auf. Die Jusos planen eine No-Groko-Tour durch die Republik, sobald der Koalitionsvertrag durch ist.
War der Stoßseufzer der Parteispitze verfrüht?
Der Dortmunder Bundestagsabgeordnete Marco Bülow glaubt, dass der Widerstand bei einer klaren Niederlage in Bonn zusammengebrochen wäre. Doch nun sei das anders. „Sogar dieses knappe Ergebnis hat die SPD-Spitze nur mit dem Versprechen nachzuverhandeln erreicht“, so der Groko-Gegner. Und Verbesserungen für Flüchtlinge oder weniger prekäre Jobs „wird die SPD nur mit teuren Gegengeschäften mit der Union erkaufen können“, so Bülow. Das ist einleuchtend. Die Union macht nicht Eindruck, Geschenke verteilen zu wollen. Es werde keine Verhandlungen über Sachen geben, die in Sondierungen schon abgelehnt wurde, so CDU-Vize Julia Klöckner rigoros.
Vor vier Jahren votierte ein Viertel der SPD-Mitglieder am Ende gegen das Bündnis mit der Union. Damals war die Lage noch besser. Die SPD kam aus der Opposition, hatte bei der Wahl ein paar Prozent gewonnen und mit dem Mindestlohn eine eingängige Forderung. Jetzt, so Bülow, „ist die Stimmung an der Basis viel kritischer als vor vier Jahren. Damals hatte uns die Große Koalition ja erst einmal so geschadet.“
Moderate Linke, die fast unisono für die Große Koalition sind, sehen die Kräfteverhältnisse anders. Die Gegner der Regierungsbeteiligung hätten zwar effektiv die Stimmung der 600 Delegierten des SPD-Parteitags beeinflusst – doch auf die 440.000 GenossInnen, die wohl im März über die Regierung abstimmen, hätten sie keinen Zugriff. Auch Bülow wagt keine Prognose. Denn an der Debatte haben sich nur die Aktiven beteiligt – je nach Ort zwischen knapp 10 bis 20 Prozent. Doch den Ausschlag wird die schweigende Mehrheit geben. „Die kann ich nicht einschätzen“, so Bülow.
Staatstragende Karteileichen
Wie die Genossen Karteileichen ticken, ist nicht leicht zu sagen. Auch in einem vitalen Ortsverein wie Berlin Alexanderplatz hat der Ortsvereinsvorsitzende „von vielen noch nicht mal eine E-Mail“, so Yannick Haan. Er sieht für die No-Groko-Bewegung eher schwarz – trotz des Ergebnisses von Bonn. „Das wird leider wieder abflauen“, fürchtet er. Und: „Unsere inaktiven Mitglieder sind ja eher staatstragend.“
Das beste, zugkräftigste Argument der SPD-Spitze für die Neuauflage der Regierung dürfte am Schluss kaum eine Verbesserung beim Flüchtlingsnachzug oder ein Detail bei der Honorarvergütung von Ärzten sein. Sondern – die Alternative.
Denn die Hürde für ein Nein wird in dem SPD-Beteiligungsverfahren immer höher. Wenn die Basis am Ende nein sagt, wäre die ganze SPD-Spitze blamiert.
Und noch etwas spricht dafür, dass SPD-Chef Martin Schulz keine allzu große Angst vor dem Mitgliedervotum haben muss: das Alter. Der Durchschnittsgenosse ist 60 Jahr alt und scheut das Riskante, Neue. Der Parteitag in Bonn, so Yannick Haan, hat gezeigt, dass es „einen generationellen Riss in der SPD gibt“. Die Jungen sagen nein, die Älteren ja.
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