SPD und BSW unter Druck: Mehr Neukölln in Brandenburg
Wie stabil ist die Koalition in Potsdam? Gäbe es Neuwahlen, könnte die AfD stärkste Kraft werden. SPD und BSW müssen nun den Haushalt verabschieden.
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Bei der Bundestagswahl am Sonntag bekam die AfD 32,5 Prozent, das ist fast jede dritte Stimme. Zuvor hatte sie die U-18 Wahl in der Mark – anders als in Berlin – mit 35,6 Prozent klar gewonnen. „Die Jagdsaison ist eröffnet“, lautete später Springers bundespolitisches Statement. Für die Landespolitik in Brandenburg lautet es: Wir fordern Neuwahlen.
Erst im vergangenen Dezember hatten sich die SPD von Dietmar Woidke und das Brandenburger BSW zu einer Koalition zusammengerauft. Sie hat nur eine hauchdünne Mehrheit von zwei Stimmen. Wird diese Mehrheit halten?
Brandenburgs BSW-Landeschef und Finanzminister Robert Crumbach erwartet „überhaupt keine“ negativen Folgen für die Koalition mit der SPD. „Unser Auftrag ist, das Land gut zu regieren, das werden wir machen.“
In Jämlitz-Klein Düben (Landkreis Spree-Neiße) hat die AfD ihre Hochburg in Brandenburg. In der Gemeinde kam die Partei auf 69,2 Prozent. Die wenigsten Zweitstimmen erhielt die AfD in Kleinmachnow (Landkreis Potsdam-Mittelmark) mit 11,5 Prozent. Insgesamt kommt die zu großen Teilen rechtsextreme Partei in Brandenburg auf 32,5 Prozent der Zweitstimmen. In den Wahlkreisen hat die AfD in Elbe-Elster Oberspreewald-Lausitz mit 43 Prozent ihr bestes Erststimmenergebnis erzielt. Sie gewann neun von zehn Wahlkreisen. Nur Potsdam ging mit Olaf Scholz an die SPD. Dort hatte die AfD 21,8 Prozent. (taz, dpa)
Ruhig bleiben war auch die Devise des kommissarischen SPD-Generalsekretärs Kurt Fischer. „Wir machen unseren Job für Brandenburg – und das Bundestagswahlergebnis ist ein Bundestagswahlergebnis“, sagte er.
Linke macht mobil
Ganz so zur Tagesordnung übergehen dürfte allerdings schwierig werden. Denn auf selbige kommt in Brandenburg in kürze ein Thema, das bis zur Wahl immer wieder hinausgezögert worden war: die Aufstellung des Doppelhaushalts 2025/2026. Die Linke, die am Sonntag in Brandenburg mit 10,7 Prozent zum BSW aufschloss, hat bereits angekündigt, gegen mögliche Sparmaßnahmen auf die Straße zu gehen. „Ich gebe dem BSW nicht mehr lange“, sagte Linken-Chef Sebastian Walter.
Martina Weyrauch, die am 31. Januar aus dem Amt geschiedene ehemalige Chefin der Landeszentrale für politische Bildung, glaubt aber nicht, dass es in Brandenburg bald zu Neuwahlen kommt. „Dann wäre die AfD wohl stärkste Partei“, fürchtet sie. Auch Weyrauch ist der Meinung, dass das Ergebnis vom Sonntag „hundert pro“ ein bundespolitisches Ergebnis war. „Das war eine Wahl gegen Olaf Scholz und nicht gegen Dietmar Woidke.“
Dennoch fürchtet Weyrauch, dass der Aufstieg der AfD in Brandenburg noch nicht zu Ende ist. „Viele Menschen fühlen sich überfordert, sie wollen nicht noch einmal eine Traumatisierung wie in den Neunzigerjahren erfahren“, sagt sie. Die wichtigste Aufgabe sei deshalb, den Menschen zuzuhören. „Wir haben die Menschen rechts der Mitte an die sozialen Medien verloren, da erreichen wir sie nicht mehr.“ Deshalb müsse man Räume schaffen, wo sie ihre Sorgen loswerden können.
Die Haustürgespräche, mit denen der Linken-Kandidat Ferat Koçak Neukölln gewonnen hat, hält Weyrauch deshalb für ein „Supermittel“. „Aber das darf nicht nur im Wahlkampf stattfinden.“ Und es müsse einen geschützten Raum gebe, „wo jeder seine Meinung sagen kann, ohne dass das bewertet wird“.
Kümmern also, auch wenn das in einem Flächenland deutlich schwieriger ist als in einem Stadtstaat wie Berlin oder in Neukölln, wo Koçak für seinen Haustürwahlkampf tausend Freiwillige mobilisiert hat. Und viele der AfD-Wähler wollen vielleicht auch nicht mehr erreicht werden.
Auf dieses Paradox hat nach der Wahl der Soziologe Steffen Mau hingewiesen. „Es gibt Teile der Gesellschaft, die sind veränderungserschöpft“, sagte er im Interview im Podcast von Zeit-Online. „Die wählen nun relativ stark auch disruptive Parteien, die einen Bruch mit dem gegenwärtigen System in Aussicht stellen.“ Maus Erklärung: „Wenn der Druck und der Frust und die Unzufriedenheit zu groß werden, hat man häufig das Gefühl, man braucht einen Befreiungsschlag. Dann greift man nach diesem Anker, weil die Mühen der Ebene zu zumutungsreich erscheinen.“
Im Vergleich mit anderen Bundesländern im Osten steht Brandenburg allerdings etwas weniger schlecht da. In Mecklenburg-Vorpommern erzielte die AfD 35 Prozent der Zweitstimmen, in Sachsen-Anhalt 37,1, in Sachsen 37,3 und in Thüringen 38,6 Prozent. Während die meisten Flächenländer in Ostdeutschland Abwanderungsregionen sind, wächst Brandenburg, auch dank des Zuzugs aus Berlin. Gelingt es der Landesregierung, die Wirtschaft zu stabilisieren und die Infrastruktur nicht kaputtzusparen, sind die Voraussetzungen in Brandenburg vielleicht gegeben, das Land zu stabilisieren.
Die Frage ist allerdings, ob auch das BSW stabil bleibt. Im Interview mit dem Tagesspiegel räumt Robert Crumbach ein, dass sein Landesverband womöglich auch außenpolitische Aufgaben der Bundespartei übernehmen muss. „Sicher, es wird auf Brandenburg etwas mehr geschaut werden in den nächsten vier Jahren als es bei einem Einzug in den Bundestag der Fall wäre“, sagte er auf eine entsprechende Frage. Crumbach betonte aber auch: „Wir arbeiten in erster Linie für Brandenburg. Und wir werden da nicht andere Ziele mitverfolgen.“
Auch Crumbach hat kein Interesse an Neuwahlen. Und er muss seine Fraktion zusammenhalten. Würde sie zerfallen, könnte das zwar das Aus für Rot-Lila bedeuten, aber nicht unbedingt eine Neuwahl. Wechseln BSW-Abgeordnete zur SPD oder zur CDU, wäre auch in Brandenburg – wie voraussichtlich im Bund – eine Koalition zwischen SPD und CDU möglich.
Dann hätte die AfD zu früh gejubelt.
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