SPD kürt Steinbrück: Der Unsozialdemokrat
Er ist eloquent. Er wirkt kompetent. Aber Peer Steinbrück ist kein Kümmertyp. Die Genossen werden ihn am Sonntag trotzdem zum Kandidaten küren.
Zoom. Da sitzt er, der Kandidat. Und redet. Die Beine übereinandergeschlagen, Oberarme eng am Körper, Hände schlaff über die Armlehnen gehängt. Das Kinn vorgeschoben, schaut er seine Gesprächspartner kaum an. Sobald die beiden Journalisten, hier bei der Cicero-Matinee im Berliner Ensemble, ihre Fragen gestellt haben, beginnt der Kandidat gekonnt, seine Wortgirlanden zu entrollen.
Er wirft sie quer durch den Zuschauerraum, wo sie im Parkett und auf den Rängen von einem eher älteren, bildungsbürgerlichen Publikum dankbar aufgefangen werden. Die Wortgirlanden des Kandidaten sind geknüpft aus Pointen und Wirtschaftskompetenz-Vokabeln. „Erschütterungsdynamik“ ist so eine, „Risikoignoranz“ eine andere.
Von „Unwuchten“, „Driften“ und „Spreizungen“ im sozialen System ist die Rede, von einer miserabel arbeitenden schwarz-gelben Koalition, den neuen Wir-Werten und dem vorsorgenden Sozialstaat, wie ihn Sozialdemokraten verstehen. Dazwischen kleine Vertrauensschleifchen: „Das meine ich jetzt ernst“ – „Das ist jetzt nicht geschauspielert“ – „Wir müssen hier nichts inszenieren.“
Reden kann er, der Kandidat. Nicht mit der taz, nun ja. Aber man kann Peer Steinbrück überall sonst zuhören, wo er ein Publikum findet, das es ihm wert ist. Bis zum Herbst waren dies gut zahlende Versicherungen und Banken, Stadtwerke und Verbände. Inzwischen gibt er Zeitungen und Zeitschriften Interviews, er spricht auf dem Juso-Kongress, dem Parteikonvent, dem SPD-Frauensalon und beim Jahrestreffen des Netzwerks Berlin, in Hintergrundrunden, im Bundestag und im Fernsehen.
Kampf gegen Merkel
Landauf, landab zieht Peer Steinbrück mit seinem rhetorischen Baukasten und wirbt für sich als jenen Mann, den die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes im September 2013 wählen mögen. Auf dass er Angela Merkel ablöse und die SPD in eine Koalition mit den Grünen führe. „Für andere Spielchen stehe ich nicht zur Verfügung“ – das sagt er immer wieder.
Privatmann: Peer Steinbrück wird im Januar 1947 in Hamburg geboren. Der Vater ist Architekt, die Mutter Hutmacherin. 1975 heiratet er die Lehrerin Gertrud Steinbrück, geborene Isbary. Das Paar hat drei erwachsene Kinder: Johannes, Anne und Katharina.
Politik als Beruf: Peer Steinbrück wird 1969 SPD-Mitglied. Nach seinem VWL-Studium in Kiel ist er Referent in verschiedenen Bundesministerien. Ende der 80er Jahre wird er Büroleiter von Johannes Rau in Düsseldorf. 1993 bis 2002 Landesminister in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, ab 2005 NRW-Ministerpräsident. 2005 bis 2009 Bundesfinanzminister im Kabinett Merkel, danach Abgeordneter, Buchautor und Vortragsreisender. Am 1. Oktober 2012 wird Steinbrück vom SPD-Parteivorstand einstimmig als Kanzlerkandidat der SPD für die Bundestagswahl 2013 nominiert. Am Sonntag wählt ihn in Hannover ein Sonderparteitag zum Spitzenkandidaten.
Davor aber muss er inthronisiert werden. Am Sonntag sollen ihn beim SPD-Sonderparteitag die 600 Delegierten zum Kanzlerkandidaten wählen. Sie werden ihn wählen. Sie müssen. So glatt wie beim CDU-Parteitag, wo seine Herausforderin 98 Prozent und minutenlangen Applaus einheimste, wird es für Peer Steinbrück in Hannover nicht laufen.
Der Kandidat weiß, dass dieser Dezembersonntag, dieses Werben um die eigenen Genossen, nur ein Klacks ist gegen das, was danach auf ihn zukommt. Der Kampf gegen Angela Merkel, jene Frau, unter der er bis 2009 Bundesfinanzminister war und die er nun aus dem Weg räumen möchte. Ihr Markenzeichen: Kümmerin. Ihre Strategie: Geräuschlosigkeit.
Kann Peer Steinbrück das sein? Ein Kümmerer? Eher nicht. Nicht so sehr wegen dem, was der 65-Jährige politisch bisher getan hat, in den Neunzigerjahren als Minister in Schleswig-Holstein, zwischen 2002 und 2005 als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, ab 2005 als Bundesfinanzminister in Berlin. Er hat Erfolge erzielt und Fehler gemacht wie jeder andere, der politischen Überzeugungen folgt.
Hanseatische hochfahrend
Sein Wettbewerbsnachteil ist, dass er mit seinem scharfen Verstand und seiner Eloquenz die Wähler nicht bei ihrer Bedürftigkeit packt. Die wollen keinen scharfzüngigen Homo politicus. Sondern eine wie Merkel, die sich verständlich ausdrückt, die geräuschlos die Eurokrise managt und sich dafür anschließend im Bundestag mit stumpfer Miene von der Opposition beschimpfen lässt.
Steinbrück hingegen reagiert merkwürdig angefasst auf Kritik. Hanseatisch, hochfahrend, „mitunter vernichtend im Ton“, beschreibt das eine Fraktionskollegin. Den Grünen, wohlgemerkt: Wunschpartner, hat er kürzlich schon mal per BamS-Interview Bescheid gestoßen, sie bräuchten in Koalitionsverhandlungen nicht mit Gesprächen auf Augenhöhe zu rechnen: „Eine Partei, die doppelt so viele Stimmen oder noch mehr als der kleinere Partner erzielt, wird es nicht an Selbstbewusstsein fehlen lassen“, erklärte Steinbrück. Bei den Grünen in Schleswig-Holstein und NRW wird das böse Erinnerungen geweckt haben.
Bärbel Höhn kennt Peer Steinbrück noch als „selbstbewussten Partner“. Die grüne Bundestagsabgeordnete war von 1995 bis 2005 Umweltministerin in NRW. 2002 wurde Steinbrück dort Ministerpräsident. Obwohl beide etwa gleich alt sind, beide in Kiel Volkswirtschaftslehre studiert haben, war die gemeinsame Zeit eine Art Dauerfehde. Steinbrück konnte nur schlecht mit den beiden grünen Landesministern. Er ließ „die Ökos“ gern spüren, wie sehr es ihn schmerzte, sich die Macht mit ihnen teilen zu müssen. Lieber hätte er mit der FDP koaliert.
Im Streit über einen Autobahnbau, bei dem Höhn auf die Einhaltung ökologischer Richtlinien pochte, stauchte er die Ministerin zurecht: „Sie segeln solche Projekte vor die Tonne.“ Bei derlei riesigen Bauprojekten gebe es mit ihm keine Kompromisse, es gebe ja auch „keine halben Schwangerschaften“.
Steinbrück-Zumutungen
Irgendwann signalisierten die Grünen, die Koalition mit der SPD platzen zu lassen. Von da an änderte Steinbrück den Kurs. „Von einem Tag auf den nächsten kamen wir mit unseren Anliegen durch“, erinnert sich Bärbel Höhn. „Steinbrück ist letztendlich pragmatisch und lernt, wenn es nötig ist, schnell dazu.“
Mit dieser Partei also möchte Peer Steinbrück ab kommenden Herbst die Bundesrepublik Deutschland regieren. Rot-Grün und sonst nix, hat er gleich bei seiner Antrittspressekonferenz Ende September im Willy-Brandt-Haus gesagt. Es ist eine dieser Steinbrück-Zumutungen: Ich mache es so, wie ich es für richtig halte – oder gar nicht. Wenn’s nicht funktioniert, müsst ihr zusehen, wie ihr klarkommt, ich bin dann weg.
Es sieht dieser Tage nicht gut aus für Steinbrücks Wunschkoalition. Laut Infratest von letzter Woche liegt die SPD bei der Sonntagsfrage bei 29 Prozent, die Union bei selbstbewussten 39. Was, wenn die Sozis sich zur Ökopartei einen weiteren Koalitionspartner suchen müssten? Zum Beispiel die Linkspartei? Seltsam ruhig bleibt es bei diesem Thema in Partei und Fraktion. Geschlossenheit und Loyalität ist das Gebot der Stunde.
Gregor Gysi gönnt den Sozialdemokraten das Dilemma. Steinbrücks Absage an die Linkspartei hat der linke SPD-Flügel zwar geschluckt. Aber der Konflikt könnte umso schärfer aufbrechen, sollte den Sozis deshalb die politische Macht für weitere vier Jahre verloren gehen. „Die Entscheidung für Steinbrück ist Programm“, meint Gysi, „er war der Deregulierer der Finanzmärkte und der Betreiber der prekären Beschäftigung.“
FDP als Entschuldigung
Auf den fast gleichaltrigen Linke-Fraktionschef macht der Kandidat einen „immer leicht distanzierten“ Eindruck. Steinbrück strahle stets Sachkompetenz aus, „völlig unabhängig davon, ob sie vorliegt oder nicht“. Wie viel bitte, unkt Gysi, seien denn die Wahlversprechen der SPD wert, wenn sie doch jetzt schon wisse, „dass dies zwar mit der Linken, aber niemals mit der FDP machbar sein wird? Vielleicht braucht Herr Steinbrück die FDP als Entschuldigung dafür, die Wahlversprechen der SPD nicht umsetzen zu können, ich würde meinen, nicht umsetzen zu wollen.“
Dort, bei den Liberalen, setzt man tapfer auf eine Neuauflage von Schwarz-Gelb. Philipp Rösler, angeschlagener Parteichef und blasser Vizekanzler, hält nichts von einer Ampel. „Für uns Liberale ist Peer Steinbrück so unattraktiv wie die ganze derzeitige Politik der SPD“, ätzt Rösler. Den Wahlkampfstart habe der Kandidat mit seiner Nebenverdienstaffäre „gründlich verstolpert, und vom Linkskurs der SPD hat er sich eher fesseln lassen als abheben können“. Wie Gysi meint auch Rösler den Rentenkompromiss, den die SPD gerade verabschiedet hat.
Einer, der durchaus noch mit Steinbrück rechnet, ist Wolfgang Kubicki. Er kennt ihn seit Jahrzehnten, die beiden haben gemeinsam in Kiel studiert. Formal ist der Politaufsteiger Kubicki lediglich Fraktionschef in Schleswig-Holstein. Tatsächlich aber strebt der Sechzigjährige im kommenden Jahr ein Bundestagsmandat an. Noch vor zweieinhalb Jahren hatte er in einem Zeit-Interview erklärt, er wolle nicht mehr nach Berlin. Da werde er zum „Hurenbock“. Heute sieht er das offenbar anders.
Zwei Gläser für 10 Euro
„Mit wachsendem Alter“, erklärt er beim Treffen in einem Berliner Nobelhotel, sei er „sittlich und moralisch gefestigt“. Werden sein Kumpel und er eine Ampelkoalition basteln? „Auch wenn wir die Koalition mit der CDU fortführen wollen, empfehle ich meiner Partei, eine Ampelkoalition zumindest nicht auszuschließen“, sagt Kubicki. Seinen Männerfreund Steinbrück lobt er in den höchsten Tönen. Der könne „treffsicher analysieren und punktgenau formulieren“. Im Hintergrund läuft gerade Altbundespräsident Roman Herzog durchs Bild.
Im Berliner Ensemble sind unterdessen der Kandidat und seine beiden Interviewer fertig. Das Publikum darf Fragen stellen. Ein Mann meldet sich. Ob wegen der Alterspyramide das Kindergeld erhöht werden müsse, fragt er freundlich. Eine angenehme Frage für einen Volkswirtschaftler.
„Schon zehn Euro Erhöhung würden den Staat eine Milliarde kosten“, hebt Steinbrück an, „und man weiß dann nicht, wo das Geld hingeht.“ Zehn Euro, das seien ja auch zwei Schachteln Zigaretten, rechnet er vor, „zweieinhalb Bier oder zwei Pinot Grigio.“
Dann legt er nach. Er kann schlicht nicht anders. „Also zwei Gläser Pinot Grigio! Eine Flasche, die nur fünf Euro kostet, würde ich nicht kaufen.“ Murren im Publikum. Angela Merkel würde – gesetzt den unwahrscheinlichen Fall, sie zöge überhaupt solch einen Vergleich – die zehn Euro in Apfelsaft umrechnen.
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