SPD-Parteitag zur Europawahl in Berlin: Der Osten gehört auch dazu
Sigmar Gabriel bringt seine Partei gegen die Linkspartei in Stellung. Kandidaten aus den neuen Ländern werden dafür auf der Europa-Liste nach vorne geschoben.
BERLIN taz | Yasmin Fahimi hat es nicht leicht. Kein Netzwerk in Berlin, kein Abgeordnetenmandat und damit keine Zugang zum Machtzentrum Fraktion. Und die 46-jährige hat mit Sigmar Gabriel einen machtbewussten Chef, der auch mal schwierig sein kann. Ihre erste Aufgabe als neue Generalsekretärin hat Fahimi ziemlich souverän gelöst: ihre Rede auf dem SPD-Parteitag. Ihr Kernsatz lautet: „Die Partei muss weiterdenken. Sie muss über die große Koalition hinaus denken.“
Genau das ist Fahimis Job: Sie muss verhindern, dass die SPD wie zu Schröders Zeiten zum lästigen Anhängsel der Regierung verkommt. Die Regierung, so die neue Generalsekretärin, sei „ein Instrument“ um sozialdemokratische Politik durchzusetzen – kein Selbstzweck. Die forsche Rede der auch in der SPD weithin unbekannten Gewerkschaftsfunktionärin kam gut an: mehr als 88 Prozent der Genossinnen wählten sie.
Bei dem Doppelparteitag ging es zudem um die Europaliste. Und Sigmar Gabriel weiß, was die EU bedroht. Mit der Linkspartei und Alternative für Deutschland (AfD) würden „sich die Feinde Europas verbünden“, so der SPD-Chef. „Die Linke ist eine Partei gegen die weitere europäische Entwicklung“ wetterte Gabriel. Frontal griff der Vizekanzler Sahra Wagenknecht an. Die stellvertretende Fraktionschefin der Linkspartei habe in einem Interview gesagt: „Die EU ist ein Hebel zur Zerstörung der Demokratie.“ Das sei „ein dummer Satz“, so der SPD-Chef und erntete damit den Beifall der Delegierten. „Links- und Rechtspopulisten setzen die EU aufs Spiel“, so Gabriel.
Kritische Anmerkungen zu Angela Merkels Europapolitik fehlten in seiner Rede. Der Vizekanzler lobte, dass die SPD derzeit so gute Beziehungen zu den Gewerkschaften habe wie seit langem nicht mehr. Und: In der Großen Koalition seien die SPD-Minister „die Motoren der Bundesregierung“. 97,3 Prozent votierten für Martin Schulz als Spitzenkandidaten für die Europawahl im Mai. Schulz ist Präsident des Europaparlamentes und möchte Kommissionspräsident werden – die einflussreichste Position in der EU. Erstmals spielt 2014 das Europaparlament die entscheidende Rolle bei der Wahl des Kommissionspräsidenten – laut Schulz ist dies eine „demokratische Revolution in der EU“.
Kritik der ostdeutschen Landesverbände
Er ist für einen EU-Politiker relativ bekannt und beliebt. Schulz argumentierte in Berlin weit differenzierter als Gabriel. Es sei falsch, jede Kritik an der EU „als europafeindlich“ zu diffamieren. Damit verstärke man anti-europäische Stimmungen. Im Vorfeld hatte es Kritik der ostdeutschen Landesverbände an der Kandidatenliste gehagelt. Denn: Es gab auffällig wenig Sozialdemokraten aus dem Osten auf sicheren Listenplätzen für das Europaparlament.
Diese West-Dominanz wurden von Ost-SPDlern vor allem angesichts der Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen 2014 als fatales Zeichen empfunden. Am Sonntag hatte man daher die Liste noch verändert: Die Ostdeutsche Sylvia-Yvonne Kaufmann rückte von Platz 14 auf Platz 10 vor, Iris Hoffman aus Mecklenburg-Vorpommern von Rang 28 auf Rang 26. Damit, so Gabriel, seien nun alle 16 Landesverbände auf den ersten 26 Listenplätzen vertreten.
Der sächische SPD-Chef Martin Dulig, der zuvor die Westdominanz scharf kritisiert hatte, sagte der taz: „Ich bin froh, dass Sigmar Gabriel unseren Hinweisen gefolgt ist“, die Liste sei nun „ausgewogener“. Allerdings: Platz 26 ist keineswegs sicher. 2009 reichten 20,8 Prozent zu 23 Sozialdemokraten im EU-Parlament. Diesmal wird es schwieriger, denn Deutschland schickt nicht mehr 99 sondern nur noch 96 Parlamentier nach Straßburg. Weil nur die Dreiprozent Hürde gilt, fallen weniger Stimmen unter den Tisch.
Derzeit könnte die SPD laut Umfragen mit etwa 26 Prozent rechnen. Dass Kaufmann den besten Ost-Listenplatz hat, ist auch Teil der SPD-Strategie Richtung Linkspartei. Denn Kaufmann war bis 2009 für die Linkspartei im EU-Parlament – und trat aus Protest gegen die EU-Skepsis der Linkspartei in die SPD ein. Er ist die einzige halbwegs bekannte LinksparteipolitikerIn, die zur SPD wechselte.
Ralf Stegner, der mit 78 Prozent zum neuen Parteivize gewählt wurde, signalisierte kürzlich Gesprächsbereitschaft Richtung Gysi & Co und beteuerte, die linke Konkurrenz nicht mehr zu dämonisieren. In dieses Bild passt, dass der neue Schatzmeister Dietmar Nietan ein rot-rot-grüner Netzwerker ist. Diese neue Offenheit flankiert Gabriel mit scharfen Attacken. Die neue SPD-Strategie in Sachen Linkspartei ist teilweise die alte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies