SPD-Mitgliedervotum über GroKo: Die seltsame Stille nach dem „Ja“
Nach dem Groko-Votum beschwören Sieger und Verlierer die Einheit der SPD. Und wollen die Partei erneuern. Aber wie soll das aussehen?
In der SPD-Zentrale wird sonst vor aufgebauten Kameras gerne und ausgiebig geklatscht. Jetzt regt sich keine einzige Hand zum Applaus.
Das war beim letzten Mitgliedervotum vor vier Jahren noch ganz anders, obwohl der Ausgang der gleiche war. Doch diesmal verzichten die weit mehr als hundert auf den Balkonen und in den Gängen versammelten Sozialdemokraten auf den üblichen tosenden Beifall. Ist das die viel beschworene Erneuerung der SPD?
Ob die ungewohnte Zurückhaltung von oben angeordnet oder selbstbestimmt ist, bleibt auch auf Nachfrage an den kommissarischen Parteichef Olaf Scholz offen. Offensichtlich ist allerdings, dass die SPD-Führung tunlichst darum bemüht ist, sich nicht überheblich als die strahlenden Sieger zu inszenieren – sie weiß nur allzu gut, dass die kommende Zeit keine leichte sein wird. „Wir haben jetzt Klarheit“, sagte Scholz nur nüchtern.
„Wir bleiben jetzt zusammen“
Der Auftritt von Scholz, der vor der offiziellen Verkündung erst noch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier informiert hat, ist minimalistisch. Gerade mal eineinhalb Minuten dauert sein vorbereitetes Statement, in dem er „die große Präzision“ lobt, „mit der dieses Abstimmungsergebnis hier festgestellt werden kann“. Dann beantwortet er noch in knappen Worten zwei Fragen – und entschwindet.
Dass es eine Mehrheit für eine weitere Regierungsbeteiligung geben würde, hatte sich bereits in den vergangenen Tagen immer deutlicher abgezeichnet. Je mehr die Umfragen für die SPD in den Keller gingen, desto größer wurde bei immer mehr Sozialdemokraten die Angst vor Neuwahlen. Mit einem solch klaren Ausgang hatte allerdings kaum jemand in der Partei gerechnet. „Es waren einige überrascht, dass es jetzt so deutlich war“, sagte SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles. „Ich bin froh, dass es jetzt so gekommen ist.“ Nahles, die sich auf einem Bundesparteitag Mitte April zur neuen Parteivorsitzenden wählen lassen will, zeigte sich zuversichtlich, dass das Votum die SPD nicht spalten werde: „Wir bleiben jetzt zusammen.“
Führende Groko-Gegner äußerten sich zwar enttäuscht über den Ausgang des Mitgliederentscheids, riefen ihre Anhänger jedoch dazu auf, weiter in der SPD aktiv zu bleiben. „Wir sind keine schlechten Verlierer“, sagte Juso-Chef Kevin Kühnert. „Selbstverständlich akzeptieren wir dieses Ergebnis.“ Die Jusos würden „jetzt versuchen, das Beste daraus zu machen“. Die Debatten der vergangenen Wochen hätten gezeigt, „dass ein programmatischer Erneuerungsprozess der SPD dringend notwendig“ ist.
Berlin-Mitte, im Keller eines Cafés in der Oranienburger Straße. Sonntagmittag. An Holztischen flackern Kerzen, leicht schummrige Kneipenatmosphäre. An der Wand hängen Porträts von Rockstars. Vorne sitzt Hilde Mattheis, Chefin der linken Parteiströmung DL 21, und sagt: „34 Prozent Neinstimmen sind doch nicht schlecht.“ Hier trifft sich der harte Kern der No-Groko-Bewegung. 30 Aktivisten, eine überschaubare Truppe. Die Berliner Juso-Chefin Annika Klose sollte auch kommen, aber die ist noch auf einer Demo, heißt es.
„Kritisch und konstruktiv“
Mattheis kündigt an, die Diskussion würde im Livestream übertragen. Vor dem Tisch hängt schief eine rote Banderole. „Mehr Demokratie wagen“ steht darauf. Alles wirkt etwas handgestrickt. Die Bundestagsabgeordnete schaut skeptisch auf die windschiefe Banderole. „Bevor die Presse schreibt, bei der DL 21 bricht alles zusammen, hängt das lieber ab“, sagt sie lachend. Das Ganze verströmt den Charme des Improvisierten, Unfertigen, Alternativen. Diese Truppe hat Andrea Nahles schlaflose Nächte bereitet?
Immerhin analysiert Mattheis professionell, was nun ansteht. Es dürfe keine Spaltung der SPD in Ja- und Nein-Fraktion geben, sagt sie. „Kritisch und konstruktiv“ werde man die Groko begleiten. „Wir geben nicht auf“, sagt sie und schlägt kurz entschlossen auf den Tisch. Was das konkret heißt, bleibt unscharf. Dann entdeckt jemand, dass leider der Livestream nicht funktioniert hat. Mattheis muss noch mal von vorne anfangen.
Marco Bülow ist nicht nach Berlin gekommen. „Ich habe ein engeres Ergebnis erwartet“, sagt der Dortmunder Bundestagsabgeordnete der taz. Aber viele hätten „mit der Faust in der Tasche Ja gestimmt, weil die Alternativen noch schlimmer waren“. 2013 habe die Parteispitze die Neinstimmen einfach ignoriert. Das dürfe nicht wieder geschehen. „Jetzt müssen Partei und Fraktion klüger agieren und auf die Skeptiker zugehen“, sagt Bülow. Wenn Scholz sage, dass die SPD nun wieder zusammenwachse, dann werde das nur geschehen, wenn die Spitze auf das Drittel Unzufriedene zugeht.
Und was, wenn nicht? Droht eine Abstimmung mit den Füßen, gerade in NRW, wo die Skepsis nicht nur beim linken Flügel weiterhin riesig ist? Bülow glaubt, dass schon jetzt einige Enttäuschte austreten werden. „Viele warten noch ab, ob die Erneuerung der Partei mehr als nur eine Ankündigung ist“, sagt er.
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