SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi: Die Gefangene

Stark musste sie sein für ihren sozialen Aufstieg, stark soll ihre Partei sein. Dass sie dafür die Herzen erreichen muss, ist ihr Problem.

Strikter Gegensatz zwischen Herz und Verstand: Yasmin Fahimi. Bild: dpa

Yasmin Fahimis Begrüßungslächeln in ihrem klar eingerichteten Chefbüro des Willy-Brandt-Hauses könnte kaum freundlicher sein. Zwei steile Falten über der Nasenwurzel künden indes von anderen Möglichkeiten. Das Gesicht der SPD-Generalsekretärin beim Gespräch zu beobachten hat etwas von Bergwandern bei unsicherer Wetterlage. Mal gewittert und blitzt es, mal geht die Sonne auf, mitunter wird es, typisch für Höhenlagen, empfindlich kühl.

Nur ein Klimaphänomen scheint undenkbar: Nebel. Alles hat klar zu sein. Vielleicht ist das so, wenn das Leben unter unklaren Umständen begonnen hat. Yasmin Fahimi ist das Kind einer Beziehung, in der sich nicht nur zwei Kulturen, sondern auch Leben und Tod begegnet sind.

Der Gedanke, sie könne davon geprägt sein, würde bei der Parteimanagerin vermutlich heftige Stirngewitter auslösen – eine nebulöse, psychologisierende Vermutung. Die Tatsachen: Ihr Vater, ein iranischer Chemiker, der in Deutschland studiert hatte, starb bei einem Autounfall, als ihre deutsche Mutter mit ihr schwanger war. Yasmin Fahimi wurde vaterlos geboren und blieb es.

Ihre Mutter brachte, nach Deutschland zurückgekehrt, die kleine Familie – der ältere Bruder ist noch im Iran geboren – allein durch. Eine starke, disziplinierte Frau, zweifellos. Sie holte das Fachabitur nach und absolvierte im Schnellgang ein Sozialpädagogikstudium, um eine angemessen bezahlte Stelle zu bekommen. Als ihre Tochter davon erzählt, gerät sie ins Stottern – das einzige Mal im Gespräch. Die Mutter sei Angestellte einer – na, mh – nicht Justizvollzugsanstalt, sondern – äh – im Justizministerium gewesen.

Die Serie: Sie haben wichtige Ämter, sind präsent in den Medien und repräsentieren ihre Parteien. Aber wie ticken sie? Christian Schneider porträtiert deutsche Spitzenpolitiker für die sonntaz. Bisher erschienen sind:

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter: Eine zarte Seele

CSU-Vorzeigefrau Dorothee Bär: Wie man zu sein hat

http://www.taz.de/CSU-Vorzeigefrau-Dorothee-Baer/!145064/CDU-Generalsekretär Peter Tauber: Pragmatischer Fundamentalist

Linken-Politikerin Wagenknecht: Sahra und die Wörter

AfD-Politiker Hans-Olaf Henkel: Seine Mutter nannte ihn „Schniedel“

Dass sie in dieser Passage beinahe im Gefängnis gelandet wäre, könnte man als Zeichen eines nicht unkonfliktuösen Mutter-Tochter-Verhältnisses verstehen. Wie viel Disziplin mag die alleinerziehende berufstätige Mutter den Kindern abverlangt haben? Meine Frage danach gibt mir indes nur Gelegenheit, Einblick in die erstaunliche Tiefe von Fahimis Stirnfalten zu nehmen.

Primat der Ökonomie

Menschen wie die hochdisziplinierte, ihrer Sache gewisse Generalsekretärin sind daran gewöhnt, dass die anderen an ihr vorbeireden. Etwa mit solchen Überlegungen, wie ich sie ins Spiel bringe. Dabei steht sie der Psychologie, wenn man ihren Worten glaubt, nicht grundsätzlich fern. Schon früh habe sie sich mit „den großen Linien“ des Weltgeschehens vertraut gemacht. Ich möchte darin eingeweiht sein und erhalte eine kleine Lektion über den Primat der Ökonomie: die Überzeugung, die Wirtschaft sei der entscheidende Taktgeber des Geschehens. Da sei sie nach wie vor eine „Urlinke“. Aber selbstverständlich sei auch „der Überbau“ wichtig, also „die Bedürfnisse und Triebe“. Wo denn die Psychologie ihr legitimes Plätzchen hätte.

Die Grundlage ihrer Gewissheit ist das terminologisch notdürftig modernisierte, alte marxistische Basis-Überbau-Schema. So hat sie es in ihrer Jusozeit – sie gehörte dem linken Flügel an – gelernt. Leicht nachvollziehbar. Aber so, wie sie es erzählt, lerne ich die junge Yasmin, ihre Neugier danach, was die Welt zusammenhält und was sie damals angetrieben hat, nicht kennen. Die Bedürfnisse, die hinter ihrer „Theoriearbeit“ steckten, bleiben ausgespart. Es fallen Namen wie Gramsci, Laclau und Adorno, aber das Subjekt der theoretischen Anstrengung, sie selbst, wird nirgends kenntlich: als stünde bei ihr alles Lebendige, alles Persönliche unter Verbot.

Kinder und Karriere lassen sich einfach nicht vereinbaren, klagen zusehends mehr Mittelschichtseltern. Und es geht doch. Alles eine Frage der Verhandlung. Den Beweis finden Sie in der taz.am wochenende vom 27./28. September 2014. Außerdem: Wir könnten alle in Grand Hotels leben, wirklich. Ein Visionär rechnet das vor. Und: Warum das zweite Album von Kraftklub doch nicht scheiße ist. Ein Gespräch. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Klar ist nur, dass die anspruchsvolle Theorierezeption parallel zu Schule und Studium Fleiß und Engagement, Kraft und Intelligenz erforderten.

All das zeichnet Yasmin Fahimi aus. Sie hat, in der Spur der Mutter, gelernt, sich „durchzubeißen“. Schon das Gymnasium besuchen zu dürfen verlangte Entschlossenheit und die Unterstützung einer Lehrerin. Die Entscheidung für Chemie als Studienfach – ob es vielleicht eine unbewusste Prägung durch den Vater gebe, fragt sie, fast kokett lächelnd – wirkt wie eine Trotzreaktion: Der Lehrer im Leistungskurs Chemie hatte erst einseitig die Jungen gefördert, dann allen Teilnehmern die Fähigkeit abgesprochen, das Fach zu studieren. Fahimis Widerspruchsgeist war herausgefordert. Tatsächlich, sie hat Kämpfen gelernt. Diese kämpferischen Qualitäten will sie nun für die Partei einsetzen.

Die SPD, sagt sie, müsse sich auf ihre Stärken besinnen. Klar. Nur, dass die Stärken aus ihrem Mund immer wie ein Singular klingen: Stärke – darum scheint sich in ihrem Kosmos alles zu drehen. Stärke zeigen. Sich keine Blöße geben. Sich auf sich selbst besinnen. In meinen Ohren klingt es wie die Projektion einer persönlichen Lebensphilosophie auf das politische Feld: Der/die Starke ist der/die Überlegene.

Um die SPD wieder stark zu machen, müssen – klar – die ihr in Scharen entlaufenen Wähler zurückgewonnen werden: Die Partei müsse wieder die Nähe der Menschen suchen, sie direkt ansprechen, ihre Nöte verstehen und thematisieren. Bei diesem Diskurs zählten nicht nur Sachargumente, es komme darauf an, „auch mit dem Herzen zu überzeugen“. Ich bin so überrascht, dass mir die Frage herausrutscht: „Können Sie denn das?“

Unmittelbar davor hatte Fahimi auf den von mir zitierten, medial vielfach gegen sie erhobenen Vorwurf, sie wirke „abstrakt“, achselzuckend reagiert: Vielleicht sei das so. Sie müsse allerdings sagen, dass sie das nur bedingt interessiere. Und: „Der Spaß am Denken ist natürlich nicht wirklich sexy zu verkaufen.“ In ihrem Weltbild scheinen Herz und Verstand, Denken und Fühlen strikte Gegensätze zu sein. Ihre Antwort auf meine Frage lautet: „Ja, vielleicht muss ich selbstkritisch eingestehen, dass ich die andere Seite stärker zulassen müsste.“ Sie meint das Herz.

An Taten messen

Im Kontakt mit Menschen stelle sie immer wieder fest, dass sie viel sympathischer rüberkomme als erwartet. Prinzipiell sei es für sie kein Problem, die Menschen zu erreichen, mit ihnen zu reden und zu lachen. Und dann lacht sie tatsächlich und sagt: „Vielleicht muss ich das an der einen oder anderen Stelle noch deutlicher machen“ – „weiter herausarbeiten“ hatte sie in unserem Gespräch gesagt, aber wir hatten vereinbart, sie dürfe die Zitate gegenlesen, und so wurde daraus „deutlicher machen“.

„Herausarbeiten“: Ein Wort wie ein Stempel, niederschmetternd und prägend. Sie sei halt sehr diszipliniert erzogen worden, fokussiert auf Problemlösungen und klare Ziele. Dagegen sei „alles andere eher Schmückwerk“. An Taten, nicht an Reden will sie sich messen lassen. Machen, nicht Schönreden sei ihre Stärke. Dabei „verigele“ sie sich manchmal und ziehe sich zurück. Nein, kein Riegel, ein Igel: das Stacheltier. Es ist die erste Passage des Interviews, in der mich ein Affekt erreicht.

Sie spüre die Ansprüche ihres Hochleistungsjobs – „kein Tag unter 14 Arbeitsstunden“ – auch im Privatleben. Manchmal, im Hotelzimmer, komme ein Gefühl der Einsamkeit auf. Als Ausgleich gibt es im heimischen Hannover einen wunderbaren Freundeskreis. Für den sie gerne kocht. Sie mag es, von vorne bis hinten – Planung, Einkauf, Kochen, Essen, Feiern: inklusive Herumalbern. Ich versuche, es mir vorzustellen.

Und schließlich sei der Job ja auch spannend und voll ungewöhnlicher Gratifikationen: Kontakte mit „exklusiven Menschen“, mit denen sie „geistiges Pingpong“ spielen könne; die eigene Kreativität auszuleben, strategisches Denken in Handeln umzusetzen. Fahimi gilt als versierte Organisatorin. Besonders gut sei sie darin, sagt sie, Trends aufzuspüren, neue Formate und Kommunikationsstrategien zu entwickeln; aber auch an alte Traditionen zu erinnern.

Mechanisches Verständnis

Manchmal ärgert sie sich über die heute herrschende Disziplinlosigkeit und Unzufriedenheit in der Partei. Wo bleibt der Stolz auf Erfolge? „Was ist die Geschichte, die wir erzählen wollen?“, fragt sie mit Stirnfaltenmiene. Um die Menschen zu erreichen. „Was sind die Reizwörter, was ist die Idee, was ist die Empfindung, die wir damit auch auslösen wollen?“ – „Empathie“ hatte sie im Interview gesagt.

Empathie auslösen? Es klingt, als ginge es um eine Versuchsanordnung, in der sie wie ein experimentell zu gewinnender chemischer Botenstoff ins Reagenzglas tropft. Als ich sage, nach meinem Verständnis sei die Möglichkeit dazu doch daran gebunden, selber Empathie ins Spiel zu bringen, fühle ich hinter ihrem kurzen Kopfnicken – nichts. „Sehen Sie es mir nach, dass ich das anders sehe als Sie“, sagt sie und lacht. Diesmal mehr überlegen als freundlich. Kein Zweifel, wer hier Bescheid weiß.

Die strategische Empathieoffensive entpuppt sich übrigens als Nachbarschaftskampagne – SPDler klingeln an Haustüren.

Zu diesem Zeitpunkt habe ich es längst aufgegeben, mehr von Fahimis „Überbau“-Seite, der emotionalen Grundierung ihres Handelns und Wollens, von ihrem Leben und ihrer Lebendigkeit erfahren zu wollen. All das ist radikal abgekapselt, dem Diskurs entzogen. Ich muss an die Justizvollzugsanstalt und den Igel denken: Eingerollt mit den Stacheln zur Welt ist er unangreifbar, aber eben auch – gefangen.

Als Yasmin Fahimi am Schluss über Glückserlebnisse in der Natur redet, fühle ich mich ein wenig wie ein Bub, der zum Abschied ein Bonbon mit auf den Weg bekommt. Der Flieger wartet nicht. Keine Chance, noch auf ein anderes Gesprächsniveau zu kommen: objektiv unmöglich, würde sie vielleicht sagen.

Als ich im Lift von der Chefetage ins Basement fahre, denke ich, unklar traurig, über Überbau und Basis nach. Und über Empathie. Und die Chancen der SPD, sie auszulösen.

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