SPD-Fraktionsvize zum Mitgliedervotum: „Das ist jetzt die zweitbeste Lösung“
Besser wäre es, gegen die Jamaika-Koaliton in der Opposition zu sein, meint Karl Lauterbach. Aber so lasse sich immerhin Umverteilung bewirken.
taz: Herr Lauterbach, sind Sie jetzt glücklich?
Karl Lauterbach: Zufrieden, nicht glücklich. Besser wäre es, wenn wir Opposition gegen Jamaika gemacht hätten. Das ist jetzt die zweitbeste Lösung.
Ist die Zweidrittelmehrheit fürs Ja deutlicher als erwartet?
Deutlicher, als ich es erwartet habe. Es gab in NRW viel Widerstand gegen die Groko.
Ein Ja aus Lust aufs Regieren oder aus Furcht vor Neuwahlen?
Weder noch. Es ist ein Ja der besten Sorte und das Ergebnis von wochenlanger Überzeugungsarbeit. Ich glaube, dass vielen klar geworden ist, dass wir nichts von dem, was wir mit der Union im Koalitionsvertrag erreicht haben, mit einer Minderheitsregierung durchgesetzt hätten. Nicht mit diesem Bundestag mit diesen Mehrheiten. In Neuwahlen wären wir ohne jede Aussicht auf die Macht gegangen. Rot-Rot-Grün, mein Wunschbündnis, ist derzeit ja weit von einer Mehrheit entfernt. Wir hätten keine Regierungsperspektive gehabt. Die AfD hätte von Neuwahlen wahrscheinlich profitiert.
Die letzten beiden Bündnisse mit der Union haben der SPD, obwohl sie Motor der Regierung war, bei Wahlen extrem geschadet …
Das stimmt nicht.
Sie verlor 2009 und 2017.
Ich halte es für Spekulation, dass wir verloren haben, weil wir regiert haben. Wir hätten auch in der Opposition verlieren können.
Als Opposition bekam die SPD 2013 immerhin mehr als 26 Prozent. Dass die SPD als Juniorpartner der Union verliert, ist Fakt.
Das war nicht die wesentliche Ursache. Wir haben es versäumt, Programm und Partei zu reformieren. Das ist dringend nötig. Und es gibt drei Fragen, auf die die Sozialdemokratie nicht nur in Deutschland Antworten geben muss, wenn sie überleben will. Seit 30 Jahren kommt in den Industrieländern der wachsende Wohlstand nicht mehr den kleinen und mittleren Einkommen zugute. Zweitens: Das Kapital profitiert von der Globalisierung – die Arbeiternehmer hingegen bekommen Konkurrenz durch Flüchtlinge und Arbeitsmigranten. Drittens: Sozialdemokratien sind Erklärparteien, die Emanzipation diskutieren. In Zeiten des Internets ist aber Einzigartigkeit gefragt, Erklärung wird als Bevormundung empfunden. Antworten auf diese Megatrends sind wir schuldig geblieben.
Die SPD will nun in der Regierung mit der Union Wohlstand Richtung unten umverteilen?
Wir haben jetzt wenigstens wichtige erste Schritte Richtung Umverteilung erreicht, etwa weil Arbeitnehmer und Arbeitgeber wieder zu gleichen Teilen das Gesundheitssystem finanzieren. Das reicht nicht aus. Aber es ist viel mehr als nichts. Dass man in der Opposition reale Umverteilung bewirkt, wäre mir neu.
Peer Steinbrück rät der SPD, Multikulti zu verabschieden.
Das halte ich für Unsinn. Diese Kritik gab es auch an den US-Demokraten und den französischen Sozialisten, die Wahlen verloren hätten, weil sie sich zu viel um Migranten, Schwule, Lesben und Minderheiten gekümmert hätten. Das ist nur Rhetorik. Die SPD hatte 2013 konkrete Forderungen, um das Leben von Benachteiligten zu verbessern. Steinbrück stand nicht klar zum damaligen Wahlprogramm und tritt jetzt nach. Was er jetzt sagt, ist keine Analyse der Lage der SPD. Ressentiments älterer Männer gegen die stattfindende Liberalisierung der Gesellschaft bringen uns nicht weiter. Wir brauchen Antworten auf die drei großen Fragen, die sich allen Parteien der linken Mitte stellen. Das geht nur mit realistischen Konzepten für Umverteilung.
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