SPD-Abgeordneter über den Balkan: „Demokratische Werte verteidigen“
Alles blickt auf die Ukraine. Der SPD-Abgeordnete Adis Ahmetovic fordert mehr Aufmerksamkeit der EU für die brenzlige Lage in Bosnien und Herzegowina.
taz: Herr Ahmetovic, mit dem Angriff auf die Ukraine müssten die von Putin unterstützten Konflikte auch auf dem Balkan stärker beachtet werden. Russland unterstützt in diesem Raum massiv nationalistische und antidemokratische Kräfte. Der serbische Nationalist Milorad Dodik hat am Montag Annalena Baerbock kurz vor ihrem Besuch im Land und damit die deutsche Politik insgesamt scharf angegriffen. Ist das nicht ein direkter Angriff auf die liberalen Demokratien in Europa?
Adis Ahmetovic: Wir müssen unsere demokratischen Werte überall verteidigen, auch in der Westbalkan-Region, in Bosnien und Herzegowina. Hier gab es, und das wird oftmals vergessen, vor 30 Jahren einen Krieg auf europäischen Boden, der noch nicht bewältigt ist. Dies, was sich jetzt auf dem Balkan widerspiegelt, legt aber auch ein Stück weit eine Krise der Europäischen Union offen, denn mit Ungarn, den jetzigen Führungen in Slowenien, Kroatien und Polen zeigt sich, dass einige Mitgliedsstaaten sich in Richtung Autokratien oder zu Sympathisanten der russischen Politik entwickeln. Die Reaktionen aus Brüssel darauf sind vielstimmig. Positiv ist, dass Großbritannien derzeit in Bezug auf den Westbalkan einen klaren Standpunkt vertritt und sich gegen die politische Destabilisierung und für Demokratie und Menschenrechte ausspricht.
Die EU hat mit ihrer Schwäche in den letzten Jahren ein politisches Vakuum eröffnet. Nicht nur Russland, sondern auch die Türkei, China und andere versuchen, Einfluss auf dem Balkan zu gewinnen. Der Kampf gegen die liberalen Demokratien ist längst im Gange. Welche Antwort will Deutschland auf diese Lage geben?
Deutschland muss seine Rolle als liberale Demokratie auf dem westlichen Balkan stärker wahrnehmen. Die demokratischen Kräfte auf dem Balkan und in Bosnien erwarten das auch von uns. Sanktionen dürfen nicht nur gegen Milorad Dodik durchgesetzt werden, sondern gegen einen Teil der politischen Elite, ein ganzes System, auch in anderen Teilen des Landes, das die Menschen als Geisel nimmt. Wir wollen, dass unsere Investitionen bei den Menschen ankommen, wir wollen, dass sich das Land weiter zu einem Rechtsstaat entwickelt und nicht weiter destabilisiert wird.
28, ist Bundestagsabgeordneter der SPD und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Seine Eltern stammen aus Bosnien und Herzegowina und flohen 1992 nach Deutschland.
Voraussetzung dafür sind aber erst einmal freie Wahlen. Der Serbenführer Milorad Dodik und der kroatische Extremist Dragen Čović wollen die Wahlen blockieren, wenn das Wahlgesetz nicht zugunsten der kroatischen Nationalisten verändert wird.
Die Wahlen im Herbst werden abgehalten. Es gibt ja ein Wahlgesetz. Wir wollen Wahlen, die fair und transparent ablaufen. Eine zukünftige Wahlrechtsreform allerdings darf nicht entlang ethnischer Linien definiert werden, sondern muss sich an den Urteilen des Menschenrechtsgerichtshofes in Straßburg von 2009 orientieren. Die gesamte Gesellschaft muss bei einer Reform des Wahlrechts beteiligt sein. Es geht nicht an, dass so weitreichende Entscheidungen nur mit einigen wenigen ausgehandelt werden.
Die kroatischen Extremisten haben am letzten Wochenende gedroht, sie würden einen kroatischen Teilstaat gründen, wenn ihr Wahlgesetz nicht akzeptiert wird …
Noch sind es Ankündigungen, einen genauen Zeitpunkt gibt es noch nicht für den Besuch der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock in Sarajewo, er soll in den nächsten Tagen stattfinden. Doch angesichts der Russland-Ukraine-Krise hält man sich in Berlin bedeckt. Schon im Vorfeld sind große Erwartungen und auch Befürchtungen bekannt geworden. Für die kroatischen Nationalisten in Bosnien und Herzegowina und in Kroatien sind die Grünen eine feindliche Partei. Die Kroaten möchten unbedingt ein Wahlgesetz zu ihren Gunsten durchbringen. Seit der Ampelregierung kann sie aber dafür keine Unterstützung aus Berlin erwarten. Mehrfach hat Baerbock in den letzten Wochen auf die Stärkung des Rechtsstaa-tes und der Demokratie in Bosnien und Herzegowina gedrängt. Sie kritisierte dabei scharf den Führer der serbischen Nationalisten Milorad Dodik. Die nichtnationalistische Zivilgesellschaft setzt große Hoffnung auf den Besuch. Erich Rathfelder
Das ist ein Versuch der Zerschlagung des gemeinsamen Staates und damit ein Angriff auf das Daytoner Abkommen und ein Angriff auf die europäischen Werte.
Wie wollen Sie das alles durchsetzen, ohne auch Macht zu zeigen? Seit Jahren wird unter Nato-Militärs diskutiert, Nato-Truppen an die wichtigsten strategischen Punkte in Bosnien und Herzegowina zu platzieren, doch von der Politik aus ist nichts geschehen. Es gibt zwar eine kleine Eufor-Truppe, die hat aber bisher keine strategisch durchdachte Funktion. Müssen da nicht weiter Nato-Soldaten nach Bosnien und Herzegowina kommen, um Eufor-Altea strategisch neu auszurichten?
Die SPD-Fraktion hat schon beschlossen, das Eufor-Mandat zu verlängern, das soll im November 2022 mit den Verbündeten beschlossen werden. Ich bin der Auffassung, dass wir als Deutschland qualitativ und quantitativ an Eufor beteiligt sein müssen. Dafür muss Deutschland bereit sein.
Es wird in Bosnien keinen Krieg geben, wenn Eufor-Truppen nach Brčko und Mostar verlegt werden. Es geht dabei vielmehr darum, einen demokratischen Staat in Gänze zu verteidigen und Sicherheit zu schaffen.
Wir haben jetzt mit der neuen Regierung, mit Annalena Baerbock und mit Olaf Scholz, die Möglichkeit, in diesem Sinne voranzukommen. In den kommenden Monaten wird die erste Debatte über den westlichen Balkan im Bundestag stattfinden. Das Thema Bosnien und Herzegowina muss endlich einen höheren Stellenwert einnehmen.
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