S-Bahn Berlin: Fährt sie? Oder fährt sie nicht?
Zu ihrem 100-Jährigen werden die Weichen für die S-Bahn neu gestellt. Oder nicht? Bei der aktuellen Ausschreibung könnte die DB erneut zum Zug kommen.
So viel Luxus gibt es nicht in den in die Jahre gekommenen Fahrzeugen, die im Rest des Berliner S-Bahn-Netzes rollen – genauer: in den Teilnetzen Stadtbahn und Nord-Süd. Auch nach dem endgültigen Abschied von den letzten DDR-Beständen – im S-Bahner-Slang wegen ihrer ursprünglichen Farbgebung „Coladose“ genannt – ist die Alt-Flotte nicht mehr auf der Höhe der Zeit und wartet dringend auf Ablösung.
Wann die tatsächlich kommt, kann niemand mit Sicherheit sagen. Ein wichtiger Schritt könnte aber in zwei Monaten getan sein: Laut Insidern werden die Länder Berlin und Brandenburg Anfang Oktober ihre Entscheidung bekannt geben, wer den Zuschlag für mindestens 1.308 (und bis zu 2.160) S-Bahn-Wagen sowie deren Betrieb in beiden Teilnetzen erhält.
Das Vergabeverfahren zieht sich mittlerweile schon über vier Jahre hin: Im August 2020 wurden als Ergebnis einer langen politischen Debatte vier „Lose“ ausgeschrieben: Züge für das Teilnetz Stadtbahn, Züge für das Teilnetz Nord-Süd, Betrieb im Teilnetz Stadtbahn, Betrieb im Teilnetz Nord-Süd. Neu war auch, dass die Fahrzeuge ins Eigentum der extra gegründeten „Landesanstalt für Schienenfahrzeuge Berlin“ übergehen – die Bewerber verpflichteten sich aber, sie 30 Jahre lang zu warten. Der Betrieb wurde für je 15 Jahre ausgeschrieben.
Für Alstom stehen die Zeichen schlecht
Um es gleich vorwegzunehmen: Sollte am Ende nicht der Platzhirsch DB den Zuschlag bekommen, dessen Tochter S-Bahn Berlin GmbH seit Jahrzehnten über das Schicksal der Berliner S-Bahn bestimmt, würden sich alle BeobachterInnen die Augen reiben. Zwar bedeutete es, dass am Ende eines vermeintlichen Diversifizierungsprozesses, der die Monopolstellung des deutschen Schienenkonzerns aufbrechen sollte, zumindest gefühlt alles beim Alten bleibt.
Aber die Zeichen stehen schlecht für den einzigen Mitbewerber, den französischen Fahrzeughersteller Alstom, der in Berlin unter anderem Trams für die BVG baut. Alstom will lediglich die Züge liefern und instand halten, die DB hingegen bildet ein Konsortium mit den Herstellern Siemens und Stadler und bewirbt sich deshalb für alle vier Lose. Auch die erwähnten Züge der neuen Reihe 483/484 wurden von Siemens und Stadler produziert.
Bei Alstom fühlte man sich durch dieses faktische Ungleichgewicht von Anfang an übervorteilt und monierte auch viele andere Details des Vergabeverfahrens. Der im Detail extrem schwer zu durchdringende Konflikt zwischen den Franzosen und den ausschreibenden Ländern landete bei der Justiz. Anfang März fällte das Kammergericht eine Entscheidung, mit der es nur einigen wenigen der Beanstandungen stattgab und Berlin und Brandenburg zu kleineren Korrekturen in der Ausschreibung zwang.
Dieser Beschluss war nicht mehr anfechtbar. Sollte sich aber im Oktober nun doch wieder die DB den ganzen Kuchen mit einem Auftragswert von rund 8 Milliarden Euro sichern, ist nicht ausgeschlossen, dass ein neuerlicher Rechtsstreit folgt.
Munition für Alstom liefert dabei auch die schriftliche Begründung des Kammergerichts: Darin heißt es sinngemäß, die gesplittete Ausschreibung, bei der sich Unternehmen sowohl für einzelne Lose als auch für alle im Paket bewerben konnten, könne rechtlich problematisch sein: nämlich dann, wenn die Länder einer Paketbewerbung aus generellen Erwägungen den Zuschlag erteilen, obwohl konkurrierende Angebote für Einzellose billiger zu haben wären.
Irgendwas wird schon rollen
Ursprünglich sah die Zeitschiene vor, dass das Nord-Süd-Teilnetz unter seinem neuen Betreiber ab Ende 2027 gestaffelt in Betrieb gehen sollte, das Stadtbahn-Teilnetz dann Anfang 2028. Dass diese Termine zu halten sind, ist unwahrscheinlich. Am Ende ist das aber fast egal: Die eigentlichen Verkehrsverträge mit der DB sind schon 2017 ausgelaufen, seitdem wird der Betrieb über Interimsverträge abgesichert. Irgendwas wird also schon rollen.
Schaudern lässt allerdings die deutschlandweite Performance der DB AG, bei der Verspätungen das neue Normal sind, und die einen riesigen Sanierungsstau vor sich her schiebt. Vor 15 Jahren – im Jahr 2009 – war es die Sparpolitik der DB gewesen, die der S-Bahn und ihren NutzerInnen die größte selbst verschuldete Krise ihrer 100-jährigen Geschichte einbrockte. Bleibt zu hoffen, dass zumindest das neue Modell des landeseigenen Fahrzeugpools hier auf Dauer einen Unterschied macht.
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