Russlands neue Militärstrategie: Unfreiwilliger Strategiewechsel
Die bisherigen Kriegsziele des Kreml sind unrealistisch. Notgedrungen orientiert die russische Armee sich nun anscheinend auf den Donbass um.
O ffensichtlich muss Russlands Präsident Wladimir Putin jetzt kleinere Brötchen backen. Da die Spezialoperation zur Demilitarisierung und Entnazifizierung in der Ukraine außer dem Verlust Tausender Menschenleben und sinnloser Zerstörung nicht die gewünschten Ergebnisse bringt, sollen sich die russischen Truppen auf den Donbass konzentrieren. Beziehungsweise das, was von dem demoralisierten Haufen noch übrig ist.
Nur gut, dass auch die von Georgien abtrünnige Region Südossetien ihre tapferen Kämpfer in den Kampf gegen den „Faschismus“ an der Seite Russlands schickt. Eine Wahl haben die Betroffenen eh nicht – jetzt, wo es darum geht, das letzte Aufgebot zu mobilisieren. Doch der scheinbare Sinneswandel des Kreml ist purer Not und dem Umstand geschuldet, zumindest mit einer Trophäe aus dem Feldzug zurückzukehren zu müssen, der dann an der Heimatfront als Sieg verkauft werden kann.
Nicht zufällig hat der Anführer der „Volksrepublik Luhansk“ die Möglichkeit eines Referendums über den Beitritt zur Russischen Föderation angekündigt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sein Kollege in der „Volksrepublik“ Donezk nachzieht. Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Der Machtanspruch bezieht sich auf das gesamte Gebiet der Regionen, die zum Teil noch unter ukrainischer Kontrolle sind.
Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie eine derartige Volksabstimmung ablaufen wird: Unter vorgehaltener Knarre, wie schon 2014 auf der Halbinsel Krim. „Freiheit, die ich meine“ – absurd angesichts der Tatsache, dass Menschen in Donezk und Luhansk in Foltergefängnissen einsitzen und zwangsevakuierte Geflüchtete aus der Ukraine dort jetzt einer Gehirnwäsche unterzogen werden.
Doch unabhängig davon, ob das Referendum stattfindet oder nicht: Die Ukrainer*innen werden sich nicht beugen, ergo wird der Kampf um Donezk und Luhansk weitergehen. Die Chancen, noch eine diplomatische Lösung zu erreichen, schwinden ebenfalls. Aber diese Option war für Russland ohnehin nie etwas anderes als ein Spiel auf Zeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?