Russlands Vorgehen gegen Nawalny: Ein Offenbarungseid
Für das kommende Wochenende haben Nawalny und sein Team zu weiteren Protesten aufgerufen. Die Frage ist, ob die Bewegung verstetigt werden kann.
A lexei Nawalny kann fürs Erste zufrieden sein. Dem Tod von der Schippe gesprungen, für 30 Tage im Moskauer Gefängnis „Matrosenstille“ weggesperrt, und trotzdem schafft es der Kreml nicht, ihn zum Schweigen zu bringen. Schlimmer: Dem, laut Präsident Putin, politischen Niemand gelingt es, Zehntausende landesweit auf die Straße zu bringen. Solch eine flächendeckende Mobilisierung erlebte Russland zuletzt im März 2017, nachdem ein Korruptionsvideo über den damaligen Regierungschef Dmitri Medwedjew öffentlich geworden war.
Jetzt ist es eine millionenfach angeklickte Dokumentation Nawalnys über eine milliardenschwere Immobile Putins, die bei vielen Russ*innen das Fass zum Überlaufen bringt und den Kreml zum Offenbarungseid zwingt. Genau das – ein Offenbarungseid – waren die martialischen Drohungen vor den Protesten sowie über 3.000 Festnahmen bei den Demonstrationen am Samstag, brutales Vorgehen gegen Minderjährige inklusive.
Der schlichte Kommentar von offizieller Seite: Nawalny habe Jugendliche einer Gehirnwäsche unterzogen. Was den Schluss nahelegt, dass die Demonstrant*innen so hirnlos nicht sein können.
Genau da liegt für Russlands Machthaber das Problem. Denn es geht nicht nur um die Person Nawalnys, dem ein Großteil der Menschen eher reserviert gegenübersteht. Vielmehr ist der Kremlkritiker zu einem Katalysator für den wachsenden Unmut in der Bevölkerung geworden. Der entzündet sich nicht nur an der Korruption, die schon lange bis in die höchsten Etagen der Macht vorgedrungen ist. Nicht minder schwer wiegt für viele Menschen ihre zusehends prekäre Wirtschaftslage.
Hinzu kommen Gängeleien und die Alltagserfahrung, dass der Staat selbst seine eigenen Gesetze nicht ernst nimmt. Kurzum: Die Aussicht, dass Putin mithilfe des sogenannten Referendums vom vergangenen Jahr noch bis 2036 die Geschicke des Landes bestimmen könnte, ist für viele Russ*innen einfach keine Perspektive mehr.
Schon für das kommende Wochenende haben Nawalny und sein Team zu weiteren Protesten aufgerufen. Die spannende Frage ist, ob die Bewegung verstetigt werden kann. Im Moment spricht nichts dafür, dass der Kreml seine harte Gangart gegenüber den Protestierenden ändern wird. Das dürfte die Unzufriedenen nur weiter befeuern.
Schon jetzt machen in sozialen Netzwerken Kommentare die Runde, die Russ*innen sollten sich ein Beispiel an Belarus nehmen. Wie hieß es einst so schön: „Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen.“ Gesiegt haben die Belaruss*innen noch nicht. Aber als Vorbild für Standhaftigkeit und Unerschrockenheit taugen sie allemal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Krise der Ampel
Lindner spielt das Angsthasenspiel